Neu im Kino: „Alles steht Kopf 2“

Gefühlschaos in der Kommandozentrale

Wie schon der Vorgängerfilm findet „Alles steht Kopf 2“ fantastische Animationsbilder für das chaotische Treiben im Gehirn eines Mädchens, das sich vom Kind zur Jugendlichen entwickelt.

Diese Typen bedienen also das Schaltpult im Hirn der 13-jährigen Riley.

© Pixar

Diese Typen bedienen also das Schaltpult im Hirn der 13-jährigen Riley.

Von Martin Schwickert

Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel – fünf Gefühle und ihre wechselseitigen Interaktionen standen im Zentrum des Pixar-Filmes „Alles steht Kopf”, der 2015 in den Kopf eines elfjährigen Mädchens reiste. Dabei gelang es dem Regisseur Pete Docter die komplexen emotionalen Prozesse im Leben eines Kindes aus der inneren Hirnperspektive zu beschreiben und mit überbordendem Einfallsreichtum zu illustrieren. Der Schlüssel hierfür war die Personalisierung der einzelnen Gefühle, die von der gelb strahlenden Freude bis zum blau-düsteren Kummer zu eigenständigen Charakteren ausgebaut wurden.

Teil 1 – eine kühne Mixtur aus Kinderabenteuer und Hirnforschung

Wie auf der Brücke eines Raumschiffes standen die fünf und versuchten an den Reglern des Cockpits die elfjährige Riley nach einem Umzug in die Stadt durch ihre erste Lebenskrise zu navigieren. Die Reise führte durch gigantische Regale des Langzeitgedächtnisses, zu Studios zur Traumproduktion und Müllkippen des Vergessens, tief ins Gehirn hinein, wo aus Erlebnissen Erinnerungen werden und sich aus den Erfahrungen allmählich die kindliche Persönlichkeit herausbildet. „Alles steht Kopf” war eine kühne Mixtur aus Kinderabenteuer und Hirnforschung, die ihr komplexes Sujet kunstvoll auf Augenhöhe zu seinem jungen Publikum verhandelte.

Trotz eines weltweiten Einspielergebnisses von mehr als 858 Millionen Dollar ließ sich Pixar neun Jahre Zeit, um ein Sequel auf die Beine zu stellen. Teil 2 beginnt mit einem ganz normalen Samstag im Leben der mittlerweile 13-jährigen Riley, die mit ihren beiden besten Freundinnen ein Eishockeyspiel hat. Während das Mädchen auf Schlittschuhen dem Puck hinterherjagt, sind oben auf der Kommandobrücke alle fünf Emotionen in vollem Einsatz. Wie die Spielerinnen auf dem Eis punkten auch die Gefühle im Gehirn durch effiziente Teamarbeit.

Vier neue Emotionen wollen mitreden

Aber in der Nacht darauf beginnt auf dem Schaltpult eine kleine rote Lampe zu blinken, auf der „Pubertät” steht. Wenige Sekunden später saust eine Abrissbirne in die Kommandozentrale, und ein Dutzend Bauarbeiter stürmt herein, um mit der Sanierung zu beginnen. Das Schaltpult wird neu verdrahtet und reagiert nun hochsensibel. Die kleinste Berührung reicht aus, um in Riley extreme Reaktionen zu entfachen. Außerdem sind plötzlich vier neue Emotionen im Raum und beanspruchen ihr Mitspracherecht.

Der kleine, agile, orangefarbene Zweifel setzt sich gleich an die Regler, um jedes potenzielle Fehlverhalten des Teenagers zu verhindern. Seine präventive Verhaltenspolitik ist das genaue Gegenteil zur Spontanität, welche die Kollegin Freude favorisiert. Zwischendrin regiert noch Neid mit herein, die Rileys soziales Umfeld eifersüchtig beäugt. Im Hintergrund steht ein großer, stummer Kerl namens Peinlichkeit, der schnell rot anläuft und sich in die Kapuze seines Hoodies verkriecht. Auf dem Sofa lungert schließlich noch Ennui und greift zutiefst gelangweilt nur gelegentlich ins chaotische Geschehen ein.

Die friedlichen Kindertage sind für immer vorbei

Während alte und neue Gefühle in ihrem Kopf um die Vorherrschaft ringen, versucht sich Riley in das soziale Gefüge eines Eishockey-Camps zu integrieren. Da sind auf der einen Seite ihre beiden alten Freundinnen, mit denen sie die halbe Kindheit auf dem Eis verbracht hat, und auf der anderen Seite das Team um die strahlende Hockey-Königin Valentina, die Riley schon lange bewundert. Freundschaft, Loyalität, sportlicher Ehrgeiz, sozialer Anpassungssdruck, Lust auf Neues und Angst davor – das pubertäre Gefühlskarussell dreht sich auf Hochtouren, und die friedlichen Kindertage scheinen für immer vorbei zu sein.

Wie schon der Vorgängerfilm findet auch „Alles steht Kopf 2“ unter der Regie von Kelsey Mann fantastische Bilder für das chaotische Treiben im Gehirn eines Mädchens, das sich vom Kind zur Jugendlichen entwickelt. Das Unterbewusstsein, in das Freude & Co. nach der Machtübernahme der neuen Gefühle verfrachtet werden, ist ein finsterer Gewölbekeller mit dicken Tresortüren.

Ein Persönlichkeitsskulptur bildet sich nach und nach heraus

Wenn Riley zum ersten Mal gegenüber ihren neuen Freundinnen versucht, sarkastisch zu sein, reißen tiefe Schluchten in der Hirnlandschaft auf. An einem anderen Ort werden die gemachten Erfahrungen in einer Glaskugel zu Wasser gelassen, woraus vom jeweiligen Gefühl gefärbte Fontänen in den Himmel schießen. Diese bündeln sich wiederum in einer Art Springbrunnen, aus dem sich die Persönlichkeit als pittoreske Skulptur herauskristallisiert. Der Kampf um die Gestaltung dieser Persönlichkeitsskulptur ist das Epizentrum der Auseinandersetzung zwischen alten und neuen Gefühlen.

Klassischer Coming-of-Age-Film

Schließlich müssen alle Beteiligten einsehen, dass die Zeit der emotionalen Unschuld vorbei ist und das Miteinander widersprüchlicher Gefühle zur Entwicklung ihres Schützlings gehört. So ist „Alles steht Kopf 2“ ein klassischer Coming-of-Age-Film, der mit haptischer Anschaulichkeit den Weg von der Kindheit zur Jugend beschreibt – auch wenn er das zentrale Thema der Pubertät – die erste Liebe – noch ausspart.

Alles steht Kopf 2: USA 2024, Regie: Kelsey Mann, 100 Minuten.

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Erstellt:
12. Juni 2024, 00:12 Uhr

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