Ein Häuptling über den Kinofilm „Killers of the Flower Moon“
„Dieser Film ist ein historisches Ereignis“
Chief Geoffrey M. Standing Bear ist Häuptling des indigenen Volks Osage. Regisseur Martin Scorsese hat für seinen neuesten Film, „Killers of the Flower Moon“, mit ihm zusammengearbeitet.
Von Patrick Heidmann
Chief Geoffrey M. Standing Bear ist seit 2014 Häuptling der Osage Nation. Die Kollaboration seines Stammes mit Martin Scorsese für den auf historischen Tatsachen basierenden Film „Killers of the Flower Moon“ war ihm auch deswegen ein Anliegen, weil ihm die Bewahrung der Sprache und Traditionen der Osage am Herzen liegt wie wenig anderes. Wir sprachen mit Chief Standing Bear per Videotelefonat.
Chief Standing Bear, die fürchterlichen Morde, die in den 1920er Jahren an Frauen und Männern Ihres Stammes begangen wurden, standen bereits 2017 im Zentrum eines Sachbuchs. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie hörten, dass eine Verfilmung geplant ist?
Ich war zunächst durchaus besorgt. Als Native Americans sind wir es gewohnt, dass unsere Geschichten erzählt werden, ohne dass wir ein Mitspracherecht haben. Es stand natürlich zu erwarten, dass da jemand kommt, der eben nicht zur Osage Nation gehört und deswegen nicht mit unseren Traditionen vertraut ist. Die übrigens – das muss man vielleicht dazusagen – auch andere sind als bei irgendeinem anderen Stamm, denn es gibt in den Vereinigten Staaten mehr als 600 verschiedene und jeder hat sein eigenes Brauchtum. In einer idealen Welt würde also eine Geschichte über unsere Vergangenheit nur mit unserer Beteiligung erzählt. Wirklich damit gerechnet habe ich nicht. Dann kam aber alles ganz anders.
Das lag an Martin Scorsese, der sich des Projekts als Regisseur annahm. Er nahm bereits 2019 Kontakt mit Ihnen auf?
Sobald ich hörte, dass er „Killers of the Flower Moon“ inszenieren wird, hatte ich ein gutes Gefühl, und das bestätigte sich sehr schnell. Als wir uns trafen, war ihm schon unsere Sorge zu Ohren gekommen, wo der Film wohl gedreht werden würde. Also versicherte er uns, dass für ihn lediglich unser Gebiet in Oklahoma als Drehort infrage käme. Überhaupt war schnell klar, dass es ihm ernst war mit einer authentischen Darstellung des Geschehens. Er garantierte uns, mit unserem Sprach- und dem Kulturdezernat sowie den Stammesältesten zu kollaborieren. Und es blieb nicht bei hohlen Versprechungen.
Wovor genau hatten Sie Angst?
Es wäre entsetzlich gewesen, wenn er die Osage lediglich als Gewaltopfer gezeigt hätte, als Leichen im Hintergrund, die letztlich nur dazu dienen, die Geschichten der weißen Männer zu erzählen. Doch mit Recht verwies er uns auf einige seiner früheren Filme wie den in Japan spielenden „Silence“ oder auch „Kundun“, in denen er bereits bewiesen hatte, wie sensibel und wahrhaftig er sich anderen Kulturkreisen annähert. Letztlich fiel mir der Entschluss leicht, ihm mein Vertrauen zu schenken.
Sie sind ein gebranntes Kind, was die Darstellung von Native Americans in Film und Fernsehen angeht. Fällt Ihnen jenseits von „Killers of the Flower Moon“ noch ein anderes Positivbeispiel ein?
Spontan denke ich an „Little Big Man“ mit Dustin Hoffman. Den mochte ich sehr, auch weil er viel Humor hatte, der meiner Meinung nach viel mit unserer Kultur zu tun hat. Es gab auch sonst in den letzten 50 Jahren noch ein paar andere Filme, die Native Americans nicht nur vorurteilsbehaftet und stereotyp gezeigt haben. Aber was es eben tatsächlich bei großen Hollywoodproduktionen nie gab, war die dezidierte Beteiligung der Betroffenen selbst. Was das angeht, ist Scorseses Film in meinen Augen nun wirklich ein historisches Ereignis.
Wie genau sah diese Beteiligung aus?
Mehr als 100 Menschen aus unserer Community haben nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera an der Entstehung des Films mitgewirkt. Scorsese und der Drehbuchautor Eric Roth überarbeiteten immer und immer wieder das Skript, um es anzupassen an das, was sie von unseren Sprach- und Geschichtsberatern lernten. Junge Osage arbeiteten in der Kostümabteilung mit, an der Seite des Kameramannes oder in anderen Bereichen, und etliche von ihnen verfolgen nun eine Karriere beim Film, weil Scorsese und sein Team ihnen da Möglichkeiten eröffnet haben. Zu sehen, wie diese Menschen nicht nur ihre Fähigkeiten verbessern konnten, sondern damit dann auch gleichzeitig etwas schufen, was unsere eigene Kultur sichtbar macht, war ein ganz besonderes Geschenk.
Apropos Vertrauen – tatsächlich ist ja „Killers of the Flower Moon“ auch eine Geschichte, die von Vertrauen und nicht zuletzt Verrat handelt, nicht wahr?
Genau das war Scorseses Antwort, als ich ihn fragte, wie genau er eigentlich diese umfangreiche, wahre Geschichte, in die Dutzende Regierungsbeamte, Ermittler, Anwälte, Gangster und Stammesmitglieder involviert waren, erzählen wolle. Als eine Geschichte über Vertrauen und das Hintergehen eben dieses Vertrauens – so beschrieb er mir sein Projekt. Und das Ganze auf zwei verschiedenen Ebenen. Einmal geht es um das Vertrauen, das die Osage damals der Außenwelt entgegenbrachten. Sie ließen nach den Ölfunden diese Siedler in ihr Reservat, weil sie an eine neue, gemeinsame Zukunft glaubten, nur um fürchterlich betrogen zu werden. Und zum anderen geht es eben auch ganz speziell um Mollie Kyle, eine Vollblut-Osage-Frau, die sich auf Ernest Burkhart einließ, einen Weißen, der ihr Vertrauen ebenfalls aufs Fürchterlichste missbrauchte.
Gerade weil diese Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben, bestand doch sicherlich die Gefahr, dass ein solcher Film auch re-traumatisierend auf die Osage wirken kann, oder?
Natürlich, und wir haben auch eigens Menschen in unserer Community, die darauf vorbereitet sind, jedem zu helfen, den die Auseinandersetzung mit „Killers of the Flower Moon“ traumatisiert. Aber gleichzeitig ist es eben auch wichtig, dass unsere Geschichte überhaupt einmal einer großen Öffentlichkeit erzählt wird. Außerdem haben wir mit transgenerationalen Traumata so unsere Erfahrungen, nach allem, was unser Volk in den letzten drei Jahrhunderten durchgemacht hat. So viel Verlust, von Leben, von Kultur, von Sprache. Das heilt niemals ganz, auch nicht nach mehreren Generationen.
Info
Häuptling Chief Geoffrey Standing Bear wurde in Oklahoma geboren und ist Rechtsanwalt. Seit 2014 ist er Häuptling des Indianerstamms Osage Nation.
Film In den frühen 1920er Jahren wurden mehrere reiche Angehörige des Indianerstamms der Osage in Oklahoma ermordet, nachdem große Ölvorkommen unter ihrem Land entdeckt worden sind. Mit „Killers of the Flower Moon“, der nun im Kino startet, hat Martin Scorsese das gleichnamige Sachbuch verfilmt – mit Leonardo DiCaprio, Lily Gladstone und Robert De Niro.