Neu im Kino

Eine ganz normale dysfunktionale Familie

Nach sieben Jahren „Babylon Berlin“ drängte es Tom Tykwer mit „Das Licht“ wieder ins Kino, in die Gegenwart und in ein Berlin, das in malerischem Dauerregen versinkt.

Lars Eidinger als Vater Tim und Nicolette Krebitz als Mutter Milena in Tom Tykwers „Das Licht“.

© epd/X-Verleih

Lars Eidinger als Vater Tim und Nicolette Krebitz als Mutter Milena in Tom Tykwers „Das Licht“.

Von Martin Schwickert

Was wäre das deutsche Kino ohne Tom Tykwer? Auf jeden Fall ein gutes Stück mutloser. Als bekennender Cineast hat Tykwer nie aufgehört, sich weit aus dem Fenster zu lehnen. Mit seinem Echt-Zeit-Liebesthriller „Lola rennt“ (1998) verfolgte er ein atemloses Erzählkonzept, mit dem er auch ein Publikum und Anerkennung jenseits der Landesgrenzen gewann. Seitdem gehört Tykwer zu den wenigen deutschen Regisseuren, die international agieren, ohne dafür gleich nach Hollywood umsiedeln zu müssen.

In „Heaven“ (2002) arbeitete er mit Cate Blanchett, in „Das Parfum“ (2006) mit Dustin Hoffmann, in „The International“ (2009) mit Naomi Watts und Armin Müller-Stahl, in der David-Mitchell-Verfilmung „Cloud Atlas“ (2012) teilte er sich die Regie mit den legendären Wachowski-Geschwistern, in „Hologramm für den König“ (2016) nahm er Tom Hanks unter Vertrag. Zwischendrin kehrte immer wieder nach Deutschland zurück für intime Produktionen wie „Drei“ (2010) oder für die Serie „Babylon Berlin“, die demnächst in die vierte und letzte Staffel geht.

Neben Wim Wenders hat wohl kaum ein anderer deutscher Regisseur eine solch abwechslungsreiche Filmographie zustande gebracht. Keiner der Filme kann als perfektes Meisterwerk durchgehen, aber jede Regiearbeit Tykwers ist von einer lebendigen Ambition, dem Mut zum Risiko und einer riesengroßen Liebe zum Kino angetrieben.

All dies gilt auch für Tykwers neusten Film „Das Licht“, der in diesem Jahr die Berlinale eröffnete. Nach sieben Jahren „Babylon Berlin“ drängte es Tykwer wieder ins Kino, in die gesellschaftliche Gegenwart und in ein modernes Berlin, das in einem malerischen Dauerregen versinkt. Aber an den meteorologischen Herausforderungen scheint sich im Film keine der Figuren zu stören, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um sich um das apokalyptische Wetter zu scheren. „Wir sind eine ganz normale dysfunktionale Familie“ sagt die 17-jährige Frieda (Elke Biesendorfer), als sich die neue Haushälterin bei ihnen vorstellt. Und tatsächlich leben die Mitglieder der Familie Engels nebeneinander her, ohne sich gegenseitig in die Augen und Herzen zu blicken.

Melina (Nicolette Krebitz) baut mit bundesdeutscher Förderung in den Slums afrikanischer Städte Theater-und Kulturzentren auf. Die NGO-Jetsetterin pendelt zur Zeit zwischen Nairobi und Berlin hin und her. Als die Gelder für ihr Projekt gestrichen werden sollen, gerät nicht nur ihr berufliches Sein ins Schlingern. Tim (Lars Eidinger) arbeitet in einem privat finanzierten Thinktank, der globale Zukunftsperspektiven entwickelt und mit Multimedia-Kampagnen die Menschen zum Umdenken bewegen will. Das Liebesleben zwischen den beiden ist schon vor langer Zeit zum Erliegen gekommen und auch die Paartherapie kann den ehelichen Entfremdungsprozess nicht aufhalten.

Sohn Jon (Julius Gause) ist als erfolgreicher Gamer unter seiner VR-Brille gänzlich ins parallele Spieluniversum abgetaucht. Tochter Frieda feiert sich mit Freunden exzessiv durch die Berliner Clublandschaft. Doch dann taucht Farrah (Tala al-Deen) als Haushälterin auf und bringt die eingefahrenen Familienstrukturen ins Wanken. In Syrien arbeitete sie als Psychologin in einem Krankenhaus. Schnell entwickelt sie einen Draht zu den einzelnen Familienmitgliedern.

Aber der vermeintliche, therapeutische Schutzengel hat eine eigene Agenda – und eine Wunderlampe, deren flackerndes Licht im Gehirn bewusstseinserweiternden Sub-stanzen freisetzt. Vor der Lampe stellt Farrah auch die spirituelle Verbindung zu ihrer eigenen Familie her, deren Schicksal der Film lange im Dunkeln belässt.

Mit „Das Licht“ begibt sich Tom Tykwer knietief in die rauen Widersprüche unserer Gegenwart. Er zeigt die unzähligen Gräben zwischen den Menschen – und deren fehlenden Mut darüber zu springen. „Das Licht“ ist ein Film, der viel will – und in diesen drängenden Wollen nicht immer erfolgreich ist. Tykwer konfrontiert die Sorgen und Nöte einer dysfunktionalen, grün-bürgerlichen Wohlstandsfamilie mit dem verzweifelten Schicksal einer Migrantin, die hier jedoch jenseits aller Opferklischees auf Augenhöhe und in eigener posttraumatische Mission agiert.

Generationskonflikt auf Augenhöhe

Beachtlich ist, dass das Schicksal der Geflüchteten nicht zur Relativierung der Mittelstandsprobleme eingesetzt wird. Beide Sphären stehen im Film gleichberechtigt nebeneinander, kontrastieren sich und treten in Kontakt miteinander, so wie es in den urbanen, multikulturellen Gesellschaft längst geschieht. Der Film erzählt auch von neuen Generationskonflikten zwischen Eltern, die sich in ihrer Blase als Weltverbesserer eingerichtet haben und von ihren Kindern die Wirklichkeit ihres Scheiterns vorgeführt bekommen. Es ist ein Generationskonflikt auf Augenhöhe, in dem es nicht mehr darum geht, elterliche Autorität zu unterminieren, sondern um die Infragestellung des gemeinsamen moralischen Nenners.

Individuelle Gefühlslagen werden übrigens gerne in Musicaleinlagen übermittelt, wodurch die ernste Erzählung zwischenzeitlich mit einer gewissen Selbstironie durchdrungen wird. Dann gibt es das flackernde Licht der Lampe – ein real existierendes therapeutisches Gerät, das zu einem telepathischen Finale führt, welches radikale Verstörung und Versöhnung auf der Leinwand nicht vollkommen überzeugend zusammenzubringen versucht. Und schließlich ist da noch dieses dauerverregnete Berlin, das seine traurigen Fassaden auf der nassen Fahrbahn spiegelt und noch nie so hübsch-hässlich-melancholisch anzusehen war wie in dieser cineastischen Familienaufstellung.

„Das Licht“ D 2025 162 min, R&B: Tom Tykwer. K: Christian Almesberger. D: Nicolette Krebitz, Lars Eidinger, Tala al-Deen, FSK 12

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Erstellt:
18. März 2025, 15:26 Uhr

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