Nachtarbeit für den Christus

Für den Strümpfelbacher Bildhauer Gregor Oehmann sind die Lockdowns eine spannende Zeit des Experimentierens. Er arbeitet an einem Wegkreuz aus Holz und erweitert zusammen mit seiner Frau Cindy Velz die Gruppe der Figuren in bunten Badeanzügen.

Cindy Velz und Gregor Oehmann haben sich als Gemeinschaftsprojekt „Die Badenden“ vorgenommen. Im Hintergrund der Entwurf eines Gemäldes zum Thema Kuh von Gregor Oehmann. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Cindy Velz und Gregor Oehmann haben sich als Gemeinschaftsprojekt „Die Badenden“ vorgenommen. Im Hintergrund der Entwurf eines Gemäldes zum Thema Kuh von Gregor Oehmann. Foto: J. Fiedler

Von Simone Schneider-Seebeck

BACKNANG. Gregor Oehmann ist selbst ganz erstaunt: „Keine Ahnung, wie es vor Corona geklappt hat.“ Und spielt damit auf die letzten Monate an, in denen er eigentlich rund um die Uhr beschäftigt war. Und dabei ist „rund um die Uhr“ durchaus wörtlich zu nehmen. Denn um seine größte Auftragsarbeit im vergangenen Herbst fertigzustellen, hat er sich schon mal nachts um drei in die Werkstatt begeben.

Das hatte zunächst einen pragmatischen Grund. Da der jüngste Sohn zeitweise Schlafschwierigkeiten hatte, hat es auch den Bildhauer nicht im Bett gehalten. Während der Junior jedoch recht leicht wieder ins Reich der Träume zurückfinden konnte, war das für Oehmann nicht so einfach. Daher ging es dann eben direkt in die Werkstatt, um weiter an einem lebensgroßen Christus zu arbeiten: „Wenn ich schon schlecht schlafe, kann ich auch in die Werkstatt.“

Im vergangenen Juni hatte ein Kunde ein Wegkreuz in Auftrag gegeben. „Ein tolles Thema, das macht man heutzutage selten“, so der gebürtige Bayer, auch wenn er zunächst nicht mit dieser Dimension gerechnet hatte. Das beeindruckende Gipsmodell hängt nun in seiner Werkstatt weit oben und hat alles im Blick. Das Wegkreuz selbst hat Oehmann aus zwei großen Holzblöcken gestaltet, einem für Rumpf, Kopf und Beine und einem für die ausgestreckten Arme.

Der Bildhauer macht keine halben Sachen – die detailreich ausgearbeiteten Körperteile sollten ordentlich miteinander verbunden werden. In der Nacht vor der Auslieferung brachte er noch abends um elf die Wundmale auf. Eine außergewöhnliche und große Aufgabe, doch er hat sie gemeistert. Auch mithilfe seiner Frau Cindy Velz, die ihm den Rücken freigehalten hat.

Unter anderem mit zahlreichen Besuchen im Oppenweiler Freibad, ein großer Spaß für die Kinder in dem oft fast menschenleeren Becken. Und zugleich einem wundervollen Ort für Feldstudien, die in einem Gemeinschaftsprojekt gegipfelt haben – den Badenden. Gregor Oehmann hat die kleinen Figuren aus Beton gegossen, die Gestaltung der Badeanzüge übernahm Cindy Velz in Abklatschtechnik. Die voluminösen Damen tragen nun ganz verschiedene Designs, große Frösche oder auch zarte Rosen. Diese üppigen Körper, „die sind bildhauerisch so toll“, schwärmt Oehmann. Er macht selten Abgüsse, daher sei das für ihn eine neue handwerkliche Erfahrung gewesen.

Für die beiden Künstler war das vergangene Jahr nicht einfach, besonders während des ersten Lockdowns waren sie als Eltern sehr stark gefordert, so die Illustratorin Cindy Velz, die neben ihrer musikalischen Tätigkeit als freie Malerin arbeitet und ihr Atelier ebenfalls zu Hause hat. Als Angehörige einer „nicht systemrelevanten Berufsgruppe“ und zudem noch Freiberufler konnte man den Jüngsten im Kindergartenalter nicht in der Notbetreuung unterbringen. Und während der Älteste sich mit 17 Jahren selbstständig um seine Schulaufgaben gekümmert hat, waren die Eltern bei den beiden Mittleren schulmäßig doch recht eingespannt. Zudem ist die Familie sehr musikalisch, den Kindern das Üben an ihren Instrumenten sehr wichtig – über einen Mangel an Trubel konnte man sich bei der Künstlerfamilie nun wirklich nicht beklagen. „Mit vier Kindern braucht man eigentlich keine Arbeit“, sagt der Bildhauer lachend.

Er hat die Zeit der Lockdowns zu verschiedenen Arbeiten am und im Haus genutzt, für die vorher keine Zeit gewesen war, etwa die Installation neuer LED-Scheinwerfer in der Werkstatt, den Bau eines Zauns um das Grundstück, damit die Kinder auch unbeaufsichtigt draußen toben und spielen können, die Reinigung und Aufarbeitung der geliebten Schallplatten. Auch die Auffrischung einiger älterer Werke war möglich gewesen, „dafür war Corona gut“.

Langweilig ist es in den letzten Monaten sicher nicht gewesen, und auch wenn es außer dem Christus 2020 keine größere Auftragsarbeit gegeben habe, sind Oehmann und Velz abends komplett kaputt ins Bett gefallen, wie sie sagen. Die Familie hat mehr gemeinsam unternehmen können, nicht nur ins Freibad gehen, auch Besuche auf dem Bauernhof, die selbstverständlich wieder gut für Feldstudien genutzt werden konnten, gehören dazu. Denn aktuell arbeitet Gregor Oehmann an einer besonderen Auftragsarbeit: Einem Gemälde, auf dem eine Kuh zu sehen ist. „Malen ist großartig. Man kann so lange malen, bis man das Gefühl hat, dass es fertig ist“, schwärmt der Künstler, während bei der Bildhauerei bereits ein Schlag oder Stich zu viel sein könnten. Allerdings ist die Kuh bei Weitem noch nicht fertig, die Farbgebung ist noch nicht endgültig: „Da kommen noch viele Schichten drauf.“ Bei den Besuchen auf dem Bauernhof hat er sich viel Zeit dafür genommen, die Kühe dort genau zu studieren, die Augen, die Blicke, die Zunge, den Ausdruck.

Oehmanns Zweitberuf, Professor Pröpstls Kasperltheater, musste im vergangenen Jahr zunächst ruhen. Einen Auftritt gab es im Autokino, eine vollkommen neue Erfahrung. Doch Oehmann experimentiert gern, er nimmt jede Möglichkeit, etwas Neues auszuprobieren, mit großer Neugierde an. Daher war es für ihn als „analogen Menschen“ auch spannend, mit seinen Puppen ins Internet einzutauchen. Im Rahmen einer Online-Versammlung war er dazu eingeladen worden, zunächst einen Vortrag über das Puppenspiel zu halten und dann auch eine Vorstellung zu geben. „Das war schon sehr lustig.“ Erfreulicherweise zeichnet sich für dieses Jahr wieder analoges Theater ab, Projekte in Österreich, Esslingen, im Ludwigsburger Blühenden Barock sind geplant und auch von Backnang gibt es zahlreiche Anfragen.

Christusfigur als Wegkreuz von Gregor Oehmann. Foto: privat

Christusfigur als Wegkreuz von Gregor Oehmann. Foto: privat

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Erstellt:
21. Mai 2021, 11:30 Uhr

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