Führungswechsel im Haus der Geschichte in Stuttgart

Paula Lutum-Lenger: „Die Autonomie war zu keiner Zeit ein Problem.“

An diesem Sonntag endet offiziell die Amtszeit von Paula Lutum-Lenger als Direktorin des Hauses der Geschichte. Im Blick zurück wirbt Lutum-Lenger – mit Blick nicht nur auf das Hotel Silber – für die Kraft der Partizipation.

Paula Lutum-Lenger

© Lichtgut/Leif Piechowski

Paula Lutum-Lenger

Von Nikolai B. Forstbauer

Von 1989 an hat Paula Lutum-Lenger das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart mit aufgebaut und in der Nachfolge von Gründungsdirektor Thomas Schnabel von 2018 an auch wesentlich aus dem Haus der Geschichte betreute Erinnerungsorte wie das Hotel Silber und die Erinnerungsstätte Stauffenberg in Stuttgart weiter entwickelt. Internationale Beachtung fand zudem die Ausstellungstrilogie „Gier. Hass. Liebe“. Kurz vor dem eigenen Ausscheiden konnte die 1957 im Münsterland geborene Historikerin unter dem Titel „Demokratie und Teilhabe seit 1945“ noch eine Neupräsentation in der Dauerausstellung eröffnen. Von 1. April an lenkt Cornelia Hecht-Zeiler, bisherige Stellvertreterin von Paula Lutum-Lenger, das Haus der Geschichte Baden-Württemberg.

Frau Lutum-Lenger, als Ausstellungsleiterin wie als Direktorin haben Sie das Haus der Geschichte Baden-Württemberg mit in anfangs nicht zu vermutende souveräne Qualitäts- und Autonomie-Höhen gelenkt. Wie wichtig ist dieses Doppel von Qualität und Autonomie für den Erfolg?

Die Autonomie war zu keinem Zeitpunkt ein Problem. Interventionen hat es keine gegeben. Man muss sich auch selbst davon freimachen nach Erwartungshaltungen zu schielen, sondern immer von der Sache her denken und die Qualität in den Vordergrund stellen, was im Erfolgsfalle wiederum die Autonomie stärkt.

Das Haus der Geschichte ist ein Museum unter Hochdruck, das parallel sehr unterschiedliche und in sich wieder sehr eigenständige Satelliten neu auf die Bühne gebracht beziehungsweise komplett neu zurückgebracht hat. Wie sicher waren Sie denn, dass Projekte wie Hotel Silber, Stauffenberg-Erinnerungsstätte oder „Jüdische Beziehungsgeschichten“ in Laupheim auch funktionieren?

Diese Sicherheit gibt es nicht. Andererseits kann man zuversichtlich sein, wenn man konzeptionell alles gut durchdacht hat. Sicher war der Erfolg des Hotel Silbers nicht ausgemacht, aber in der Konzeption angelegt.

Inwiefern?

Mit dem Hotel Silber ist ein zentraler Erinnerungsort mit bürgerschaftlichem Engagement entwickelt worden, für den ganz unterschiedliche Akteure mit viel Mut und viel Kraft gestritten haben. Diese „Demokratisierung der Erinnerung durch Ehrenamtlichkeit“ wie Aleida Assmann das bezeichnet hat, zeigt doch, dass sich das Kämpfen um diesen besonderen Ort wirklich gelohnt hat und Erinnern nicht nur eine staatliche Aufgabe ist, sondern ein Bedürfnis eines demokratischen Gemeinwesens. Das wird ja auch in dem vielfältigen Veranstaltungsprogramm deutlich, das in einem guten Miteinander gemeinsam vom Haus der Geschichte, der Initiative Lern - und Gedenkort Hotel Silber e.V. sowie der Landeshauptstadt Stuttgart, der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen gestaltet wird.

Und strahlt die Arbeit im Hotel Silber, in Laupheim und an vielen weiteren Orten auch auf das „Haupthaus“ zurück?

Ein gutes Beispiel ist die neue Dauerausstellung im Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden. Die „jüdischen Beziehungsgeschichten“ sind sehr erfolgreich gestartet und diese Arbeit wird in Stuttgart 2026 mit der Großen Landesausstellung „Mittendrin“ zum Jüdischen Leben im deutschen Südwesten ihre Fortsetzung finden.

Vermittlung ist ein wesentliches Element. Und wird von Ihnen persönlich auch immer wieder in vielen Sichtweisen thematisiert. Gibt es hierbei einen „Königsweg“?

Einen Königsweg gibt es nicht. Solange man die Vermittlung an die Inhalte anbindet, gibt es Grund für Optimismus. Im Haus der Geschichte Baden-Württemberg steht Partizipation von Besucherinnen und Besuchern vor dem Hintergrund der inhaltlichen Ausrichtung des Museums als historisch-politischer Bildungseinrichtung im Mittelpunkt der Vermittlungsarbeit. Wir haben unterschiedliche Formate der multiperspektivischen Zusammenarbeit entwickelt, um Interaktion und Teilhabe zu stärken.

Wie sehen diese Formate aus?

Es bestehen Kooperationen mit Schulen – unter anderem durch formelle Schulpartnerschaften und Lehrkräftefortbildungen – , Integrationskursen, pädagogischen und künstlerischen Hochschulen. Es reicht schon lange nicht mehr aus, die Tür zu öffnen, unsere Geschichtsvermittlung macht hier großartige Arbeit, indem sie die Menschen dort abholt, wo sie sind.

Sie setzen aktuell im Haus der Geschichte auf das Thema Demokratie. Die Neupräsentation legt es bewusst breit an, bezieht über die „Teilhabe“ Aspekte ein, die man sonst gerne vergisst. Etwa die tarifliche Mitbestimmung. Kann man diese Schau auch als Appell verstehen, Demokratie nicht auf freie Wahlen zu reduzieren?

Partizipation lautet das Thema, das wir von Anbeginn des Hauses in den Mittelpunkt gerückt haben. Die Frage nach der Teilhabe, wie entwickelten sich während der letzten 200 Jahre in Baden und Württemberg die Chancen seiner Bewohner an den verschiedensten Lebensbereichen teilzuhaben? Es hat einen klaren politischen Kern, den man mit dem Begriff der Demokratisierung umschreiben könnte, aber er erschöpft sich nicht darin.

Sondern?

Genauso wichtig wie die schrittweise Ausweitung des Wahlrechts, können Prozesse wie die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung oder die Öffnung der Universitäten für das weibliche Geschlecht sein. Partizipation ist also multidimensional, wobei die Entwicklung verschiedener Dimensionen durchaus gegenläufig ausfallen kann. Dass der Begriff der Partizipation Widersprüchen und Paradoxien gegenüber offen ist, erweist sich als ein wichtiger Vorteil. Nur so lässt sich nämlich eine eindimensionale Interpretation der letzten 200 Jahre als Fortschrittsgeschichte vermeiden.

Sie betonen auf die Fragen nach Ihrer persönlichen Zukunft immer wieder, dass Sie sich freuen, aus dem 24-Stunden-Rhythmus herauszutreten. Wie ist das, was macht Ihren aktuellen „Job“ zuvorderst aus?

Im Moment lässt die Vielfalt der Aufgaben und die termingebundene, fest verplante Tageszeitvorgabe wenig Spielraum, das sollte sich im Ruhestand ändern.

Und gerne sagen Sie zudem, dass Sie hier und da noch einen Rat geben würden, wenn gewünscht. Ist das nicht eine sehr defensive Position? Sie sind national wie international gefragt. Schaffen Sie es denn wirklich auf einen, sagen wir, 18 Stunden-Tag?

Ich habe eine Arbeit gemacht, machen dürfen, die ich sehr gerne und mit großer Begeisterung und Leidenschaft gemacht habe, das kann man nicht von heute auf morgen auf null drehen.

Zum Artikel

Erstellt:
29. März 2024, 22:28 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen