Bestseller von Anne Applebaum und Frank Schätzing
Die Autokraten aller Länder vereinigen sich
Die Historikerin Anne Applebaum, Friedenspreisträgerin des Buchhandels, liefert eine erschreckende Analyse der globalen Allianz der kleptokratischen Herrscher – und der Methoden, mit denen sie die Demokratien unterhöhlen.
Von Markus Reiter
Viele Menschen haben derzeit den Eindruck, dass in den liberalen Demokratien dieser Welt etwas ins Rutschen geraten ist. Tatsächlich ist an diesem Gefühl etwas dran: Die Wahlerfolge rechter populistischer Parteien und Kandidaten – von Rumänien bis Argentinien, von Spanien bis Japan – sprechen eine deutliche Sprache. Ganz zu schweigen von den Erfolgen der AfD, insbesondere in Ostdeutschland, sowie dem Wahlsieg von Donald Trump in den Vereinigten Staaten.
Als ganz so neu, wie es jetzt scheint, erweist sich die Sehnsucht nach einem starken Führer an der Spitze des Staates allerdings nicht. Schon in den 1980er-Jahren ergaben Studien, dass etwa ein Fünftel der Westdeutschen ein mehr oder weniger gefestigtes rechtsextremes Weltbild aufwies. Der Unterschied zu heute: Es fehlte ein geeignetes Angebot an Autokraten.
Ohne erfolgreiche Demokratien wären die Regime nicht lebensfähig
Die Gerontokratie der Sowjetunion wirkte damals ebenso wenig attraktiv, wie es die exzentrischen Diktatoren Nicolae Ceaușescu in Rumänien oder Enver Hoxha in Albanien waren. Auch die Kim-Dynastie in Nordkorea, als Diktatoren von den Weltläuften bis heute unbeeindruckt in Amt und Würden, versprach kein verlockendes Staatsmodell. Inzwischen hat sich jedoch einiges verändert, wie die Historikerin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, Anne Applebaum , in ihrem Buch „Die Achse der Autokraten“(Spiegel-Bestseller Sachbuch Hardcover Platz 5, Siedler, 206 Seiten, 26 Euro) analysiert.
Erstens präsentieren sich moderne Autokraten wie Xi Jinping (China) und Wladimir Putin (Russland) sowie semiautokratische Politiker wie Donald Trump oder Viktor Orbán als vermeintliche Alternativen zu den als dekadent dargestellten liberalen Demokratien mit ihrem verwirrenden Pluralismus. Diese „starken Männer“ suggerieren, die gesellschaftlichen Veränderungen der Moderne zurückdrehen und eine (niemals existente) „gute alte Zeit“ wiederherstellen zu können. Zweitens sind Autokraten heute besser vernetzt. Sie sind nicht mehr wie früher eingepfercht in ihr ideologisches Lager, sondern unterstützen sich gegenseitig.
Trotz äußerlicher Gegensätze (das vulgärmarxistische Gerede von Venezuelas Nicolas Maduro oder Putins russonationalistisch-ostchristliches Getue) verbindet sie ein Ziel: als Kleptokraten ihre Macht zu sichern und sich persönlich maßlos zu bereichern. Dies erklärt, warum die Herrscher von Nicaragua und Nordkorea, von Syrien und Simbabwe erstaunlich gut miteinander auskommen. Applebaum legt in ihrem klugen und pointierten Buch offen, wie diese Allianz funktioniert und mit welchen Methoden die Autokraten versuchen, die öffentliche Debatte in den liberalen Demokratien zu beeinflussen und offene Gesellschaften zu spalten.
Dabei stoßen wir auf ein Paradoxon: So sehr die Autokraten auch versuchen, Demokratien zu unterminieren, so sehr sind sie letztlich auf sie angewiesen. Denn ohne die wirtschaftlich erfolgreicheren und gesellschaftlich attraktiveren Demokratien wären ihre eigenen Regime nicht lebensfähig. Das zeigt sich daran, dass die Oligarchen und Kleptokraten ihr Vermögen bevorzugt in demokratische Länder transferieren – sie investieren in Luxusapartments in London oder Nizza statt in Simbabwe oder auf Kuba. Ihre Kinder schicken sie nicht auf die Uni von Pjöngjang, sondern auf Eliteuniversitäten wie Oxford oder Harvard. Für sich selbst erkennen diese Profiteure der Autokratien also durchaus den Wert von Rechtsstaatlichkeit und eines Wirtschaftssystems, das auf Innovation statt Ausplünderung basiert.
Applebaums Analyse mag den Leser frustrieren, denn trotz ihres Blicks auf die unermüdlichen Demokratieaktivisten bleibt der Ausblick düster. Wer nach dieser Lektüre nach etwas Eskapismus sucht, mag sich an die 1036 Seiten von Frank Schätzings neuem Mittelalterroman „Helden“ (Spiegel-Bestseller Belletristik Hardcover, Platz 14, Kiepenheuer & Witsch, 36 Euro) wagen. Hat man den Vorgängerband „Tod und Teufel“ nicht gelesen, wird man sich anfangs in den Handlungssträngen, die zwischen Köln, England, Schottland und Frankreich des 13. Jahrhunderts wechseln, nur schwer zurechtfinden. Aber mit ein wenig Geduld gelingt der Einstieg in die Abenteuer des jungen Jacob, genannt „der Fuchs“, eines von einer düsteren Vergangenheit verfolgten verwaisten Bauernsohns aus der Nähe von Köln.
Auch wenn Schätzings Stil zu Redundanzen neigt, bietet sein Roman ein bisschen Ablenkung. So lassen sich beim Lesen der Geschichten über die Gewaltherrscher des ausgehenden Hochmittelalters ihre autokratischen Nachfolger der Gegenwart für einen Moment lang vergessen.