Zum Tod von Marianne Faithfull

„Ich neige kein bisschen zur Nostalgie“

Marianne Faithfull ist im Alter von 78 gestorben. Hier lesen Sie ein Interview mit ihr, das wir im Jahr 2009 führten, als die Grande Dame des Pop bei den Jazz Open in Stuttgart auftrat.

Marianne Faithfull (1946-2025)

© IMAGO/Starface/Marc Lafon

Marianne Faithfull (1946-2025)

Von Gunther Reinhardt

Im Sommer des Jahres 2009 trat Marianne Faithfull bei den Jazz Open in Stuttgart auf. Nun ist diese Ikone des Pop im Alter von 78 Jahren gestorben. In einem Interview, das wir damals mit ihr führten, sprach sie über wehmütige Erinnerungen, Naturprodukte, ihr Album „Easy Come, Easy Go“ und den „Schatz“ Keith Richards.

Mrs. Faithfull, Sie leben seit einigen Jahren in Paris. Was mögen Sie an der Stadt?

Paris ist wunderschön - vor allem im Frühjahr und Sommer. Und ich mag es, wie man hier mit der Vergangenheit umgeht. Dass es hier verboten ist, alte Sachen abzureißen, um Neues zu bauen.

Davon, Vergangenes zu bewahren, erzählt auch Merle Haggards Countryblues „Sing Me Back Home“ – der schönste Songs auf ihrer neuen Platte „Easy Come, Easy Go“.

Ja, ein großartiger Song, einer, den man einfach lieben muss.

Wie nahe geht Ihnen das Thema des Songs?

Das ist ein Song darüber, wie es ist, wenn man älter wird, und darüber, was es heißt, sich an alte Zeiten zu erinnern. Und obwohl ich eigentlich kein bisschen zur Nostalgie neige, macht mich dieser Song zur Nostalgikerin.

Denken Sie wirklich nie wehmütig an die 1960er Jahre zurück, als Sie mit Keith Richards und Mick Jagger mitten im Zentrum des Pop standen?

Nein, überhaupt nicht (macht eine Pause). Na ja, vielleicht ein bisschen. Es stimmt schon, dass das eine wunderbare, lebenswerte Zeit war. Und dass ich mit allem, was damals passierte, eigentlich sehr viel Glück hatte. Aber ich klebe nicht an den Erinnerungen alter Zeiten.

Warum auch? Sie haben ja in den letzten Jahren viele wirklich tolle Sachen gemacht.

Es freut mich, dass Ihnen das aufgefallen ist (lacht).

Sie haben nicht nur die hübsche Platte „Easy Come, Easy Go“ veröffentlicht, sondern auch in den Filme „Irina Palm“ und „Marie Antoinette“ mitgespielt. Würden Sie das als Comeback bezeichnen?

Ja, aber ein sehr gemütliches.

In „Irina Palm“ waren Sie eine Witwe, die, um ihrem Enkel eine Operation zu ermöglichen, eine zweite Karriere in der Sexindustrie beginnt. In „Maria Antoinette“ spielten sie die österreischische Kaiserin Maria Theresia. Welche der Figuren lag Ihnen näher?

Maria Theresia (lacht). Wahrscheinlich vor allem aus familiären Gründen, weil ja meine Mutter vom österreichisch-ungarischen Adel abstammte.

Da Sie ja nicht zur Nostalgie neigen: Was ist denn heute besser als damals?

Oh, vieles: Dass man heutzutage überall diese Natur- und Bioprodukte bekommt, finde ich toll. Alles ist heute natürlich, das Parfüm genauso wie das Essen. Die Welt von heute ist viel gesünder als die Welt von früher. Und ich möchte nicht mehr ohne Akkupunktur-Massageterminen leben müssen. Ob man das Internet dagegen zu einer der Verbesserungen in der heutigen Zeit rechnen kann, bin ich mir nicht so sicher. Ich lass’ da jedenfalls die Finger davon.

Experimentierfreudig geben Sie sich dagegen auf dem Album „Easy Come, Easy Go“. Neben Klassikern von Duke Ellington oder Leonard Bernstein finden sich in der Liedersammlung auch Songs von dem Black Rebel Motorcycle Club oder den Decemberists.

Ja, ein ziemlich eklektizistischer Mix.

Wie kam es dazu?

Der Produzent Hal Willner und ich hatten ja schon einmal 1987 bei dem Album „Strange Weather“ zusammengearbeitet. Wir wollen das unbedingt einmal wieder machen, es aber nicht überstürzen. Und auf einmal waren 20 Jahre vergangen. Für „Easy Come, Easy Go“ haben wird dann unabhängig voneinander Songs gesammelt, die wir gerne auf der Platte hätten, und uns bei einem Treffen in Paris auf 18 Songs geeinigt.

Würden Sie sagen, dass die Songs, die es auf die Platte geschafft haben, Ihren persönlichen Musikgeschmack wiedergeben.

Ziemlich. Man bekommt darauf die Lieblingslieder von Hal und mir zu hören.

Auf dem Album finden sich viele prominente Gäste. Jarvis Cocker ist zum Beispiel dabei oder Nick Cave . . .

. . . und Anthony, Rufus Wainwright oder Cat Power.

Und bei „Sing Me Back Home“ sind Sie gemeinsam mit Keith Richards zu hören.

Ja, Keith ist ein Schatz.

Wie war es, wieder mit ihm vereint zu sein?

Großartig! Es hat sich angefühlt, als ob überhaupt keine Zeit vergangen wäre seit den 1960er Jahren.

Jetzt werden Sie doch noch nostalgisch.

Stimmt, da haben Sie mich erwischt.

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Erstellt:
30. Januar 2025, 20:46 Uhr
Aktualisiert:
30. Januar 2025, 22:55 Uhr

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