Neu im Kino: „The Palace“ von Polanski
Schummrige Altherrenfantasien
Roman Polanski hat in seiner langen Karriere ein imposantes Gesamtwerk geschaffen. Seine neue Komödie „The Palace“ über wohlstandsverwahrloste Gäste eines Grand Hotels wäre jedoch ein unrühmlicher Schlusspunkt, sollte sie Polanskis letzte Arbeit bleiben.
Von Kathrin Horster
Lippen in pink geschminkter Gummi-Optik, Wimpernkränze wie Spinnenbeine, Selbstbräuner-Exzesse und Pelzmäntel: Wenn es um die Darstellung kosmetisch-modischer Geschmacksentgleisungen geht, zieht Regie-Legende Roman Polanski alle Register in seiner Komödie „The Palace“ über eine aus dem Ruder laufende Silvesterparty im Jahre 1999. Schauplatz der Sause ist das titelgebende aber fiktive Grand Hotel in den Schweizer Alpen.
Während das Hotelpersonal zwölf Stunden vor dem damals von aller Welt befürchteten Totalkollaps sämtlicher Computersysteme den ausgelassenen Tanz auf dem Vulkan vorbereitet, trifft in der Edelherberge die wohlstandsverwahrloste Gästeschar ein. Darunter der 97-jährige Arthur William Dallas III. (John Cleese) mit seiner 22-jährigen Gattin Magnolia (Bronwyn James), die ihren ersten Hochzeitstag mit Schampus, Feuerwerk und echtem Pinguin feiern wollen. Ohne Mann, dafür mit Hund und sexuellen Gelüsten, kommt die Marquise Marie de La Valle (Fanny Ardant). Weil deren Fußhupe Probleme mit der Verdauung hat, wird der mit seiner dementen Frau angereiste Schönheitschirurg Dr. Lima (Joaquim de Almeida) als Veterinär zwangsverpflichtet.
Ein Haufen schräger Vögel
Neben einer Gruppe von Russen, die am Abend der Abdankung von Präsident Boris Jelzin Koffer voller Moneten im hoteleigenen Hochsicherheitstresor einchecken wollen, bereitet vor allem ein Gast dem Hotelmanager Hansueli Kopf (Oliver Masucci) schlimmes Schläfenpochen. Bill Crush (Mickey Rourke), ein windiger Geschäftsmann, behauptet partout, seine Assistenten hätten eine Suite gebucht, nur ist dazu nichts im Buchungsprogramm hinterlegt. Crushs unehelicher Sohn mitsamt Familie aus Tschechien und Crushs Schweizer Bankberater Caspar Tell (Milan Peschel) komplettieren das Chaos.
Aus dieser Akkumulation großer Namen und schräger Vögel ließe sich etwas machen. Leider ist „The Palace“, Roman Polanskis neuer Film seit „Intrige“ (2019), der gelungenen Verfilmung der historischen Dreyfus-Affäre, ein mäßig lustiger, an manchen Stellen sogar ärgerlich präpubertäres Schlamassel geworden. Dabei hat der inzwischen 90-jährige Filmemacher in früheren Arbeiten seinen Sinn für abseitige Komik und bösen Witz bewiesen. Sei es in der legendären Gruselkomödie „Tanz der Vampire“ (1967) oder in der Satire „Was?“ (1973) über eine dekadente, sexbesessene Gesellschaft. „Der Gott des Gemetzels“ (2011) über zwei sich im Streit zerfetzende Elternpaare und „Venus im Pelz“ (2013), Polanskis selbstkritische Reflexion über Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau, belegten, dass der Filmemacher auch im Alter nichts an Bissigkeit verloren hatte.
Zum Lachen ist das nicht
Umso dümmer wirken die lauen Witze über Hundekacke und erotische Rohrreinigungen. Wenn John Cleese als Hochbetagter zwischen den vollen Schenkeln seiner jugendlichen Gespielin selig lächelnd einer Herzattacke erliegt, mag das Polanskis eigener lüsterner Altherrenfantasie entsprechen; zum Lachen ist das nicht. Ein bisschen zünden nur die Scherze zur Abdankung Boris Jelzins und der Machtübernahme Wladimir Putins, dem die russischen Gangster-Gäste im Hotel eine langlebige Regierungszeit wünschen. Wenn die der Frau des russischen Botschafters flaschenweise Wodka einflößen und Madame hinterher in einem Schwall aus dem Fenster ihrer Limousine kotzt, mag Polanski gesteigertes Interesse an den Texturen verschiedener Körperausscheidungen zeigen, Stil beweist er damit weniger. Zumal Milan Peschel in seiner Rolle des Bankberaters nach einer mit Bill Crush durchzechten Nacht noch seinen Blaseninhalt von sich geben darf. Polanski hätte sein Augenmerk besser auf andere Aspekte der Bildgestaltung gelegt.
Trauriges Debakel
Im Gegensatz zu den früher penibel komponierten Tableaus mit durchdachter Ausleuchtung und Farbdramaturgie bleibt die Ästhetik diesmal auf der Strecke. Im Inneren des Hotels herrscht eine schummrig-matschige Dauerlichtstimmung in Ocker- und Beigetönen vor, das Schneeweiß der Winterlandschaft draußen mit der putzig anachronistischen Hotelarchitektur wirkt wie ein müdes Zitat der Puppenhaus-Romantik Wes Andersons. Die Aneinanderreihung der kleinen Katastrophen und Missgeschicke plätschert vor sich hin, einen interessanten Spannungsbogen mit Klimax und Pointe bietet der Plot nicht. Der Schöpfer von Meilensteinen wie „Rosemaries Baby“ (1968), „Chinatown“ (1974) oder „Oliver Twist“ (2005) hätte es nach „Intrige“ wohl besser gut sein lassen. Ob Polanski dieses traurige Debakel mit einem wieder gelungenen Film wird überschreiben können, ist angesichts seines hohen Alters leider fraglich.
The Palace. Italien, Schweiz, Polen, Frankreich 2023. Regie: Roman Polanski. Mit Fanny Ardant, Oliver Masucci, Bronwyn James, John Cleese. 102 Minuten. Ab 12 Jahren
Info
SchicksalRoman Polanskis jüdische Mutter wurde 1943 in Auschwitz ermordet, 1969 töteten Mitglieder der Manson Family dessen schwangere Frau Sharon Tate.
Erfolge Mit „Rosemaries Baby“, „Macbeth“, „Chinatown“ oder „Der Mieter“ erwies sich Polanski als Spezialist für düstere Stoffe. Sein enormes Talent für Literaturverfilmungen bewies er unter anderem mit „Tess“ und „Oliver Twist“.
Skandal 1977 wurde Polanski wegen Vergewaltigung der 13-jährigen Samantha Gailey angeklagt. Durch eine anwaltliche Absprache wurde die Anklage auf „außerehelichen Sex mit einer Minderjährigen“ reduziert, statt Haft wurde Bewährung empfohlen. Polanski floh vor weiterer Strafverfolgung aus den USA in die Schweiz. Zwei weitere Vergewaltigungsvorwürfe von 1972 und 1975, publik geworden 2017 und 2019, lasten bis heute auf ihm.