Choreografin Smadar Goshen aus Israel

Performance-Walk über die Deportation der Urgroßmutter aus Stuttgart

Es war ein Schock, als sie auf der Liste am Mahnmal „Zeichen der Erinnerung“ am Nordbahnhof in Stuttgart den Zug sieht, der ihre Urgroßmutter deportierte. Familiengeschichte verarbeitet die Choreografin Smadar Goshen in der Performance „Passing“.

Die Choreografin Smadar Goshen blickt in der Performance „Passing“ in die Geschichte ihrer Familie, will aber auch Fragen an die Zukunft stellen.

© Sebastian Autenrieth

Die Choreografin Smadar Goshen blickt in der Performance „Passing“ in die Geschichte ihrer Familie, will aber auch Fragen an die Zukunft stellen.

Von Andrea Kachelrieß

Die aus Israel stammende Choreografin Smadar Goshen lebt in Stuttgart. Auf dem Performance-Walk „Passing“, der am 27. und 28. Juli je zwei Mal vor der Kirche St. Georg startet, begibt sie sich auf die Spuren einer deportierten Vorfahrin und der jüdischen Gemeinde.

Frau Goshen, Sie haben den Namen Ihrer Urgroßmutter Paula Kahn am Mahnmal „Zeichen der Erinnerung“ entdeckt. Ein Zufall?

Ja, mir war bislang nur bekannt, dass sie am 1. Dezember 1941 aus Stuttgart nach Riga deportiert worden war. Die Gedenkstätte hatte ich zufällig entdeckt, als ich vor drei Jahren von einer Vorstellung in den Wagenhallen nach Hause radelte. Dass es dieses Monument gibt, war damals neu für mich. Von der Straße aus hatte ich die Liste mit den Zügen entdeckt…

Was haben Sie gefühlt?

Allein der Hinweis auf diese Fahrt nach Riga war so schockierend, dass ich das Mahnmal selbst gar nicht mehr betreten konnte und das erst jetzt bei der Recherche für die Performance „Passing“ gemacht habe. Besonders erschreckend war, dass ich auf demselben Boden stand wie meine Urgroßmutter bei ihrer Deportation. Was vorher nur in meiner Vorstellung war, wurde mit einem Mal körperlich begreifbar.

Ihr Performance-Walk führt von der Kirche St. Georg über den Pragfriedhof zur Erinnerungsstätte am Nordbahnhof. Was erwartet das Publikum?

Über einen Audio-Guide begleitet einen eine Stimme auf dem rund 30-minütigen Weg und bietet Begegnungen mit meiner Familiengeschichte und meiner Urgroßmutter, die Teil der jüdischen Gemeinde war. Ich möchte an Menschen, an ihre Identität erinnern. Sechs Tänzerinnen und Tänzer führen den Fokus weg vom Tod und von der Vergangenheit in die Gegenwart und stellen Fragen an die Zukunft.

2019 brachte Sie ein Stipendium Ihres Lebenspartners nach Stuttgart. Stellt „Passing“ auch die Frage nach Heimat?

Mit Heimat verbinde ich ein Gefühl der Zugehörigkeit; in meinem Stück geht es eher darum, was es heißt, fremd zu sein. Was bedeutete es zum Beispiel für die Generation meiner Großeltern, als Deutsche in Israel zu leben? Durch sie bin ich in Verbindung zur deutschen Kultur aufgewachsen, aber trotzdem kann ich in Stuttgart nicht sagen, dass ich von hier bin.

Wie geht es Ihnen mit dem, was aktuell in Israel passiert?

Mein Land hat durch die Geschehnisse sein Gesicht verändert. Es ist schwer, sich auszumalen, wie Israel in ein paar Jahren aussehen wird, im Moment steht es noch im Auge des Sturms. Meine Lieben sind dort und deshalb ist mein Herz dort, aber es wird schwieriger, sich ein anderes Leben dort vorzustellen. Das Konzept für „Passing“ war vor dem 7. Oktober entstanden. Danach hat das Stück eine neue Ebene bekommen, die nicht nur im Vergangenen sucht, sondern nach vorn blickt und fragt, ob wir unser Verhalten ändern können.

Info

TerminVorstellungen am Wochenende 27./28. Juli jeweils um 15 und 17 Uhr; vor allem am Samstag gibt es noch freie Plätze. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung aber erforderlich auf der Internetseite: https://smadargoshen.com/allgemein/passing/

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Erstellt:
18. Juli 2024, 15:52 Uhr
Aktualisiert:
22. Juli 2024, 11:57 Uhr

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