London
Rätselhafter Fall: Wenn Objekte aus Museen verschwinden
Im British Museum sind historische Schmuckstücke verschwunden. Das Haus hat einen Mitarbeiter entlassen und gerät selbst unter Druck. Was bisher bekannt ist.
Von Von Julia Kilian und Gerd Roth, dpa
London - Eine der bedeutendsten Kultureinrichtungen Großbritanniens musste mit einer schlechten Nachricht an die Öffentlichkeit gehen: Mehrere historische Objekte sind im British Museum verschwunden. Genannt wurden Goldschmuck sowie Juwelen aus Halbedelsteinen und auch Glas. Teilweise so alt, dass die Stücke bis ins 15. Jahrhundert vor Christus zurückreichen.
Das Museum in London, das jährlich Millionen Menschen besuchen, verwahrt bedeutende Kulturschätze der Menschheit. Und die Sammlung ist gewaltig. Das Museum will nun seine Sicherheitsvorkehrungen überprüfen lassen und gerät selbst in die Kritik.
Wo sind die verlorenen Kunstschätze?
Welche Objekte genau weg sind - und wie viele -, hat das Museum bisher nicht bekanntgegeben. "Die Mehrzahl der betroffenen Gegenstände waren kleine Stücke, die in einem Lagerraum einer der Sammlungen des Museums aufbewahrt wurden", teilte das Museum mit. Und sprach in seiner Mitteilung vorsichtig von Gegenständen, die "fehlen, gestohlen oder beschädigt" worden seien.
Keines der Objekte sei in letzter Zeit in der Ausstellung gewesen, sie seien vorrangig für Forschungszwecke aufbewahrt worden. Ein Bericht der Zeitung "The Telegraph" bringt die Vermutung auf: Wurden einige der Artefakte bereits vor Jahren auf Ebay angeboten?
Das Museum entließ einen Mitarbeiter und kündigte an, gegen die Person rechtlich vorgehen zu wollen. Nach Angaben britischer Medien soll es sich um einen Kurator handeln, der lange für das Museum arbeitete. Die Zeitung "The Times" zitierte dessen Sohn mit den Worten, sein Vater sei unschuldig. Die Londoner Metropolitan Police ermittelt und hat bisher niemanden festgenommen.
Kritik an Sicherheitsvorkehrungen
Direktor Hartwig Fischer, der erste Deutsche an der Spitze des British Museum, beteuert: "Das ist ein höchst ungewöhnlicher Vorfall." Er spreche im Namen aller Kollegen, wenn er sage, dass sie den Schutz der Gegenstände sehr ernst nähmen. Seit Bekanntwerden des Falls steht allerdings die Frage im Raum, wie gut manche Objekte geschützt sind. Manche sprechen von einem peinlichen Fall.
Der Jurist Christopher Marinello, der sich etwa mit der Wiederbeschaffung von Raubkunst beschäftigt, sagte der Nachrichtenagentur PA: "Es reicht nicht, Kameras an den Wänden zu haben. Man muss seine Mitarbeiter ordentlich überprüfen." Es müsse auch die Pflicht geben, genau zu erfassen, wann jemand anfange, ein Objekt zu untersuchen, und wann er dann wieder aufhöre.
Dass bisher keine Bilder veröffentlicht wurden und keine detaillierte Liste, lässt manche spekulieren, ob das Ausmaß vielleicht noch nicht klar ist, oder ob die Polizei einen Einsatz plant oder andere ermittlungstaktische Gründe hat.
George Osborne, Vorsitzender des Aufsichtsrats des Museums, hatte am Mittwoch mitgeteilt, das Gremium sei äußerst besorgt gewesen, als es "früher im Jahr" erfahren habe, dass Gegenstände aus der Sammlung gestohlen worden seien. Wichtig seien nun drei Dinge: die gestohlenen Gegenstände wiederzubekommen; herauszufinden, wie man den Fall - falls überhaupt - hätte verhindern können; und alles Nötige zu tun, um sicherzustellen, dass so etwas nicht noch einmal passiere.
Wie reagieren deutsche Museen auf den Londoner Fall?
Die Vorkommnisse werden auch in deutschen Ausstellungshäusern beobachtet. Beim Deutschen Museumsbund sollen sie in einem Arbeitskreis besprochen werden, wie Remigiusz Plath vom Arbeitskreis Gebäudemanagement und Sicherheit sagte.
Plath, auch bei der Hasso Plattner Foundation in Potsdam für Sicherheitsfragen zuständig, empfiehlt, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in gehobenen Positionen beim Zugang zu Kunstwerken zu reglementieren. "Das bedeutet konkret, dass diese Personen nie alleine ins Depot gehen und immer begleitet werden müssen von Leuten, die nicht dieselbe Position haben, sondern aus einem ganz anderen Bereich kommen." Es müsse ein Vier- oder Sechs-Augen-Prinzip geben.
Eine Rolle spielt auch die Größe der Museen. "Häuser wie das Britische Museum, die eine riesige Sammlung haben, die haben natürlich die Herausforderung, dass die meisten Artefakte und Kunstwerke sowieso nicht ausgestellt werden", sagte Plath der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Die Depots sind Hunderte Male größer als die Zahl der ausgestellten Stücke. Da hat niemand einen täglichen Überblick."
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die in Berlin die Museumsinsel verwaltet, will sich den Londoner Fall ebenfalls ansehen. Mit der "Taskforce Risikomanagement" werde der Fall jetzt ausgewertet und das Prozedere der Risikominimierung gegebenenfalls angepasst, teilte ein Sprecher mit. Aus den vergangenen Jahrzehnten sei dort kein Fall von Objektdiebstahl durch Mitarbeiter bekannt.
Tatsächlich wird eher selten berichtet, dass Gegenstände aus Museen verschwinden. In Deutschland machten zuletzt vor allem zwei Einbrüche Schlagzeilen - der Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden und der Raub einer Goldmünze im Berliner Bode-Museum. Die Nachrichtenagentur PA listete einige Fälle am British Museum aus der Geschichte auf. Darunter war ein Cartier-Diamantring - angeblich 750 000 Pfund wert.
Griechenland spricht von "ernstem Vorfall"
Die griechische Kulturministerin Lina Mendoni äußerte sich besorgt über den rätselhaften Fall in London. Es sei ein "äußerst trauriger und ernster Vorfall", betonte sie. Athen verfolge die Angelegenheit "sehr genau". Griechenland dürfte auch deswegen auf die Ereignisse schauen, weil im British Museum ein erheblicher Teil der Parthenon-Skulpturen ausgestellt wird. Athen fordert seit Jahrzehnten die Rückgabe sämtlicher Friesteile. Das Museum lehnt ab. Ein Argument ist, dass Objekte, die im Museum ausgestellt werden, sicher seien.