Kunterbunte Grüße von der Insel Chelmsford

Mitten in Europa (3) Eine große Bandbreite traditioneller irischer, englischer und schottischer Musik mit rockiger Note und zwei Graffitikünstler, die bleibenden Eindruck hinterlassen wollen: Der dritte Teil unserer Serie zum Partnerstädtefestival widmet sich Chelmsford.

Tim Hancock, Myles Barrett, Anver Anderson und Roy Bartholomew (von links) sowie Drummer Rob Hancock (nicht im Bild) bilden die Chelmsforder Band Gentlemen of Io. Foto: Gentlemen of Io

© Gentlemen of Io

Tim Hancock, Myles Barrett, Anver Anderson und Roy Bartholomew (von links) sowie Drummer Rob Hancock (nicht im Bild) bilden die Chelmsforder Band Gentlemen of Io. Foto: Gentlemen of Io

Von Kai Wieland

Backnang. Rund ein Jahr ist es her, dass Jasmin Meindl und Juliane Putzmann vom Bandhaus-Theater, die Organisatorinnen des Partnerstädtefestivals „Mitten in Europa“, mit ihrem Vorhaben auf David Whitehead zukamen. Der Erste Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Backnang–Chelmsford ist in der Hauptstadt der Grafschaft Essex aufgewachsen, daher gut vernetzt und für gemeinsame Projekte aufgeschlossen. Sein erster Gedanke zum Thema lautete also: „Klasse Sache.“

Damals ahnte er noch nicht, wie schwierig sich die Suche nach Chelmsforder Künstlern, die Anfang Oktober in Backnang ihre Heimatstadt vertreten wollen, gestalten würde. Das habe allerdings weniger an den Künstlern selbst gelegen als an der Zurückhaltung der Stadt Chelmsford. „Es ist derzeit, vor allem seit Brexit und Co., wirklich schwierig, Dinge auf die Beine zu stellen und die Menschen auf der Insel für etwas zu begeistern, was auf dem europäischen Festland stattfindet“, erklärt der freiberufliche Übersetzer und langjährige Wahlbacknanger. Auf seine Anfragen hin sei daher zunächst lange gar nichts passiert. „Es ist nicht so, dass sie dagegen sind, sondern sie sagen, dass sie daheim einfach schon genug zu tun haben – was auch stimmt. Trotzdem fand ich die Zurückhaltung der Stadt etwas schade.“

Dazu müsse man allerdings auch erwähnen, dass die Partnerschaft mit Chelmsford vor einigen Jahren etwas eingeschlafen sei, und die Pandemie habe ihr Übriges getan. David Whitehead, seit 2019 Vorsitzender des Backnanger Partnerschaftsvereins, arbeitet mit seinem Team seitdem fleißig daran, die Verbindungen wieder aufzubauen. Das funktioniert natürlich am besten über partnerschaftliche Projekte, die für die Menschen beider Städte aus erster Hand erlebbar sind – zum Beispiel im Rahmen eines Straßenkunstfestivals. „Wir wollen diese Partnerschaft ja für die Bevölkerung von Backnang pflegen, nicht für uns als Verein“, betont er.

Ein alter Bekannter kehrt zurück

Die Rettung war schließlich seine persönliche Bekanntschaft mit Anver Anderson, Mitglied der Chelmsforder Band Gentlemen of Io. Diese steht seit über 30 Jahren auf der Bühne und bedient sich traditioneller Songs aus England, Irland und Schottland, gibt diese aber mit einer rockigen Note zum Besten. Dabei ist eine Vielzahl von Instrumenten im Einsatz, von Gitarre und Bass über Mandoline, Mandola und Bouzouki bis hin zu Flöte, Violine und Akkordeon.

Anderson hielt sich vor einigen Jahren beruflich für sechs Monate in der Stadt auf und kennt Backnang daher gut. „Ich habe Freunde und ehemalige Kollegen in der Stadt, bin unter der Chelmsford-Brücke hindurchspaziert und habe auf dem Backnang Square in Chelmsford Kaffee getrunken“, erzählt Anderson. „Ich denke, die Städtepartnerschaft ist ein wirklich toller Weg, um Beziehungen aufzubauen. Als ich damals in der Stadt war, habe ich festgestellt, dass Marconi sehr präsent ist. Das ist in Chelmsford, wo Guglielmo Marconi viele seiner frühen Radioexperimente machte, genauso. Es scheint, als gäbe es eine Menge, was uns verbindet.“

Am Festivalsamstag werden die Gentlemen of Io an verschiedenen Orten in der Stadt für Stimmung sorgen. „Wir werden die Straßen hoch- und runterwandern und mit unserer Musik zum Mitwippen all jene erfreuen, die Lust darauf haben. Und wenn mein Deutsch dafür noch ausreicht, werden wir die Locals und Zuschauer auch zum einen oder anderen Tänzchen auffordern.“

Straßenkunst im engsten Sinne

Als zweiter Beitrag aus Chelmsford nehmen mit Scotty, als Künstler besser bekannt als Brave1, und Howard (aka ERZ) zwei Sprayer den Weg nach Backnang auf sich. Chelmsford hat sich mit dem Street-Art-Festival „Concrete Canvas“, welches in diesem Jahr zum zweiten Mal zahlreiche Graffitikünstler in die Stadt zog, um diese mit bunten Wandgemälden zu bereichern, einen Namen in der Szene gemacht. „Obwohl es ‚Concrete Canvas‘ erst seit zwei Jahren gibt, hat sich daraus so viel entwickelt“, erzählt Candy Joyce, Organisatorin des Events. „Unsere 68 Kunstwerke haben das Gesicht der Stadt verändert, sie ist nun ein spannenderer und lebendigerer Ort. Außerdem erzählen die Werke von der Geschichte und Kultur Chelmsfords. Das hilft den Menschen, sich mit der Stadt zu verbinden und stolz darauf zu sein, hier zu leben.“

Das Graffiti „Breathe with me“ von Howard (aka ERZ) ist anlässlich des diesjährigen Street-Art-Festivals „Concrete Canvas“ in Chelmsford entstanden und ist von einem Song der Band „The Prodigy“ inspiriert, deren Mitglied Keith Flint in der Stadt lebte.  Foto: Shelley Ings

© Shelley Ings

Das Graffiti „Breathe with me“ von Howard (aka ERZ) ist anlässlich des diesjährigen Street-Art-Festivals „Concrete Canvas“ in Chelmsford entstanden und ist von einem Song der Band „The Prodigy“ inspiriert, deren Mitglied Keith Flint in der Stadt lebte. Foto: Shelley Ings

„Street-Art ist eine Bewegung und Kultur, die gerade erst begonnen hat, sich zu entwickeln“, ergänzt Howard, der in Chelmsford seit fast 40 Jahren als Sprayer aktiv ist. In den vergangenen zehn Jahren habe die Szene einen regelrechten Boom erfahren. „Es ist nicht mehr einfach nur Graffiti, sondern eine dynamische, ausdrucksstarke Kunstform, die zum Nachdenken anregt.“

Scotty (aka Brave1) hat zum Festival das Graffiti „Glitch Portrait“ beigetragen. Foto: Candy Joyce

© Candy Joyce

Scotty (aka Brave1) hat zum Festival das Graffiti „Glitch Portrait“ beigetragen. Foto: Candy Joyce

Bei dem Objekt der Begierde, an dem sich Scotty und Howard künstlerisch austoben werden, handelt es sich um die alte Turmstation der Stadtwerke Backnang an der Aspacher Straße. „Es ist ein interessantes Gebäude und keines, das ich normalerweise auswählen würde, da es sehr hoch und schmal ist“, erklärt Howard. „Wir wollen die Partnerschaft zwischen unseren Städten abbilden, aber auch die Vergangenheit Backnangs sowie Visionen für die Zukunft.“ Das Design wird mit der Stadt Backnang abgestimmt.

Neben den Sprayern, die vom Bandhaus eingeladen wurden, und den Gentlemen of Io möchte auch der Partnerschaftsverein mit einem Stand, an dem typische Getränke wie Gin Tonic, Pimm’s und Bier aus Chelmsford ausgeschenkt werden, britisches Lebensgefühl vermitteln – und vor allem die Backnanger neugierig darauf machen, einmal nach Chelmsford zu reisen.

Termine Die Gentlemen of Io spielen am Samstag, 7. Oktober, ganztägig an verschiedenen Orten in der Innenstadt, der Eintritt ist frei. Die Künstler Scotty und Howard gestalten am 7. und 8. Oktober die alte Turmstation der Stadtwerke Backnang an der Aspacher Straße, Ecke Wunnensteinstraße, mit einem Graffiti. Das gesamte Programm des Festivals liegt an verschiedenen Stellen in der Stadt aus und ist auch unter www.mitten-in-europa.de einsehbar.

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Erstellt:
22. September 2023, 15:00 Uhr

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