Neu im Kino: „Bis ans Ende der Nacht“
Die Gender-Love-Story
„Bis ans Ende der Nacht“ ist ein bemerkenswerter Noir-Thriller – und mit dabei ist die wunderbare Thea Ehre.
Von martin schwickert
Ein halbes Dutzend Gäste haben sich zu einer Überraschungs-und Willkommensparty eingefunden, um Lenis (Thea Ehre) Rückkehr in die Freiheit zu feiern. Das kleine Fest ist für sie auch die Gelegenheit, den alten Freundinnen und Freunden ihren neuen Liebhaber Robert (Timocin Ziegler) vorzustellen. Sie habe den schmucken Koch in einem Restaurant in Hannover kennengelernt, als sie sich über sein Essen beschwerte, erzählt Leni. „Hamburg“ korrigiert Robert von der Seite.
Offensichtlich hat das Paar seine Kennenlern-Geschichte noch nicht synchronisiert. Aber die aufkommenden Irritationen werden zusammen mit dem Tiramisu im Mundwinkel einfach weggeküsst. Als die letzten Gäste gegangen sind, ändert sich schlagartig die Tonlage. Robert malt einen Kreis auf den Stadtplan. „Das ist dein Radius“ sagt er und legt Leni die elektronische Fußfessel an. Denn der Mann ist kein Koch, sondern ein verdeckter Polizei-Ermittler und Leni ist für ihn nur Mittel zum Zweck. Mit vagen Versprechungen wurde die verurteilte Dealerin, die früher Lenard hieß und heute als Frau lebt, vorzeitig aus der Haft entlassen. In Frankfurt am Main soll sie nun gemeinsam mit Robert einen florierenden Online-Drogenhandel infiltrieren. In einem Tanzkurs versuchen die beiden zu dessen Chef Victor (Michael Sideris) Kontakt aufnehmen, den Leni noch aus alten Club-Zeiten kennt.
Stilsicherer Genrefilm
Mit „Bis ans Ende der Nacht“ inszeniert Christoph Hochhäusler einen waschechten Noir-Thriller. Sein Film funktioniert als spannender, stilsicherer Genrefilm bestens und erzählt gleichzeitig eine komplexe Liebesgeschichte.
Der schwule Ermittler, der mit Leni, als sie noch keine Frau war, eine Affäre hatte, behandelt sie nun mit abfälliger Aggressivität und kann offensichtlich mit ihrer Verwandlung nicht umgehen. Aber wenn Robert in seine Scheinidentität als ihr Liebhaber eintaucht, wirken die gespielten Gefühle allzu überzeugend. Die Gender-Love-Story wird von Macht- und Identitätskonflikten angetrieben und bekommt durch die erfundene Legende der verdeckten Ermittlung einen zusätzlichen Resonanzraum. Dabei wird das Trans-Thema nicht „super woke“ herausgestellt, sondern vollkommen organisch in die Story eingeschmolzen. Dafür sorgt vor allem auch die wunderbare Thea Ehre, die bei der diesjährigen Berlinale für diese Rolle zurecht den Silbernen Bären verliehen bekam.
Polizei-Thriller, Melodram, Film Noir – Hochhäusler und sein Drehbuchautor Florian Plumeyer legen „Bis ans Ende der Nacht“ gezielt als Brücke zwischen verschiedenen Genres an, was die emotionalen Zwischenwelten, in denen sich die beiden Hauptfiguren bewegen, auch stilistisch fassbar werden lässt. Kameramann Reinhold Vorschneider taucht Frankfurt am Main in düstere, aber kontraststarke Bilder, ohne die urbanen Klischees von Bahnhofsviertel und Finanzmetropole zu bedienen. Dazu bietet der erlesene Soundtrack aus Schlagern von Heidi Brühl, Esther Ofraim, Evelyn Kühnecke und Hildegard Knef einen wunderbar dialektischen Gegenpol.
Bis ans Ende der Nacht. Deutschland, 120 Minuten. Regie: Christoph Hochhäusler. Mit Thea Ehre, Timocin Ziegler. Ab 12