Neue Ausstellung in der Backnanger Galerie: Im Kabinett der Ähnlichkeiten

Die Galerie der Stadt Backnang zeigt ab dem heutigen Freitag die Ausstellung „Old News“ mit Fotografien und Installationen der Berliner Künstlerin Kathrin Sonntag. Diese greifen auf oftmals humorvolle und skurrile Weise die menschliche Wahrnehmung von Mustern und Gemeinsamkeiten auf.

Das großformatige Foto auf der Zwischenwand hinter Kathrin Sonntag zeigt denselben Raum in der Galerie der Stadt Backnang zur Zeit der Renovierung 2001, doch anstelle besagter Zwischenwand steht damals bloß ein leerer Metallrahmen. Auf ihrer Suche nach derartigen Kuriositäten und Ähnlichkeiten setzt sich die Künstlerin eng mit den jeweiligen Räumlichkeiten und Orten auseinander. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Das großformatige Foto auf der Zwischenwand hinter Kathrin Sonntag zeigt denselben Raum in der Galerie der Stadt Backnang zur Zeit der Renovierung 2001, doch anstelle besagter Zwischenwand steht damals bloß ein leerer Metallrahmen. Auf ihrer Suche nach derartigen Kuriositäten und Ähnlichkeiten setzt sich die Künstlerin eng mit den jeweiligen Räumlichkeiten und Orten auseinander. Fotos: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Backnang. „Ich bin gewissermaßen die Ähnlichkeitsexpertin“, sagt Kathrin Sonntag schmunzelnd mit Blick auf das Leitmotiv, das sich durch ihre Ausstellung „Old News“ in der städtischen Galerie zieht. „Blick“ ist auch sogleich das Stichwort, denn beim Gang durch die sechs Ausstellungsräume erfährt der Betrachter immer wieder Momente des vermeintlichen Erkennens und irritierten Verwerfens. Die in Berlin geborene Künstlerin mit Wurzeln in Baden-Württemberg und der Schweiz spielt nämlich mit dem allzu menschlichen Drang, Muster und Gemeinsamkeiten auszumachen, um die Umwelt zu begreifen. „Ähnlichkeiten helfen beim Ordnen, sie können aber auch in die Irre führen“, erklärt Kathrin Sonntag. „Diese Momente, in denen man versteht, dass etwas nicht dort hingehört, wo man es zunächst einsortiert hat, sind wie ein kleines Stolpern im Kopf, und das interessiert mich.“

Es ist dieser frische und häufig humorvolle Blick auf das Banale und Alltägliche, der Galerieleiter Martin Schick dazu bewogen hat, Kathrin Sonntag nach Backnang einzuladen. „Ihre Werke geben auch beim zweiten Hingucken noch etwas Neues her und regen die Wahrnehmung an. Das finde ich total interessant“, sagt Schick.

Die Kunst spricht mit dem Raum

Die offenkundig harmonische Zusammenarbeit zwischen Galerieleiter und Künstlerin spiegelt sich auch in dem Umstand wider, dass nicht nur Kathrin Sonntag großes Interesse am Haus, an dessen Geschichte und der Sammlung sowie an der Stadt Backnang selbst zeigte, sondern dass Martin Schick ihr auch im Gegenzug sehr bereitwillig Zugang in alle Bereiche gewährte, um sie kreativ in ihre Arbeit einzubeziehen. Seien es seine eigenen Fotografien vom Umbau der Räumlichkeiten im Jahr 2001 oder die Kupferstiche und Holzschnitte von Albrecht Dürer, Lucas Cranach und diversen niederländischen Meistern im Graphik-Kabinett: Kathrin Sonntag findet Inspiration und vor allem überraschende Verbindungen und Ähnlichkeiten in unterschiedlichen Kontexten.

Was haben Pfeifenrohlinge und eine Bank mit Tierfüßen gemeinsam? Eigentlich nicht viel, sollte man meinen, doch die Ähnlichkeit ist unverkennbar.

© Alexander Becher

Was haben Pfeifenrohlinge und eine Bank mit Tierfüßen gemeinsam? Eigentlich nicht viel, sollte man meinen, doch die Ähnlichkeit ist unverkennbar.

Zum mittlerweile dritten Mal ist die Berlinerin in der Stadt: einmal, um die Räumlichkeiten kennenzulernen, einmal erkundete sie die Sammlung und schließlich reiste sie vor rund zwei Wochen an, um die Ausstellung aufzubauen – weil Kathrin Sonntag, die sich als Fotografiekünstlerin im weiteren Feld bezeichnet, viel mit Tapeten arbeitet; eine körperlich anstrengende Tätigkeit, die sie aber gerne mache. „Es ist wie beim Ballett, da sieht man die blutigen Zehen auch nicht, aber sie gehören dazu“, sagt sie augenzwinkernd. Diese enge Auseinandersetzung mit den Räumlichkeiten ist nicht nur spürbar, sondern essenziell für Sonntags Arbeit. Die Werke stammen aus unterschiedlichen Zeiten und Serien, die in einer Art und Weise arrangiert wurden, dass sie miteinander, aber auch mit dem jeweiligen Raum und dessen architektonischen Gegebenheiten korrespondieren. „Ich sehe meine Werke sozusagen wie Partygäste, die ich je nach Situation dazuhole und zusammenbringe“, erklärt sie anschaulich.

Auf Du und Du mit Dürer

Und diese Gäste scheinen es gut miteinander zu können: So tummeln sich etwa im Raum „Sonntags Atlas“ kleine Glasstiefel, aus denen Spazierstöcke ragen, neben einer Bank mit Tierfüßen und einer Fotografie von Pfeifenrohlingen, die inhaltlich nichts miteinander zu tun zu haben scheinen und doch eine eigentümliche formale Ähnlichkeit aufweisen. „Das Sichten von Dingen und das Erkennen von dem, was interessant ist, machen 50 Prozent der Essenz beim Fotografieren aus“, erklärt Kathrin Sonntag, und genauso gehe sie vor, wenn sie beispielsweise Gegenstände oder einfach ihre Umwelt betrachte.

Im Obergeschoss, wo Detailausschnitte aus Kupferstichen von Albrecht Dürer als Tapeten die Wände schmücken, wird Sonntags erstaunlich geschulter Blick für Ähnlichkeiten besonders deutlich: Teile jener Ausschnitte hat sie mit eigenen Fotografien in einer Art und Weise überlagert, dass diese fließend ineinander übergehen oder Elemente sich prägnant wiederholen. „Meine Idee war eine Art Aktualisierung oder Abgleich“, sagt die Künstlerin. „Wie war seine Wirklichkeit und wie ist meine, und welche Gemeinsamkeiten und Entsprechungen gibt es da?“ Hier kommt der Ausstellungstitel zum Tragen: Alt trifft Neu, aber auch veraltete Nachrichten.

Was erstaunlich ist an Kathrin Sonntags Spiel mit Ähnlichkeiten: Obwohl das Sehen, Erkennen und Vergleichen ein sehr individueller Prozess ist, der von den Erfahrungen des Einzelnen geprägt wird, löst das, was die Künstlerin als Vorlage liefert, auf Anhieb auch beim Betrachter die entsprechenden Assoziationen aus. „Mir ist es wichtig, dass die Leute sich die Gemeinsamkeiten selbst erschließen können“, sagt Sonntag. „Wenn man alles erzählen muss, ist das nicht so gut.“

Termine Die Ausstellungseröffnung von „Old News“ findet am heutigen Freitag um 20 Uhr in der Galerie der Stadt Backnang statt. Oberbürgermeister Maximilian Friedrich wird ein Grußwort sprechen, anschließend wird Galerieleiter Martin Schick in die Ausstellung einführen. Sie läuft bis 19. November, der Eintritt ist frei. Die regulären Öffnungszeiten der Galerie sind Dienstag bis Freitag von 16 bis 19 Uhr, Samstag von 11 bis 18 Uhr und Sonntag von 14 bis 18 Uhr.

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Erstellt:
15. September 2023, 06:00 Uhr

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