Wendrsonn veröffentlicht neues Album

Interview Nach acht Jahren hat Wendrsonn mit „Älles oder Nix“ wieder ein Studioalbum veröffentlicht. Bandgründer und Frontmann Markus Stricker spricht im Interview über die Umbrüche der vergangenen Jahre, seinen Unfall beim Bergsteigen und gewonnene Klarheit.

Markus Stricker spielte mit Wendrsonn auch beim Benefizabschiedsabend zu Ehren Robert Antretters im Bürgerhaus. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Markus Stricker spielte mit Wendrsonn auch beim Benefizabschiedsabend zu Ehren Robert Antretters im Bürgerhaus. Foto: Alexander Becher

Herr Stricker, der erste Titel auf dem neuen Album heißt „Mir sen emmer no da“. Das passt gut, immerhin ist es das erste Studioalbum seit acht Jahren.

Stimmt. Wir hatten bei diesem Album aber die Chance, etwas zu machen, was wir noch nie gemacht haben: Wir konnten uns für die Aufnahmen fast ein Jahr Zeit lassen. In einem normalen Studio, wo jeder Tag einen Tausender kostet, könnte man das nicht zahlen, da muss es flutschen. Wir waren aber im Studio Drop D in Waiblingen. Das ist ein Projekt von Werner „Vier“ Bayer, den man von d&b Audiotechnik kennt. Die fanden uns gut und haben uns sehr gute Preise gemacht, so konnten wir in einem brutal kreativen Prozess viele neue Songs entwickeln. Das war ein Grund, warum es so lange gedauert hat. Die anderen waren natürlich die Umbesetzungen, der Tod von unserem Bassisten Ove Bosch und die absolute Sinnfrage während Corona.

Stand das Fortbestehen der Band
auf der Kippe?

Als Ove gestorben ist, war meine ganze Energie erst mal weg und ich hatte keinen Bock mehr. Unsere damals neue Sängerin Anke Hagner hat aber gesagt: „Markus, mit so einer Energie hört man nicht auf.“ Und daraufhin habe ich den Song „Mir sen emmer no da“ geschrieben. Er ist im Prinzip eine Momentaufnahme der letzten Jahre.

Haben diese Schicksalsschläge und der Ausstieg von Sängerin Biggi Binder und Drummer Heiko Peter die Themen und den Stil von Wendrsonn verändert?

Ja. Dadurch, dass ich einen Großteil der Songs und Texte schreibe, ist es zwar schon nach wie vor Wendrsonn, aber der kreative Input ist definitiv anders. Wenn du 15 Jahre mit jemandem auf der Bühne stehst, so wie ich mit Biggi, dann hast du eine tiefe Bindung. Und auch Heiko ist ein Mensch, den ich wahnsinnig schätze. Aber meine Devise im Leben ist: Nix ist fix. Ich konnte es mir zwar nicht vorstellen, ohne Biggi weiterzumachen, aber mit Anke funktioniert es, weil sie ein anderer Typ ist. Sie ist eine echte Bereicherung für uns und für das Album.

Das neue Album „Älles oder Nix“ der Band Wendrsonn. Foto: Markus Stricker

© Markus Stricker

Das neue Album „Älles oder Nix“ der Band Wendrsonn. Foto: Markus Stricker

Auch Sie selbst hatten im Juli ein prägendes Erlebnis. Was ist passiert?

An meinem 60. Geburtstag bin ich beim Abstieg vom Großen Krottenkopf gestürzt und nach einer längeren Rutschpartie in eine Spalte reingedonnert. Dabei hab ich mir den Knöchel gebrochen. Allerdings wäre ich ohne diese Spalte noch 30 Meter weitergerutscht und dann 350 Meter die Südwand hinabgestürzt. Dann wäre ich weg gewesen. Ich hatte unglaubliches Glück.

Wie geht es Ihnen heute mit
dieser Erfahrung?

Es ist schräg. Ich hatte immer wahnsinnig Angst vor dem Altern, wahrscheinlich weil man Vater schon mit 41 Jahren gestorben ist. Damals war ich gerade einmal 16. Seit dem Absturz ist diese Angst aber völlig weg. Ich habe gemerkt, wie schnell es vorbei sein kann. Die Hilflosigkeit in diesen drei, vier Sekunden... Das hat bei mir in der Birne echt etwas gemacht.

Etwas, das auch Ihre kreative Arbeit prägen könnte?

Ich bin seit diesem Vorfall sehr klar und relaxed. Ich verspüre keinen Druck mehr, als Musiker noch mal berühmt oder reich werden zu müssen. In der Vergangenheit habe ich immer total um den Erfolg der Band gekämpft. Jetzt dreht es sich eigentlich zum ersten Mal nur um die Musik. Und ich glaube, das merkt man dem Album auch an.

Der Song „Gega dr Wend“ war schon auf dem ersten Album im Jahr 2006. Warum dieses Remake?

Wir haben das Lied nach Jahren mal wieder live gespielt und neu arrangiert. Anke hat gesungen und ich finde, es passt hervorragend zu ihr. Es kam live so gut an, dass wir beschlossen haben, es neu aufzunehmen, zumal das Lied die Menschen berührt. Es geht dabei um die Geschichte der Gebrüder Bückle, die ebenso unglaublich wie wahr ist.

Ungewöhnlich für Wendrsonn ist
das Lied „Cannstatt“, das gesellschaftspolitische Fragen thematisiert.

Das stimmt. Aber das Schwabenland war früher mal sehr bekannt für seinen Liberalismus, und diese Schreier von links und rechts gehen mir mittlerweile so auf die Nerven. Es nervt mich, wie unsere Gesellschaft zerrissen ist. Wir müssen schauen, dass die Mitte wieder zusammenhält. Wenn ich sehe, dass bei mir im Ort eine Oma, die drei Kinder aufgezogen hat, Flaschen sammeln gehen muss... Das geht einfach nicht, das tut mir weh. Ich habe mich, was die Politik betrifft, immer zurückgehalten. Aber ich habe das Gefühl, dass man so einen Song, einen Delta-Blues, über Sachen schreiben muss, die einen berühren und die deshalb auch andere berühren.

Bei „Ab morga“ geht es um Alkoholismus, Bulimie und andere Formen
der Selbstzerstörung – auch das ist ungewohnt düster.

Auf der Bühne sage ich immer: „Ihr könnt raten, was davon autobiografisch ist und was nicht.“ (lacht) Mich reizen einfach Menschen, die etwas aus der Norm fallen. Es ist auch ein sehr persönliches Lied, weil es für jeden Vers eine reelle Person in meinem Umfeld gibt. Und das waren oft Menschen, die wirklich gar nichts dafür konnten, weil sie einfach eine furchtbare Kindheit hatten. Mir war es als Musiker immer wichtig, im Dialekt Lieder zu machen wie Hubert von Goisern oder BAP. Lieder, die reell sind und nicht nur Schenkelbatscher.

Welche Bedeutung haben Liveauftritte für Wendrsonn?

Manchmal kann es hart sein, freitagmittags im Stadtverkehr irgendwohin fahren zu müssen. Es ist auch körperlich hart, weil wir alles selbst auf- und abbauen. Aber es ist einfach geil. Es ist einfach brutal schön, Musik machen zu dürfen mit so tollen Leuten. Ich sehe mich ja eher als Songschreiber, weniger als Musiker. Und Leute wie Klaus Marquardt oder Michael Schad sind einfach Koryphäen. Dafür bin ich dankbar.

Das Gespräch führte Kai Wieland.

Kaufen Das neue Album „Älles oder Nix“ von Wendrsonn ist auf den gängigen Streaming-Plattformen zu hören. Die CD kann man außerdem im Webshop der Band unter www.wendrsonn.de bestellen.
Infos und Termine

Band Wendrsonn wurde 2004 von Markus Stricker und Michael Schad gegründet. Die Band mischt Rock, Blues und Folk mit traditionellen Melodien und schwäbischen Volksliedern, überwiegend handelt es sich beim Repertoire der Band um Eigenkompositionen. Die Texte sind fast ausschließlich auf Schwäbisch. Über die Jahre wurde Wendrsonn mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Rock-&-Pop-Preis 2016 für das beste Folkrockalbum („Geile Zeit“). Ihr Song „Da ben i dahoim“ schaffte zudem mehrfach den Sprung in die SWR1-Hitparade.

Besetzung Derzeit besteht die Band aus Markus Stricker (Gesang), Michael Schad (Gitarre), Anke Hagner (Gesang), Klaus Marquardt (Geige), Robert Wittmaier (Schlagzeug) und Martin Hofpower (Bass).

Konzerte Das nächste Konzert findet am Donnerstag, 10. Oktober, an der Volkshochschule Schwäbisch Gmünd statt (19 Uhr).
Im kommenden Jahr spielt die Band auch einige Konzerte im Rems-Murr-Kreis: in Großerlach (8. Februar), Schorndorf (15. Februar), Sulzbach an der Murr (21. Juni) und Winnenden (1. August).

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Erstellt:
7. Oktober 2024, 06:00 Uhr

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