„Stolz und Vorurteil“ im Theater Tri-Bühne in Stuttgart
Ein feministisch angehauchter Bühnenzauber
„Stolz und Vorurteil“ gehört zu den beliebtesten Werken Jane Austens. Florian Dehmel hat den Heiratszirkus als moderne Posse am Theater Tri-Bühne in Stuttgart inszeniert.
Von Kathrin Horster
Romantik ist was für Warmduscher. Mrs. Bennet interessieren nur kalte Fakten: Fünf Töchter muss die besorgte Mutter möglichst bald an den wohlhabenden Mann bringen – Jane, Lizzy, Mary, Kitty und Lydia – sonst könnte sie nach dem Tod von Mr. Bennet alles verlieren.
Der nächstbeste reiche Schwiegersohn, Mr. Bingley, aber will nach anfänglicher Schwärmerei nichts mehr von Jane wissen, während Lizzy sowohl Mr. Bingleys arroganten Freund Mr. Darcy als auch den schmierigen Verwandten Mr. Collins abblitzen lässt. Fehlten reichen Familien zu Beginn des 19. Jahrhunderts eigene Söhne oder angeheiratete Gatten im Haus, fiel deren Besitz an die weiter entfernte männliche Verwandtschaft .
Ein fieses Erbsystem, das die berühmte englische Dichterin Jane Austen in „Stolz und Vorurteil“ (1813), einem ihrer beliebtesten Werke, als Instrument zur Unterdrückung weiblicher Eigenständigkeit beschreibt. Woraus sich die anhaltende Begeisterung für Austen-Romane speist, wirkt in Anbetracht der Lebenswirklichkeit moderner Leser allerdings mysteriös. Kreisen die Erzählungen abseits von Austens erzählerischer Raffinesse und sozialer Beobachtungsgabe doch immer wieder um ähnlich gelagerte Probleme mehr oder weniger wohlhabender bis adeliger Menschen im Spannungsfeld von Vernunft, Kalkül und romantischer Zuneigung.
Fünf Frauen schlüpfen in 18 Rollen
Die schottische Schauspielerin und Autorin Isobel McArthur hat sich der gepflegten Langeweile angenommen und „Stolz und Vorurteil“ als feministisch angehauchten Bühnenzauber adaptiert. Von 2019 bis 2020 tourte McArthur damit erfolgreich durch Schottland und England. Jetzt hat Florian Dehmel, langjähriger Regieassistent am Theater Tri-Bühne, den überdrehten Spaß an seinem Stammhaus in Stuttgart inszeniert.
Fünf Frauen, allesamt zunächst kostümiert als Dienstmädchen, schlüpfen im Verlauf der etwas mehr als zwei-einviertelstündigen Inszenierung in die insgesamt 18 Rollen. „I’m a bitch, I’m a lover, I’ m a child, I’ m a mother“, schmettern die fünf zur Einstimmung einen der vielzähligen Girl-Power-Hits der späten 1990er-Jahre. Jane Austen habe sich immer nur um die Herrschaften gekümmert, nicht aber um das strippenziehende Personal im Hintergrund, erklären die Frauen in einem kurzen Prolog, bevor Anuschka Herbst die Kittelschürze ihrer Magd gegen das elegant-seidene Hauskleid von Mrs. Bennet tauscht.
„Stolz und Vorurteil“ wird als wilder Mummenschanz, als Stück im Stück von Charakteren aufgeführt, die bei Austen höchstens Korsette schnüren und Teetassen reichen dürfen. Kein Wunder, dass die literarisch Marginalisierten in McArthurs Version die Chance nutzen, ihre Herrschaft im Spiel durch den Kakao zu ziehen. Während Juliane Braig Lizzy Bennet einigermaßen ernsthaft als widerspenstigen Freigeist gibt, der sich nach langem Hin und Her endlich in den steifen Snob Mr. Darcy (Anuschka Herbst) verknallt, interpretiert Cathrin Zellmer die wissbegierige Mary als motorisch ungelenke Brillenschlangen-Karikatur, die jeden Ball mit ihrem Gezappel sprengt.
Von den Gefühlen übermannt
Statt Walzer, Polonaise und Quadrille gibt es Karaoke-Einlagen, wenn die Figuren von ihren Gefühlen übermannt werden. So fragt Mr. Bingley (Stefani Matkovic) die von ihm überwältigte Jane (Natalja Maas) mit dem schönen Shirelles-Song: „Will you still love me tomorrow?“. Mr. Darcy hingegen weigert sich, den Sonny zu Lizzys schräger Cher-Imitation bei „I got you, Babe“ zu mimen.
Virtuos sind die fliegenden Klamotten- und Frisurenwechsel. Mit hübschen Regie-Einfällen bebildert Florian Dehmel auch Janes wilden Ritt durch Wind und Wetter zum Landsitz von Mr. Bingley und zwei parallele Gespräche auf dem Herren- und Damenklo. Haarscharf an der Grenze zur Albernheit manövriert Dehmel sein enthusiastisches Ensemble durch den verwinkelten Plot, beharrt aber jenseits aller Volten auf dem ernsthaften Kern von Jane Austens Dichtung. Am Ende ist man trotzdem heilfroh, wenn endlich jeder Topf seinen Deckel und der irrwitzige Heiratszirkus ein Ende findet. Die Romantik bei Jane Austen ist hart erkämpft. Von wegen „was für Warmduscher“!
Termine: 12. März, 3. und 18. bis 20. April, 19 Uhr. Infos gibt es hier.