Neu im Kino: „September 5“

Der Tag, an dem ein Terroranschlag live übertragen wurde

Um die Berichterstattung des Terroranschlags auf mehrere israelische Teilnehmer der Olympischen Spiele 1972 geht es im Filmdrama „September 5“. Dabei wird kritisch beleuchtet, inwiefern Medien Einfluss auf den Ausgang des Anschlags gehabt haben.

Szene aus „September 5“: Das Sport-Team des Senders ABC berichtet live von der Geiselnahme am 5. September 1972.

© Constantin Film Verleih / Jürgen Olczyk

Szene aus „September 5“: Das Sport-Team des Senders ABC berichtet live von der Geiselnahme am 5. September 1972.

Von Jennifer Stahl

Wir schreiben das Jahr 1972. Die Olympischen Sommerspiele finden erstmals seit 1936 in Deutschland statt. Es sollte ein frohes Fest werden, Deutschland möchte sich nach dem Ende des zweiten Weltkriegs als friedliebendes und offenes Land präsentieren. Im Olympischen Dorf in München wohnen Athletinnen und Athleten aus 121 verschiedenen Ländern zusammen, trainieren gemeinsam und messen sich in ihren jeweiligen Disziplinen.

Überschattet werden die Olympischen Spiele jedoch von einem schrecklichen Ereignis: Acht bewaffnete Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ dringen in den frühen Morgenstunden des zehnten Wettkampftages, am 5. September, in das Wohnquartier ein und nehmen elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln, darunter Athleten und Trainer. Zwei von ihnen töten sie sofort. Die Terroristen fordern die Freilassung von über zweihundert in Israel inhaftierten Palästinensern sowie zweier RAF-Mitglieder. Alle anderen Geiseln kommen in der Nacht vom 5. auf den 6. September beim Befreiungsversuch der bayrischen Polizei ums Leben.

Liveübertragung eines Terroraktes

Millionen von Menschen sind vor Ort in München, darunter mehrere Journalistinnen und Journalisten, die den Terroranschlag live im TV übertragen. Vor den Bildschirmen verfolgen viele Millionen Menschen die 21-stündige Geiselnahme mit.

Das Versagen der deutschen Regierung beim Befreiungsversuch der israelischen Mitglieder wird auch heute noch kritisiert. Auch die berichterstattenden Medien werden beschuldigt, schließlich konnten die Terroristen live im TV mitverfolgen, welche Überwältigungsmaßnahmen die Polizei plante. War das moralisch überhaupt vertretbar? Wie sollen Fernsehen und Radio in einer solchen Situation berichten, ohne den Tätern eine Bühne zu bieten? Um dieses moralische Dilemma geht es im Filmdrama „September 5“.

Nur wenige Meter vom Geschehen entfernt

Völlig unvorbereitet muss das Sport-Team des Senders ABC einen Terroranschlag live ausstrahlen. Schließlich fielen die Schüsse nur wenige Meter entfernt vom TV-Studio, welches für die Zeit der Olympischen Spiele unweit des Olympischen Dorfes in München stationiert war. Der Coordinating Producer bei ABC Sports, Geoffrey Mason, möchte sich bei seinem Boss, dem Fernsehproduzenten Roone Arledge, beweisen. Dass sich Mason am Ende fragen wird, ob diese Art der Berichterstattung überhaupt moralisch vertretbar ist, weiß er zu Anfang noch nicht.

In der Hauptrolle ist John Magaro („Past Lives – In einem anderen Leben“, „First Cow“) als Journalist Geoffrey Mason zu sehen. Peter Sarsgaard („Memory“, „Dopesick“) verkörpert den amerikanischen Fernsehproduzenten Roone Arledge, die deutsche Schauspielerin Leonie Benesch („Das Lehrerzimmer“, „Bayblon Berlin“) ist Marianne Gebhardt, eine Assistentin, die für die Kommunikation nach außen und für die Übersetzung der deutschen Nachrichten eine zentrale Rolle spielt.

Für die Arbeit am Drehbuch standen dem Produktionsteam unter dem Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum („Tides“) die Originalbänder der ABC zur Verfügung. So sind originale Filmaufnahmen der Terroristen sowie vom vor Ort berichtenden damaligen Moderator Jim McKay geschickt in den Film eingebaut worden.

Moralische Entscheidungen gegen eine tickende Uhr

Lange Bedenkzeit hatte das Team um den Moderator in dieser Situation nicht. Das spürt man als Zuschauer, quasi minütlich müssen wichtige Entscheidungen getroffen werden, bei denen es am Ende um Leben und Tod gehen könnte. Relativ zu Beginn der Geiselnahme sagt Produzent Marvin Bader (Ben Chaplin), ob die Tötung der Geiseln wirklich ausgestrahlt werden sollte, während die Familien das im TV mit ansehen müssen. „Falls die jemanden erschießen – live im Fernsehen – wessen Story ist das? Unsere oder ihre?“, stellt er eine entscheidende Frage, auf die es keine richtige Antwort gibt.

Als dann Conrad Ahlers, Pressesprecher der damaligen Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt, im Live-Fernsehen fälschlicherweise verkündet, dass alle Geiseln unverletzt befreit worden seien, steht das ABC-Team unter Druck. Wieder stellt sich die Frage: wie soll reagiert werden? Diese Botschaft so schnell wie möglich verkünden, oder aus journalistischer Sorgfaltspflicht auf mindestens drei Bestätigungen warten?

Nach Ende des Terroranschlags nagt das schlechte Gewissen an den Journalistinnen und Journalisten. Dass die Terroristen durch die Berichterstattung nicht gestoppt werden konnten, als sie sich noch im Olympischen Dorf befanden, macht ihnen sichtlich zu schaffen. Mason blickt traurig auf die elf getöteten Athleten und Trainer. Die Frage, ob der Sender richtig oder falsch gehandelt hat, bleibt unbeantwortet.

Auch Dolmetscherin Marianne Gebhardt, die am Flugplatz Fürstenfeldbruck dabei gewesen ist, plagt das schlechtes Gewissen. Mason gegenüber gibt sie zu: „Wir standen alle da und haben gewartet, bis irgendetwas passiert. Nur, damit wir tolle Bilder haben.“ Erneut seien jüdische Menschen in Deutschland getötet worden, sagt sie. Und die Medien sind sicher nicht ganz unschuldig daran.

Ein Film über die tragischen Ereignisse des Münchner Olympia-Attentats im Jahr 1972, der das moralische Dilemma behandelt, wie über eine Situation berichtet werden soll, wenn die Täter diese mediale Aufmerksamkeit zu ihrem Vorteil nutzen.

„September 5“ Deutschland 2024, Regie: Tim Fehlbaum. Mit: John Magaro, Ben Chaplin, Leonie Benesch, 91 Minuten, Start: 9. Januar.

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Erstellt:
8. Januar 2025, 10:14 Uhr

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