Digital ist nichts für Ältere? Von wegen!

Der Liederkranz Steinbach lässt sich von den Beschränkungen nicht unterkriegen. Das Üben vor dem Tablet ist jetzt angesagt.

Annelore Burgel demonstriert, wie das digitale Üben vonstattengeht. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Annelore Burgel demonstriert, wie das digitale Üben vonstattengeht. Foto: A. Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

BACKNANG. Da sage noch mal einer, dass die ältere Generation kein Interesse an Neuerungen hat! Ganz und gar nicht, wie Annelore Burgel vom Liederkranz Steinbach nachdrücklich erklärt. Denn mithilfe der digitalen Helferlein kann das Chorleben ihres Vereins auch in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Gesangsverbot im Chor stattfinden.

Doch von vorn. Wie auch viele andere Vereine war der Liederkranz Steinbach im vergangenen März von jetzt auf morgen durch den Lockdown betroffen – keine Kontakte mehr, kein gemeinsames Singen mehr, keine Veranstaltungen mehr. Recht schnell kam Chorleiter Lothar Lemcke auf die Idee, die virtuellen Möglichkeiten für die Übungsstunden zu nutzen. „Er kennt sich damit aus, daher war das gar kein Problem“, lobt Annelore Burgel den Einsatz des Dirigenten. Und das Interesse, die Singstunden nicht einfach ruhen zu lassen, war groß. Zwar verfügen nicht alle Sangesfreundinnen und -freunde über einen PC oder einen Internetanschluss, doch die große Mehrheit war von Anfang an bei den virtuellen Proben dabei. Und so konnte ab Mitte Mai zumindest digital geprobt werden. Die Zahl der Chormitglieder, die mitmachten, nahm von Mal zu Mal zu.

Zunächst ging es ins Freie, um gemeinsam zu proben.

Als die Beschränkungen schließlich gelockert wurden, kam die Idee auf, ins Freie zu gehen, um wieder gemeinsam zu proben. Immerhin geht es bei einem Verein ja nicht nur um den reinen Vereinszweck – genauso wichtig ist auch das Zusammensein, der gemeinsame Austausch, sich persönlich in die Augen blicken zu können. Daher fragte Annelore Burgel, Vorsitzende des Liederkranzes, immer wieder bei der Stadtverwaltung an, ob der Chor für seine Proben denn nicht den öffentlichen Platz hinter der Steinbacher Dorfhalle nützen dürfe – natürlich mit ausreichendem Abstand und unter Beachtung von Hygieneregeln.

Einmal hatte es geklappt, doch dann mussten sich die Sängerinnen und Sänger wieder nach einer Alternative umsehen, da singen auf öffentlichen Plätzen doch nicht erlaubt sei, hieß es. Wie gut, dass eines der Chormitglieder direkt am Dorfrand eine große Obstwiese sein Eigen nennt – und der zweite Vorsitzende Landwirt ist und einen Traktor zu Verfügung hat. Kurzerhand wurden die Proben von der virtuellen wieder in die reale Welt zurückverlegt, nämlich auf die Apfelwiese. Jeden Dienstag brachte Thomas Heller Stühle hin, damit bequemes Proben möglich war, immerhin sind einige der Aktiven schon jenseits der 80. Zusätzlich sorgte Wilfried Heller jede Woche dafür, dass gemäht war, keine Zecken den Singgenuss trübten und das Keyboard sicher hin- und wieder heimtransportiert wurde. Selbstverständlich wurde auf Abstands- und Hygieneregeln geachtet, der Chor war in zwei Gruppen aufgeteilt. „Wir hatten Glück“, so Annelore Burgel. „Es war ein schöner und regenarmer Sommer. Fast jeden Dienstag konnten wir auf die Wiese.“ Und weil das so gut klappte und das Wetter mitspielte, wurde selbst in den Sommerferien die Wiese als Probenplatz genutzt.

Bis in den September hinein war es möglich, draußen zu singen. Allerdings wurden die Proben aufgrund der nun immer früher einsetzenden Dunkelheit um eine Stunde vorverlegt.

Chorleiter Lothar Lemcke freut sich mit den Chorsängern über die Proben in der Natur.Foto: privat

Chorleiter Lothar Lemcke freut sich mit den Chorsängern über die Proben in der Natur.Foto: privat

Auch die Anwohner haben den Musikgenuss an den Dienstagabenden genossen. Ein Nachbar war sogar so begeistert, dass er einen Artikel schrieb und an die Zeitung schickte. Er öffne jedes Mal extra die Fenster, damit er besser hören könne, lobte er. Und auch die örtliche Pfarrerin Ulrike Heinrich bewies ein Herz für den raumlosen Liederkranz. Als die ehemalige Schulleiterin Annelore Burgel anfragte, ob Chorproben in der Kirche möglich seien, stimmte Heinrich sofort zu. Bis Ende Oktober konnte so in der Kirche in Sachsenweiler geprobt werden – mit Abstand, Maskengebot und in zwei Gruppen.

Doch seit dem erneuten Lockdown im November war auch dies nicht mehr möglich. Man kehrte zurück zum Online-Gesang. Jeden Dienstag treffen sich zunächst Sopran, dann Alt und zum Schluss Bass und Tenor vor den Bildschirmen. Zu Beginn gibt es noch Gelegenheit für ein Schwätzchen, dann wird es ernst. Chorleiter Lemcke stellt das zu übende Lied vor und spielt es auf dem Klavier, dann werden alle stummgeschaltet und üben für sich. Zum Abschluss tauscht sich die Gruppe darüber aus, wie es geklappt hat. Ein System, das gut funktioniert, lobt Annelore Burgel. „In weiser Voraussicht haben wir das Konferenzprogramm für ein Jahr gekauft.“ Jedoch ist geplant, ab April wieder mit den Open-Air-Proben weiterzumachen.

31 Aktive hat der Liederkranz und zwischen 15 und 22 sind digital dabei. „Allerdings“, gibt Burgel zu bedenken, „ist auch bei Proben in normalen Zeiten nicht immer jeder da.“ Was sie besonders freut: Niemand ist aus dem Chor ausgetreten. Besonders stolz ist sie „auf meine Senioren über 80. Die haben sich das Programm von ihren Kindern und Enkeln einrichten lassen und machen da jetzt mit.“ In seiner mittlerweile 115-jährigen Geschichte, der Liederkranz ist Steinbachs ältester Verein, hat sich der Chor noch nie unterkriegen lassen. Wobei – eines ist wirklich einzigartig seit seinem Bestehen: „Es ist das erste Mal in der Chorgeschichte, dass wir kein Dach über dem Kopf haben.“

Der Liederkranz Backnang-Steinbach freut sich jederzeit über neue Sängerinnen und Sänger, auch zur virtuellen Chorprobe. Auskunft erteilt Annelore Burgel unter Telefon 07191/68131.

Zum Artikel

Erstellt:
5. Februar 2021, 10:30 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen