Den Opernklassiker „La Traviata“ in Backnang geschickt reduziert

Eine außergewöhnliche Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“ begeistert am Sonntagabend das Publikum im Backnanger Bürgerhaus. Mit von der Partie: Sängerinnen und Sänger aus Backnang und Umgebung.

Violetta Valéry (Sopranistin Britta Glaser) feiert ihre vermeintliche Genesung mit einem rauschenden Fest. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Violetta Valéry (Sopranistin Britta Glaser) feiert ihre vermeintliche Genesung mit einem rauschenden Fest. Foto: Alexander Becher

Von Thomas Roth

Backnang. Bei Violetta Valérys Fest geht’s hoch her. Die Pariser Kurtisane hat sich einigermaßen von einer Krankheit erholt und das muss gefeiert werden. Ihre Freundin Flora ist da, ebenso Violettas Mäzen Baron Douphol und andere Gäste. Die treten im vorderen Teil des Mittelgangs vor der Bühne des Backnanger Bürgerhauses beim Trinklied „Brindisi“ („Libiamo ne’ lieti calici“) singend und sektglasschwingend in Aktion. Bei diesen Gästen handelt es sich um Choristen aus Backnang und Umgebung, die von Jugendmusikschullehrerin Catrin Müller auf ihren Auftritt vorbereitet wurden und nun in der bekannten Festszene Teil der Inszenierung sind.

Regisseurin Silvia Aurea De Stefano zeichnet gemeinsam mit der Hauptdarstellerin, der Sopranistin Britta Glaser als Violetta, verantwortlich für diese Kammerensembleadaption. Geschickte Reduktion ist das Motto bei der Szenenauswahl und auch beim Bühnenbild von Mien Bogaert. Dieses besticht durch klare Linien, sei es durch die Anordnung der niedrigen, filigran wirkenden Tische und Stühle, die sich ruckzuck in ein Bett verwandeln lassen, oder durch den langen, sich fast über die gesamte Bühnenbreite erstreckenden Tresen mit Gläsern und Flaschen. Letzterer verschwindet, wenn nötig, rasch hinter einem Vorhang. Stil und Ästhetik verstärkt Bogaert durch eine ganz hervorragende Lichtchoreografie. Neonleuchten sorgen für kühle Atmosphäre; auf Nebeleffekte folgen Bildwechsel.

Eine tragische Liebesgeschichte, die glaubwürdig dargestellt wird

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Ein absoluter Höhepunkt aber ist der Lichteffekt beim Schlussbild, als Violetta, die „Traviata“, also die (angeblich) vom Weg (der sogenannten Tugend) Abgekommene, sich auf ihren letzten, transzendenten Weg begibt und quasi durch eine Art Lichtstrahlentunnel die irdische Welt verlässt. Ihr, die sich in einen bürgerlichen Mann verliebt hat und die fortan davon träumt, mit diesem gemeinsam zu leben und dabei gesellschaftlich akzeptiert zu sein, ist die Verwirklichung dieses Traums nicht vergönnt. Zunächst wegen der die Gesellschaft beherrschenden Konventionen. Und dann, als Alfredos Vater doch einen Sinneswandel durchlaufen und im Grunde sein Go für die Liaison gegeben hat, wegen ihrer Krankheit: Violetta wird von der Schwindsucht dahingerafft. Eine traurige Angelegenheit, die von der Berliner Compagnia Nuova sehr berührend und glaubwürdig performt wird.

Musikalisch hält der Pianist Andrés Juncos alles zusammen. Er ersetzt das sonst übliche Orchester und das in souveräner Manier, mal solistisch, dann wieder als einfühlsamer, zuhörender Liedbegleiter und letztlich als Dirigent ohne Dirigierstab. Kraft seines dynamischen Spiels gibt er die Richtung vor. Sowohl Britta Glaser als auch die Mezzosopranistin Solgerd Isalv als Flora überzeugen stimmlich und in ihrem Spiel. Guillermo Valdés (Tenor) ist als Alfredo eine in jeder Beziehung gute Wahl, auch durch sein temperamentvolles Spiel. Der irische Bassbariton Shokri Francis Raoof (Barone Douphol und Dottore Grenvil) und der Bariton Timon Führ als Giorgio Germont, also Alfredos Vater, komplettieren das durchweg starke Gesangsensemble.

Die Oper einem jungen Publikum oder Menschen, die eher nicht und schon gar nicht aus freien Stücken in Opernhäusern verweilen, dennoch nahezubringen, dafür ist diese Art der Produktion ideal. „Kommen Sie nicht in die Oper, kommt die Oper zu Ihnen“, könnte das Motto lauten.

Silvia Aurea De Stefano sieht die Compagnia Nuova denn auch in der Tradition William Shakespeares. Zu dessen Zeit zogen die Schauspieler von Ort zu Ort, von Spielstätte zu Spielstätte. Das bedeutete, dass man sich bezüglich des Bühnenbilds extrem zurückhalten musste, also mit „kleinem Besteck“ unterwegs war. Genauso agiert die Compagnia Nuova. Das ganze Bühnenbild passt auf eine Europalette. Diese wird per Spedition transportiert; die Künstler reisen mit der Bahn. Und so gelingt diesem wunderbaren und außergewöhnlichen Ensemble Nachhaltigkeit in doppelter Hinsicht: künstlerisch-musikalisch und klimatisch. Im Backnanger Bürgerhaus erhalten alle Mitwirkenden langen Applaus.

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Erstellt:
5. März 2024, 11:30 Uhr

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