„The Greek Passion“ bei den Festspielen
Große Oper in Salzburg
Bei den Salzburger Festspielen inszeniert Simon Stone „The Greek Passion“ – und sorgt so für den ersten Musiktheater-Erfolg des Festivals in dieser Saison.
Von Susanne Benda
Am Ende liegt der Held, der Gute, auf dem Boden in einer riesigen roten Lache aus Theaterblut, die Arme zu den Seiten ausgebreitet wie ein liegender Gekreuzigter. Links von ihm, in fast durchweg grauen Gewändern, stehen die Bewohner eines Dorfs irgendwo in Anatolien. Rechts warten, bunt gewandet, bepackt mit Tüten, Säcken und Zelten: Flüchtlinge. Der Tote in der Mitte hat für sie seine Arme ausgebreitet und dafür mit dem Leben bezahlt. Man hat ihn erschlagen – aus Angst vor dem Neuen, Anderen, vor dem Chaos. Mit dem Auszug der Fremden von der Bühne endet die Oper, die Bohuslav Martinu in den späten 1950er Jahren komponierte. Ein großer Chor verlässt die weiß ausgekleidete, hermetische Bühne der Salzburger Felsenreitschule – und das lange jubelnde Publikum der Salzburger Festspiele feiert bei der letzten Opernpremiere der Saison deren ersten großen Musiktheater-Erfolg.
Das ist insofern nicht verwunderlich, als „The Greek Passion“ („Die griechische Passion“) ein brennend aktuelles Thema aufgreift: den Umgang mit Menschen, die vor Hunger, wirtschaftlicher Not oder politischer Repression geflohen sind und nach neuer Heimat suchen. Der Roman von Nikos Kazantzakis, auf dem die Oper fußt (und der im Original „Der nochmals gekreuzigte Christus“ heißt), spielt während des griechisch-türkischen Kriegs um 1922, und er spiegelt genau das, was angesichts der Flüchtlingsströme heute viele Menschen umtreibt: die Ambivalenz zwischen Empathie und Moral auf der einen, Furcht und Abwehr auf der anderen Seite. Dass sich konservative, ja national-rechtsgerichtete Kräfte die Ängste zunutze machen: Auch dies ist Thema des Stücks, in dem ausgerechnet ein Priester, der um Machtverlust fürchtet, zum Mord aufruft.
Wunderschöne Soli
Hinzu kommt eine Art Theater auf dem Theater: An ebenjenem anatolischen Ort plant man die Aufführung eines Passionsspiels. Dorfbewohner übernehmen die Rollen von Petrus, Jakobus, Johannes, Judas, Maria Magdalena. Der Hirt Manolis soll Christus spielen, und nach und nach wird er zu dieser Figur – so wie die anderen zu den ihren. Nach seinem Tod bedeckt Katerina als Maria Magdalena seine Leiche mit Tränen.
Tatsächlich ist das Stück weniger eine Oper als ein Passionsoratorium, und so hat es der schweizerisch-australische Regisseur, Schauspieler und Autor Simon Stone auch inszeniert. Zu sehen sind große Tableaus, in denen die sich Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor exzellent präsentiert. Hier vor allem entfaltet die Musik des tschechischen Weltbürgers Martinu mit ihrer raffinierten Mischung von byzantinischen Hymnen, mährischer und slowenischer Volksmusik, Griechischem und US-Amerikanischem, Film- und Kirchenmusik, schroffen Dissonanzen und sattem Wohlklang große Wirkung. Maxime Pascal hält am Pult der Wiener Philharmoniker klug die Balance zwischen struktureller Klarheit und Ohrenschmeichelei. Unter seiner Leitung wirkt das Orchester hoch konzentriert – und gelangt zu wunderschönen Soli nicht nur bei Bratsche und Englischhorn.
Ein Appell an das moralische Gewissen
Auf den ersten Blick macht Stone nicht viel. Er lässt lange auf- und abgehen, spielt mit dem Wechsel zwischen Weitwinkel und Nahaufnahme. Er ermöglicht dem Publikum, ein nur selten gespieltes Werk (das hier in seiner zweiten, der Zürcher Fassung von 1961 gegeben wird) ziemlich unverfremdet kennenzulernen. Außerdem gibt Stone den Sängerinnen und Sängern eine Plattform, und so haben unter anderen der fein und eindringlich gestaltende Tenor Sebastian Kohlhepp als Maniolos, die mit feurigem Timbre hochempathisch singende Sara Jakubiak als Katerina, Christina Gansch als blühende, glühende Lenio und Julian Hubbard als Panais viel Raum. Es ist ein Abend der Sänger.
Aber nicht nur. Denn Stone öffnet dezent Räume. Aus Klappen im Boden fahren einzelne Figuren und Gruppen auf die Bühne und wieder hinab. Im Hintergrund öffnen sich Fenster, geben den Blick auch frei auf einen Akkordeonspieler, dessen Klänge Martinu in seine Partitur hineinschneidet. Fenster auf, Fenster zu: So funktioniert auch die Partitur. Selbst wenn zwischendurch mal grüne Fontänen aus dem Bühnenboden entspringen und wenn die Lichtregie (virtuos!) die Bühne in wechselnde Farben taucht: Dann korrespondiert auch dies mit der farbschillernden Musik. „Refugees out“ malen am Ende zwei Männer an Seilen an die Bühnenrückwand. Es ist ein Appell ex negativo – ein Appell an das moralische Gewissen, getragen von der Utopie, dass Kunst die Menschen verändern könne. Kann sie?
„The Greek Passion“ in Salzburg
RegisseurSimon Stone (38), in Basel geboren und in England und Australien aufgewachsen, arbeitet für Film, Schauspiel und Oper. In Salzburg hat vor allem seine Inszenierung von Aribert Reimanns Shakespeare-Oper „Lear“ 2017 für Furore gesorgt.
DirigentSeit dem Gewinn des Salzburger Young Conductors Award 2014 gilt der 37-jährige Franzose Maxime Pascal als einer der vielversprechendsten Nachwuchsdirigenten. Seine Schwerpunkte, französische Musik, Werke des 20. Jahrhunderts und Neue Musik, pflegt er auch mit seinem eigenen Ensemble Le Balcon
Hauptfigur Der Tenor Sebastian Kohlhepp, von 2015 bis 2017 Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart, ist vom Chorsänger zum Solisten geworden. In Stuttgart hat Kohlhepp vor allem als Ferrando in Mozarts „Così fan tutte“ geglänzt.
Aufführungen18., 22. und 27. August. Karten unter www.salzburgfestival.at