Neu im Kino: „Freud – Jenseits des Glaubens“

Sterben ohne Gott

In Matthew Browns Kino-Kammerspiel „Freud – Jenseits des Glaubens“ trifft der jüdische Pionier der Psychoanalyse auf den christlichen Dichter C.S. Lewis. Ist das spannend?

Liv Lisa Fries und Anthony Hopkins als Anna und Sigmund Freud in Matthew Browns „Freud – Jenseits des Glaubens“.

© X-Verleih/Sabrina Lantos

Liv Lisa Fries und Anthony Hopkins als Anna und Sigmund Freud in Matthew Browns „Freud – Jenseits des Glaubens“.

Von Kathrin Horster

Streicheln lassen mag sich Sigmund Freuds Hund nicht mehr von seinem Herrchen kurz vor dessen Tod im Spätsommer 1939. Wegen eines offen wuchernden Gaumenkarzinoms riecht der berühmte Begründer der Psychoanalyse nach Fäulnis und Verwesung. Damit ihn die Fliegen im Schlaf nicht belästigten, hängte man ihm sogar ein Netz übers Bett in seinem Londoner Exil. Eine traurige Anekdote, die der Filmemacher Matthew Brown in seinem Kammerspiel „Freud – Jenseits des Glaubens“ aufgreift. Dabei soll Freud trotz seiner Gebrechen bis zu seinem Morphium-Freitod geistig auf der Höhe gewesen sein. Auf Basis eines Theaterstücks imaginiert Brown das fiktive Treffen Freuds mit dem irischen Schriftsteller C.S. Lewis, der heute besonders als Schöpfer der christlichen Fantasy-Buchreihe „Die Chroniken von Narnia“ bekannt ist.

Im Film trifft Freud auf den Urheber der „Chroniken von Narnia“

Sigmund Freud, stolz und kantig interpretiert vom fast 87-jährigen Meistermimen Anthony Hopkins, ist erst kürzlich vor den Nazis aus Wien nach London geflohen, als Browns Film einsetzt.

Mit dem Überfall Deutschlands auf Polen kündigt sich die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs an, die Freud nur noch in ihren Anfängen erleben wird. In einer Rückblende schildert Matthew Brown, wie am Tag nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs ein Trupp von SA-Männern den damals schwer Kranken abholen will. Um ihren Vater zu schützen, lässt sich Tochter Anna (Liv Lisa Fries) abführen. Nach ihrer Entlassung aus dem Gewahrsam entschließt sich die Familie zur Flucht. Die infamen Bedingungen der Ausreise spart Brown aus, etwa, dass vor dem Nazi-Regime ins Ausland flüchtende Juden wie Freud eine „Reichsfluchtsteuer“ entrichten und ein vorgefertigtes Dokument unterzeichnen mussten. Freud unterschrieb auf Druck, von „Behörden und Funktionären der Partei“ „korrekt und rücksichtsvoll“ behandelt worden zu sein. Brown würdigt die bedrückende Vorgeschichte jedoch nur als Streiflicht und konzentriert sich auf den Dialog zwischen dem religionsskeptischen Analytiker Freud und dem christlichen Apologeten Lewis. Während ein Großteil des Films in Freuds Arbeitszimmer angesiedelt ist, folgt Matthew Brown Freuds Tochter Anna in die Uni, wo sie stellvertretend für ihren Vater und belächelt von konservativen Studenten Vorlesungen hält, und auf die Londoner Straßen, wo Anna händeringend versucht, ein Schmerzmittel für ihn aufzutreiben.

Dass Brown am engen Horizont des Dramentextes klebt, ist ein bisschen schade, weil der hauptsächlich um das abstrakte, wenig filmische Thema der Glaubensfrage kreist, zugleich aber nur oberflächlich die unterschiedlichen Standpunkte Freuds und Lewis’ abtasten kann.

Ein Rückblick erhellt Freuds Kindheit, in der Sigmund einerseits vom Vater rudimentär in jüdischen Gebräuchen unterwiesen wurde, andererseits vom Kindermädchen Einblicke in die katholische Heiligenverehrung erhielt.

Freud wird als von sich überzeugte Koryphäe gezeigt

Dass Freud sich vor allem aus der Erfahrung anti-jüdischer Diskriminierung heraus kulturell als Jude identifizierte, mit den religiösen Wurzeln aber wenig verband, differenziert Brown nur ansatzweise. Den heute oft kritisch bewerteten Evangelikalen C.S. Lewis porträtiert Brown relativ flach als im Ersten Weltkrieg traumatisierten, wenig streitbaren Charakter, den Matthew Goode einfühlsam als melancholischen Intellektuellen gibt. Trotz seiner entsetzlichen Felderlebnisse hadert Lewis anders als Freud nicht mit der Frage, wie die Erfahrung des Krieges mit dem Glauben an einen Gott vereinbar sei. Brown betont, dass Lewis sich während des Zweiten Weltkrieges entwurzelter Kinder annahm.

Freud kommt dagegen als von sich überzeugte Koryphäe weg, mit Anflügen von Herrschsucht über Tochter Anna, die vor ihrem Vater die eigene Homosexualität und Liebe zu Dorothy Tiffany Burlingham (Jodi Balfour) zu verbergen versucht. In der Realität floh Burlingham jedoch mit ihren Kindern zusammen mit den Freuds nach London. Freuds Haltung zur Homosexualität war offen und ohne negative Wertung, zu einer Zeit, als in Deutschland mit dem berüchtigten Paragraphen 175 die sexuelle Orientierung unter Strafe gestellt wurde.

Dass der Film die Vater-Tochter-Beziehung leicht reißerisch als neurotisches Abhängigkeitsverhältnis überspitzt, ist vielleicht dem Umstand geschuldet, dass der Plot sonst eher trocken wirkt im Versuch, die kulturellen Ansichten der beiden Männer zu vermitteln. Als Einstieg in die Gedankenwelten Sigmunds Freuds und seiner Zeitgenossen, die der Barbarei Vernunft und Wissenschaft entgegen stellten, unterhält der Film trotzdem.

Freud – Jenseits des Glaubens. UK, USA 2024. Regie: Matthew Brown. Mit Anthony Hopkins, Liv Lisa Fries, Matthew Goode. 108 Minuten. Ab 12 Jahren.

Denken und Glauben

Liv Lisa Fries und Anthony als Tochter und Vater Freud

© X-Verleih /Sabrina Lantos

Liv Lisa Fries und Anthony als Tochter und Vater Freud

Szene aus „Freud – Jenseits des Glaubens“

© X-Verleih /Patrick Redmond

Szene aus „Freud – Jenseits des Glaubens“

Matthew Goode als C.S. Lewis.

© X-Verleih /Patrick Redmond

Matthew Goode als C.S. Lewis.

Szene aus „Freud – Jenseits des Glaubens“

© X-Verleih /Sabrina Lantos

Szene aus „Freud – Jenseits des Glaubens“

Szene aus „Freud – Jenseits des Glaubens“

© X-Verleih /Patrick Redmond

Szene aus „Freud – Jenseits des Glaubens“

Szene aus „Freud – Jenseits des Glaubens“

© X-Verleih /Patrick Redmond

Szene aus „Freud – Jenseits des Glaubens“

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Erstellt:
17. Dezember 2024, 13:34 Uhr
Aktualisiert:
17. Dezember 2024, 14:46 Uhr

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