„Die Freispieler“: der erste inklusive Theaterkurs im Bandhaus

Seit Oktober 2023 findet im Bandhaus-Theater der erste inklusive Theaterkurs in Kooperation mit der Lebenshilfe Rems-Murr statt. Mit einer Aufführung des Stücks „Die drei Räuber“ von Tomi Ungerer geht er heute Abend zu Ende – vorerst: Der Kurs „Die Freispieler“ wird fortgesetzt.

Bei der Generalprobe haben die Darstellerinnen und Darsteller sichtlich viel Spaß. In der Szene oben bringt einer der drei Räuber (gespielt von Richie Kanke) das Pferd der Kutscherin (Tanja Liebig) mit einer Ladung Pfeffer in die Nüstern zum Stehen.  Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Bei der Generalprobe haben die Darstellerinnen und Darsteller sichtlich viel Spaß. In der Szene oben bringt einer der drei Räuber (gespielt von Richie Kanke) das Pferd der Kutscherin (Tanja Liebig) mit einer Ladung Pfeffer in die Nüstern zum Stehen. Fotos: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Backnang. Es herrscht Aufregung bei der Generalprobe der „Freispieler“ im Bandhaus-Theater am Dienstagabend. Wegen Weihnachten und des Jahreswechsels haben sich die meisten Mitglieder der inklusiven Theatergruppe längere Zeit nicht gesehen. Wie lautet der eigene Text noch mal? Wer muss wann auf die Bühne? Sich das alles zu merken sei das Schwierigste, sagt Richie Kanke. In dem Stück „Die drei Räuber“, das „Die Freispieler“ heute Abend aufführen (siehe Infotext), spielt der 46-Jährige einen der Räuber. Das erkennt man bei dieser Probe auch schon an seiner Kleidung: Zu seiner schwarzen Lederjacke trägt Richie Kanke ein rot-weiß gemustertes Halstuch in Cowboy-Manier, einen braunen Hut und eine schwarze Augenklappe. Zum Fürchten!

Um schnell wieder hineinzufinden, schlägt Juliane Putzmann vor, das Stück von Anfang an durchzugehen. Die Chefin des Bandhaus-Theaters leitet den Kurs mit Mia Birkenberger, die Lehramt an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg studiert – Theaterpädagogik gehört zu ihren Fächern. In dem Stück „Der goldne Topf“ von E.T.A. Hoffmann war Mia Birkenberger schon als Teil der Backnanger Bürgerbühne in der Rolle der Serafina im Bandhaus zu sehen. Nun verantwortet sie zum ersten Mal einen Kurs mit. „Es ist toll, als Tandem zu arbeiten“, sagt Juliane Putzmann.

Menschen mit und ohne geistiger Behinderung stehen zusammen auf der Bühne

„Die Freispieler“ ist der erste inklusive Theaterkurs, den das Bandhaus-Theater in Kooperation mit der Lebenshilfe Rems-Murr anbietet. Dabei stehen Menschen mit und ohne geistiger Behinderung zusammen auf der Bühne. Die Idee dazu hatte Juliane Putzmann schon länger. Konkret wurde sie nach einer Anregung von Annette Hohnerlein, der stellvertretenden Vorsitzenden der Lebenshilfe Rems-Murr, die regelmäßig auch für unsere Zeitung schreibt. „Lustigerweise hatte ich ein paar Tage vorher zu meinem Freund gesagt, dass ich so einen Kurs gerne einmal anbieten würde“, erzählt Juliane Putzmann. „Als sich dann auch noch Frau Hohnerlein gemeldet hat, hatte ich das Gefühl: Es ist an der Zeit.“

Seit Oktober 2023 trifft sich die Gruppe etwa alle 14 Tage. Beim ersten Treffen sei es erst mal nur darum gegangen, dass sich alle kennenlernen, sagt Mia Birkenberger. Beim zweiten Termin wurde das Stück ausgesucht und die Rollen wurden verteilt. „Mia und ich haben der Gruppe ein paar kürzere Geschichten vorgeschlagen“, berichtet Juliane Putzmann. Darunter eben auch „Die drei Räuber“ des französischen Grafikers und Schriftstellers Tomi Ungerer (1931 bis 2019) – eine Geschichte mit Herz, findet die Theaterleiterin. In dem 1961 erschienenen Kinderbuchklassiker treffen drei wilde Räuber auf das Waisenmädchen Tiffany. Die Männer nehmen sie mit in ihre Räuberhöhle. Was dann passiert, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. „Es ist auf jeden Fall ein sehr süßes Stück mit einer schönen Wendung“, findet auch Alexandros Vulgarakis. Der 32-Jährige aus Schwieberdingen kam über seine Freundschaft mit Mia Birkenberger zu den „Freispielern“.

Die drei Räuber (gespielt von Thilo Gaiser, Richie Kanke und – nur in der Probe – Juliane Putzmann, von links) präsentieren ihrem Räuberchef (Dieter Schüle, im Sessel) ihre Beute.

© Alexander Becher

Die drei Räuber (gespielt von Thilo Gaiser, Richie Kanke und – nur in der Probe – Juliane Putzmann, von links) präsentieren ihrem Räuberchef (Dieter Schüle, im Sessel) ihre Beute.

Einige der insgesamt zehn Teilnehmer und Teilnehmerinnen kannten sich schon, bevor der Kurs losging. Dieter Schüle, Tanja Liebig und Thomas Franz wohnen zum Beispiel zusammen. Anne-Lisa Oesterle und Richie Kanke sind ein Paar. Edith Eckert ist die Tante von Anne-Lisa Oesterle. Außerdem mit dabei sind Yolitzin Walker, Ruth Pelster und Thilo Gaiser, der schon seit gut sieben Jahren ehrenamtlich im Bandhaus-Theater mitarbeitet. Die Altersspanne reicht von 15 bis 76. Gerhard Kleesattel wird das Stück am Klavier begleiten. Anett Wildenhain kümmert sich um die Technik.

Sie dimmt das Saallicht, als sich die Kursmitglieder hinter die Bühne begeben. Vor dem schwarzen Vorhang stehen zwei Sessel mit Samtbezug und eine große Holztruhe, dahinter ist eine Wäscheleine aufgespannt, an der weiße Laken hängen. Auf das in der Mitte ist eine Illustration aus dem Buch von Tomi Ungerer projiziert.

„Wenn das Publikum sitzt, sind wir alle mucksmäuschenstill“, hört man Juliane Putzmann leise hinter dem Vorhang hervor. „Bevor es losgeht, sagen wir dann noch mal ‚toi, toi, toi‘ – das macht man im Theater so.“ In einer Probenpause erklärt sie: „Wenn eine Gruppe ganz neu Theater spielt, müssen die Spielerinnen und Spieler erst einmal ein Gefühl dafür entwickeln – für die Abläufe, die Gruppe und dafür, wie sie ihren Körper auf der Bühne einsetzen können.“ Einen Teilnehmer weist sie im Lauf des Abends zum Beispiel darauf hin, nicht mit dem Rücken zum Publikum zu stehen. Einer Darstellerin empfiehlt sie, aufrecht und mit stolz hervorgerückter Brust auf ihrem Stuhl zu sitzen.

Beide Seiten profitieren von dem Kurs

Von dem Kurs habe auch sie selbst sehr profitiert, wendet sich die gelernte Theaterpädagogin später an die Gruppe. „Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch. Durch euch habe ich gelernt, mehr an den Bedürfnissen und in dem Tempo der Spielerinnen und Spieler zu arbeiten. Das ist ja auch der Mehrwert von Inklusion – dass beide Seiten etwas davon haben.“ Das sehen auch die Darstellerinnen und Darsteller so. Wenn im Februar der Folgekurs beginnt, möchten sie alle wieder dabei sein. „Weil es so viel Spaß macht“, sagt etwa Thomas Franz, der früher als Lehrer selbst einmal mit seiner Klasse ein Musical eingearbeitet hat.

In den zurückliegenden Monaten ist die Gruppe zusammengewachsen. „Ich habe den Eindruck, wir spielen schon seit Jahren zusammen“, sagt Juliane Putzmann. „Ich träume schon vom Theater“, erzählt Tanja Liebig. Sie spielt die Kutscherin im Stück. Und das, obwohl sie anfangs gar nicht selbst auf der Bühne stehen wollte. „Das erste Mal war schwer für mich“, sagt sie und legt die Hände vors Gesicht. Jetzt aber freut sie sich schon auf die Aufführung heute Abend. Warum sich die Leute das Stück ansehen sollten? „Damit sie so viel Spaß haben wie wir!“, ruft Richie Kanke. Die Aufführung sei eine Bereicherung für alle Menschen – egal, ob mit oder ohne Handicap, so Thilo Gaiser. „Sie hilft, Berührungsängste in der Gesellschaft abzubauen und kulturelle Inklusion zu ermöglichen.“ Man merke es leider viel zu oft, dass Menschen mit Handicap in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen oder sogar ausgegrenzt werden, sagt er. „Für mich als Behinderter ist es ein großes Geschenk, dass Juliane, Mia und die Lebenshilfe mir das Theaterspielen ermöglichen.“

Aufführung und nächster Kurs

Vorstellung Heute Abend führen „Die Freispieler“ von 19 Uhr an das Stück „Die drei Räuber“ von Tomi Ungerer im Bandhaus-Theater auf. Der Einlass ist eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Der Eintritt ist frei. Die Gruppe freut sich über eine Spende.

Kurs Es steht bereits fest, dass der Kurs „Die Freispieler“ fortgesetzt wird. Vom 7. Februar an treffen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer alle 14 Tage zum Proben – insgesamt mindestens zehnmal. Welches Stück sie am Ende des Kurses aufführen werden, steht noch nicht fest. Sicher ist nur, dass es ein neues Stück sein soll.

Kontakt Mehr Infos zum Folgekurs erhalten Interessierte mit und ohne Behinderung per E-Mail an info@bandhaus-theater.de.

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Erstellt:
12. Januar 2024, 14:04 Uhr

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