„Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen

Ich schau dir in die Augen, Kleine

Zum Start der Bayreuther Festspiele inszeniert Thorleifur Örn Arnarsson „Tristan und Isolde“ als statische Fantasie über die Nähe von Liebe und Tod. Auch der Dirigent Semyon Bychkov lässt sich sehr viel Zeit. Vom Premierenpublikum gibt es für die Inszenierung laute Buhrufe.

Camilla Nylund  als Isolde und Andreas Schager als Tristan auf der Bayreuther Festspielbühne.

© Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Camilla Nylund als Isolde und Andreas Schager als Tristan auf der Bayreuther Festspielbühne.

Von Susanne Benda

Ein Klang baut sich auf. Lauter Halbtöne, Reibungen, die Musik sehnt sich fort und weiß nicht wohin. Dann: Stille. Die Pause dehnt sich schier endlos. Dem Dirigenten wird doch hoffentlich nichts passiert sein? Am Pult des Festspielorchesters steht – wie immer im Bayreuther Festspielhaus verborgen durch den Deckel über dem Orchestergraben – Semyon Bychkov, und der schlägt schon im Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ tiefe Krater in die Musik.

Sie sind von ähnlicher Art wie das diffuse Loch, das später bei geöffnetem Vorhang im Bühnenboden klafft. Nach nur zwei Spielzeiten löst am Donnerstagabend die Inszenierung des vor allem schauspielerfahrenen Isländers Thorleifur Örn Arnarsson die von Roland Schwab verantwortete Produktion des Stücks von 2022 ab, und das, was Richard Wagner im Untertitel als „Handlung“ bezeichnete, ist bei ihm als Folge von Standbildern zu erleben. Der Bühnenbildner Vytautas Narbutas lädt auf ein Schiffsdeck ein: mit Seilen, die vom Schnürboden baumeln, und mit viel atmosphärisch wirksamem Trockeneis. Im zweiten und dritten Akt befinden wir uns dann ein Stockwerk tiefer, im Bauch eines (Alb-)Traumschiffes, der ein Abstellraum ist, vielleicht auch ein Lager mit Requisiten für ein sehr oft schon gespieltes Stück, vollgestopft mit Bildern, Statuen, Koffern, Gerümpel. Man müsste mal aufräumen hier, aber man schafft‘s wohl nicht – das ist Narbutas‘ tiefenpsychologischer Beitrag zur diesjährigen Bayreuther Neuproduktion.

Zu viel Seelenballast haftet an dem titelgebenden Paar, vor allem an dem Helden, der so gar nichts Heldisches hat und haben will. Dabei singt Andreas Schager den Tristan sehr direkt und kraftvoll. Tatsächlich sinkt, wenn er mal Leises wagt, die Trefferquote erheblich, im letzten Akt werden auch in lauten Passagen die überzeugenden Momente weniger: Da hat Schager die Grenzen seines schier unverwüstlichen Tenors überschritten. Neben ihm lässt Camilla Nylund als Isolde ihren Sopran erblühen, weich singt sie, beweglich, mit vielen unterschiedlichen Farben. Ihre ebenso überzeugende wie ergreifende Darstellung ermöglicht auch der Mann am Pult: Semyon Bychov geht behutsam mit der Partitur um, er ist kein Klang-Gourmand mit Hang zu lauten Gefühlswogen, eher einer, der Schönes und Wichtiges herausmeißelt. Manchmal ist das ein bisschen zu dezent, manchmal ein bisschen zu didaktisch, aber Bychkov gibt den Sängern Raum. Schager müsste also nicht brüllen. Tut er aber oft, und so sind Tristan und Isolde sängerisch ebenso weit voneinander entfernt wie sie hier es räumlich sein sollen.

Eine einzige Idee

Selbst beim „Sink hernieder, Nacht der Liebe“, dem großen Liebesduett im zweiten Akt, drapiert Thorleifur Örn Arnarsson links vorne den einen, rechts hinten die andere. Man bewegt sich dann aufeinander zu, aber meist bleibt jeder für sich allein. Die Inszenierung ist sehr statisch. Sie besteht vor allem aus Standbildern. Und sie fußt auf einer einzigen Idee. Die ist zwar nicht neu, aber hier ebenso deutlich wie konsequent umgesetzt: Der Liebestrank ist abgeschafft.

Im ersten Akt schlägt Isolde Tristan das Fläschchen aus der Hand, bevor er es trinken kann. Er muss es auch nicht trinken, denn die Liebe ist schon lange da. Sie hat sich in der Vorgeschichte des Stücks eingestellt, die Wagner andeutungsweise erzählt: in dem Moment, als Isolde einst Tristan in die Augen blickte, dem Mörder ihres Verlobten. Schon damals hat sich ein zweites Paar gebildet, das jetzt zum eigentlichen Protagonistenduo der Oper wird: die Liebe und der Tod. Davon erzählt auch Arnarsson, wechselt bei der Beleuchtung der Bühne entsprechend deutlich vom Tageslicht- zum Nachtlichtmodus und ersetzt Melots Schwertstich gegen Tristan durch einen Todestrank. Auch Isolde stirbt selbstbestimmt. Von Anfang an hat beider Liebe dieses Ziel gehabt: die Auflösung. Ganz im Sinne der Worte, mit denen man in Frankreich den Höhepunkt körperlicher Liebe umschreibt: la petite mort, der kleine Tod.

Buhrufe vom Premierenpublikum

Die Grenzen verflüssigen sich auch im Bühnenbild zum letzten Akt: Die Balken des Schiffsbauchs sind auseinandergeschoben, das Gerümpel mittig auf einen Haufen getürmt. Ein zwingendes Bild. Dass davor und daneben keine Personenführung stattfindet, ist seine Kehrseite, und da dies für den ganzen Abend gilt, hat die Produktion Längen. Und einen logischen Bruch, denn die Abschaffung des Liebestranks macht die finale Vergebung durch den betrogenen König unglaubwürdig. Günther Groissböck verleiht den Leiden Markes immerhin starken Nachdruck – was ein wenig für seinen oft mulmigen Ton und seine nicht immer ganz treffsichere Intonation entschädigt. Auch die Figur der Brangäne wird durch die Regieidee degradiert, aber der in Bayreuth gefühlt omnipräsenten Christa Mayer gelingt die Verwandlung von einer Strippenzieherin zu einer wissenden Freundin gut. Olafur Sigurdarson als Kurwenal kann mit seiner allzu stark tremolierenden Stimme mit diesem Niveau nicht mithalten.

Am Ende: tot, tot, alles tot. Nacht legt sich auf die Bühne. Das riesige Brautkleid, dessen Stoff Isolde im ersten Akt kreisförmig umgab, das sie verhüllte, schützte und beschwerte; das Kleid, aus dem sie dann herausstieg wie aus einem Gefängnis: Dieses Kleid liegt nun zerknüllt am Boden, und die Buchstaben, mit denen Isolde das Tuch verzierte, kann nun keiner mehr lesen. Es war ihre Geschichte, die Geschichte einer Frau, die sich aufgelöst hat in einer Liebe, die der Tod gewesen ist. Das zeigt der Regisseur. Für den statischen Rest bestraft ihn das Premierenpublikum mit lauten Buhrufen.

So geht es weiter in Bayreuth

2024 Noch bis 27. August sind im Festspielhaus neben der Neuproduktion von Wagners „Tristan und Isolde“ zu sehen: „Der Ring des Nibelungen“ (Inszenierung: Valentin Schwarz, Dirigentin: Simone Young), „Parsifal“ (Jay Scheib/Pablo Heras-Casado), „Tannhäuser“ (Tobias Kratzer/Nathalie Stutzmann) und „Der fliegende Holländer“ (Dmitri Tcherniakov/Oksana Lyniv) zu erleben. Außerdem gibt es am 30. Juli ein zweites Festspiel-Open-Air mit dem Festspielorchester unter Nathalie Stutzmann und mit Solistinnen und Solisten aus den Opernproduktionen.

Ausblick 2025 gibt es als eine Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ in der Regie des Musical-Experten Matthias Davids. 2026 bringt die Festspielchefin Katharina Wagner, deren Vertrag gerade bis 2030 verlängert wurde, erstmals ein frühes Stück ihres Urgroßvaters auf den Grünen Hügel: „Rienzi“.

Finanzen Die Reduzierung der Zuwendungen durch die „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“ wird durch den Bund und den Freistaat kompensiert. Als Sparmaßnahme hat man den Festspielchor von 134 auf 80 Mitwirkende reduziert – was aber 2024 noch mithilfe externer Aushilfen aufgefangen wird. (ben)

www.bayreuther-festspiele.de