Streit um Stuttgarter Ballettfilm
Ist „Cranko“ ein Fall fürs Gericht?
Joachim A. Langs Spielfilm „Cranko“ läuft derzeit erfolgreich in den Kinos. Nun erhebt der Autor Thomas Aders Vorwürfe gegen den Regisseur. Das Drehbuch basiere auf Aders Roman „Seelentanz“.
Von Andrea Kachelrieß
Die Art und Weise, wie Joachim A. Lang in seinem Spielfilm „Cranko“ das dramatische Leben des früh verstorbenen Choreografen in Bilder packt, bewegt die Menschen. Selbst Männer, so berichtet ein Stuttgarter Kinobetreiber, verließen die Vorstellungen mit Tränen in den Augen.
„Ich hätte heulen können, als ich den Film gesehen habe“, sagt Thomas Aders. Doch die unterdrückten Tränen des SWR-Dokumentarfilmers und Autors hatten nichts mit Rührung zu tun. Dazu kennt Aders die Höhen und Tiefen im Leben Crankos zu gut, schließlich hatte er sie in seinem 2020 erschienenen Roman „Seelentanz“ verarbeitet. 15 Jahre lang hatte er recherchiert, um den Weg der von Stuttgart aus weltberühmt gewordenen Ballettlegende nachzuzeichnen. Das Resultat ist ein Plot, der den Bogen schlägt von Crankos Kindheit in Südafrika bis zur Trauerfeier in Stuttgart.
Eine Fachanwältin soll die Parallelen prüfen
Genau dieser Dramaturgie folgt aus Aders’ Sicht auch der Film von Joachim A. Lang, der derzeit erfolgreich in den Kinos läuft. Der Autor hatte, wie er am Telefon berichtet, folglich eher mit Tränen der Wut zu kämpfen, als er „Cranko“ sah: „Das Drehbuch basiert offensichtlich weitgehend auf meinem Roman.“ Seine Empörung bleibt auch mit zeitlichem Abstand zu diesem ersten Eindruck groß.
Zwar hatte sich Aders schnell von der ersten Idee verabschiedet, den Filmstart durch eine Klage zu stoppen. Seine Urheberrechte will er dennoch einklagen und listet derzeit für eine Prüfung durch eine Fachanwältin die Parallelen zwischen Film und seinem Roman auf. Dass ein Leben eben auf klaren Eckdaten basiere und nicht auf beliebig viele Arten erzählt werden könne? Diesen Einwand lässt Aders ebenso gelten wie die Tatsache, dass die vielfach erzählten Anekdoten aus der Stuttgarter Ballettwunderzeit schon lange im kollektiven Gedächtnis verankert seien.
Aders findet Dialoge im Film wortwörtlich wieder
Seine Urheberrechte, so Aders, sehe er vor allem deshalb verletzt, da er seiner Fantasie entsprungene Details fast identisch im Film wiederfinde. Dialoge seien stellenweise fast wortwörtlich übernommen worden. „Ich will deinen Strich“, sagt Cranko laut Aders‘ Liste im Roman und im Film zu Jürgen Rose, als er dessen Entwurfszeichnungen für das Bühnenbild von „Romeo und Julia“ zerriss, weil er die Spontanität der Skizzen vermisste. Aders notierte weitere Beispiele, wobei es dem Autor, wie er betont, nicht nur um die Zitate gehe, sondern vor allem um die Recherche und den kreativen Prozess, die sie ermöglichten.
In London etwa habe er im Gespräch mit Bob Belton, dem damaligen WG-Partner Crankos, Details über die Verhaftung des Choreografen wegen damals strafbarer homosexueller Handlungen erfahren. Der 2008 verstorbene Tänzer Heinz Clauss habe ihm durch Cranko erlittene Demütigungen anvertraut – exklusiv, wie Aders unterstreicht. Der Film, so der Vorwurf des „Seelentanz“-Autors, mache sich diese Recherchen zunutze.
Dass im Film dieselben New Yorker Pressestimmen zitiert werden wie im Roman? Dass aus Crankos südafrikanischer Kindheit im Buch wie auf der Kinoleinwand dieselben Motive aufscheinen? Dass sich hier wie da in den Augen des Protagonisten Zukünftiges spiegelt? Ob sich das alles zu einer Verletzung seiner Urheberrechte summiert, will Aders nun juristisch klären lassen.
Zu Beginn von Langs Recherchen für „Cranko“, berichtet Aders, sei er mit seinem SWR-Kollegen im Dialog gewesen und habe seine Mitarbeit am Drehbuch angeboten. „Doch Joachim Lang wollte das alleine machen, seither habe ich nichts mehr von ihm gehört. Und jetzt werde ich mich wehren.“
Der Regisseur, der die Drehbücher zu seinen Filmen immer selbst schreibt, sieht einer möglichen Klage gelassen entgegen. Er arbeite schon wesentlich länger an dem Thema als Aders, betont Lang, der zahlreiche Film- und TV-Projekte mit dem Stuttgarter Ballett erfolgreich umgesetzt hat.
Tatsächlich habe er mit Aders eine mögliche Zusammenarbeit besprochen. „Danach habe ich von ihm aber nichts mehr gehört“, sagt Lang. Stattdessen habe er zu seiner Überraschung von Crankos Erben Dieter Gräfe und Reid Anderson bei einem Besuch erfahren, dass Aders sich mit dem Wunsch gemeldet habe, selbst ein Cranko-Filmprojekt realisieren zu wollen.
„Die Rechteinhaber haben Aders klar und deutlich abgesagt“, betont Lang und verweist auf eine entsprechende Erklärung Reid Andersons. Dieser schreibt: „Als Rechteinhaber wollten mein Mann und ich einen ausgezeichneten Filmkünstler für die Verfilmung des Lebens und Werks John Crankos gewinnen. Joachim Lang kannten wir von vielen hervorragenden Arbeiten im Fernsehen mit und über das Stuttgarter Ballett und von seinem exzellenten Kinofilm ,Mackie Messer‘. Wir suchten also einen Ausnahmekünstler und fanden ihn in der Person des Autors und Regisseurs Joachim Lang. Ihm trauten wir die Verfilmung des Lebens von John Cranko zu. Dagegen überzeugte uns Herr Thomas Aders nicht, der auch das Leben Crankos verfilmen wollte. Wir sagten deshalb Thomas Aders ab.“
Die Verhaftung war Thema in Crankos WG
Der Regisseur verweist zudem auf die identischen Zeitzeugen, Biografien und Dokumente, aus denen sich Roman wie Film speisten und deshalb zwangsweise Ähnlichkeiten aufwiesen. Von der Demütigung von Heinz Clauss zum Beispiel, den Cranko in New York als „deutschen Spießer“ beschimpfte, hätten ihm mehrere Zeugen des Vorfalls erzählt, so Lang und zählt weiter auf: Die Impressionen aus seiner Kindheit in Südafrika habe Cranko mehreren Menschen anvertraut sowie in Interviews angesprochen. Und auch die Verhaftung in London sei in Crankos WG mit Anderson und Gräfe Thema gewesen. „Die angeblich Aders Fantasie entsprungene Äußerung von John Cranko, der zu Jürgen Rose sagt: ,Ich will deinen Strich’, kommt von Rose selbst, der sogar ein Kapitel damit in seinem Buch überschrieb“, so Lang. Und weiter: „Es ist schon bemerkenswert, dass Aders Rechte an etwas haben will, das andere Menschen miterlebten.“
Aders und Lang haben dieselben Quellen
„Für meinen Film hatte ich herausragende Biografien; John Percival, Ashley Killar und andere mehr; umfangreiche Selbstzeugnisse in Büchern, Schriftwechseln und Notizen sowie Aussagen von Menschen zur Verfügung, die Cranko nahe waren oder ihn kannten wie Marcia Haydée, Jürgen Rose, Birgit Keil, Dieter Gräfe, Reid Anderson und vielen anderen. Das war für mich eine erstklassige Quellenbasis. Für meine Arbeit waren die unmittelbaren Quellen relevant, nicht die Arbeit von Thomas Aders“, schreibt Joachim A. Lang in einer Stellungnahme und verweist auf Reid Anderson als einen seiner wichtigsten Gesprächspartner. „Laut Reid Anderson stützt sich auch die Arbeit von Thomas Aders auf Gespräche mit ihm. Reid Anderson war Berater bei der Erstellung meines Drehbuchs und meines Films. Von ihm und Dieter Gräfe habe ich alles bis ins Detail über Cranko erfahren; auch wörtliche Zitate, von denen sie mir berichteten, gingen in das Drehbuch ein.“
Cranko bewegt – vielleicht bald auch vor Gericht
John Cranko, so viel steht jetzt schon fest, bewegt nicht nur als Choreograf, sondern auch als Roman- und Filmheld die Gemüter. Und vielleicht bald auch als Stoff für einen Rechtsstreit.
Info
BuchThomas Aders Roman „Seelentanz – John Cranko und das Wunder des Balletts“ (372 Seiten, 25 Euro) erschien im Juni 2020 bei Books on Demand. Der Autor setzte bei der emotionalen Fiktionalisierung von John Crankos Leben und seiner Stuttgarter Zeit auf die Erinnerungen von Zeitzeugen und die eigene Fantasie.
Film Joachim A. Langs Spielfilm „Cranko“ kam am 3. Oktober in die Kinos; das Drehbuch hat der Regisseur selbst verfasst. Neben Schauspielern wie Sam Riley als Cranko und Max Schimmelpfennig als Dieter Gräfe sind Tänzerinnen und Tänzer des Stuttgarter Balletts in den Rollen von legendären Ballettstars wie Marcia Haydée und Egon Madsen zu sehen.
KinoIn der Arthouse-Rangliste lag „Cranko“ nach seiner zweiten Woche auf Platz vier der Gesamtbesucherzahlen. In der dritten Woche läuft Langs Spielfilm in 132 deutschen Kinos.