Buchtipp: Chimamanda Ngozi Adichie, „Dream Count“

Träume sind Schäume und Männer ein Problem

Seit zwölf Jahren wartet die Welt auf einen neuen Roman der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Nun ist es soweit: „Dream Count“.

Chimamanda Ngozi Adichie weiß, was Literatur von Aktivismus unterscheidet.

© Manny Jefferson

Chimamanda Ngozi Adichie weiß, was Literatur von Aktivismus unterscheidet.

Von Stefan Kister

Man kann nicht sagen, dass sich dieser Roman an einen ranschmeißen würde. Warum auch? So etwas hat weder seine Autorin nötig, noch würde es zu den vier Frauen passen, deren Geschichten sich darin verknüpfen. Mit Ranschmeißern haben sie mehr als genug Erfahrungen gemacht. Männer neigen hier dazu, sich nach kurzer Zeit wie ein Stück Zucker im Tee aufzulösen, mit ihnen mancher Traum.

„Dream Count“ – Traumzählen – ist der Titel des lange erwarteten neuen Romans von Chimamanda Ngozi Adichie. 12 Jahre nach ihrem epochalen Erfolg „Americanah“ kehrt die 1977 in Nigeria geborene Ikone einer jungen, selbstbewussten Weltliteratur auf das Gebiet der Belletristik zurück – in etwa so alt wie ihre Protagonistinnen.

Eine von ihnen ist die aus einer wohlhabenden Familie in Lagos stammende und zumeist in den USA lebende Reiseschriftstellerin Chiamaka. Handelte der interkontinentale Liebesroman „Americanah“ unter anderem davon, wie es ist, als gebildete Afrikanerin in die USA zu gehen und sich selbst zum ersten Mal als Schwarz wahrzunehmen, macht nun die schreibende Globetrotterin auf einem ihrer Streifzüge die entsprechende Erfahrung während eines Literaturfestivals in einer kleinen Stadt im Schwarzwald: „Eine Frau, die mich an eine Babuschka-Figur aus einem Film erinnerte, verlangsamte ihren Schritt, um mich zu mustern, ihre Augen tasteten mich von Kopf bis Fuß ab.“

Doch ein weltweiter Lockdown hat die gewohnten Abläufe angehalten. Eine Gelegenheit, sein Leben zu durchforsten. Ihre Mutter hat sie kürzlich wenig dezent darauf hingewiesen, dass ihre Zeit ablaufe: „Jetzt ist deine einzige Möglichkeit eine künstliche Befruchtung“. Mehr als nach Kind und Ehe sehnt sich Chiamaka allerdings danach, „wahrhaftig erkannt zu werden“. Und sofern es sich dabei um eine Angelegenheit zwischen Mann und Frau handelt, sieht es eher düster aus.

Die Ironie des Titels enthüllt sich vor der landläufigen Bedeutung des Body Counts, worunter man sich eine Art amouröse Trophäensammlung vorstellen muss. Hier ist es eher eine Aufstellung maskuliner Flops, ein Leporello der Enttäuschungen. Chiamaka erzählt von gutaussehenden Snobs, deren Bartöl Hautausschläge verursacht, und die ihrerseits allergisch auf Verstöße gegen einen eitlen akademischen Komment reagieren. Die übertriebene Männlichkeit des einen erdrückt sofort das Wohnzimmer, die verschwiegene Ehe des anderen die Keime zarter Neigungen.

Männer sind das Problem auch bei Chiamakas Freundin Zikora, die in den USA eine glänzende Karriere als Rechtsanwältin macht. Man lernt sie aus der Kreißsaalperspektive kennen, Presswehen, Dammschnitt, Schmerzen, wie sie nur Frauen erfahren. Ihr Liebhaber hat sich mit der Schwangerschaft aus dem Staub gemacht, vielleicht auch aus Furcht vor den anstehenden Hochzeitsriten der Igbo, jener afrikanischen Ethnie, der wie die Autorin auch ihre polyglotten Protagonistinnen angehören.

Sexuelle Gewalt und Rassismus

Zwischen Selbstbestimmung und Traditionen, die mit ungebetener Hand den Traum vom Heiraten in ihr Leben schreiben, suchen diese Frauen ihren Weg, zwischen einem von seinen Gewissheiten besoffenen Amerika und instabilen politischen Verhältnissen in Afrika. Chiamakas Cousine lebt in Nigeria in einer Patchworkfamilie mit einem schwulen Mann und einem auf der Straße aufgelesenen Mädchen. Mit dubiosen Finanztransaktionen für eine korrupte Führungsschicht hat sie ein Vermögen gemacht. Ihre schmutzigen Geschäfte kompensiert sie unter dem Firmennamen „Robyn Hood“ mit einer Art sozialen Geldwäsche zugunsten Bedürftiger.

In die privilegierten Upper-Class-Umstände der drei Weltbürgerinnen eingelassen ist die Perspektive von Chiamakas Hausangestellter Kadiatou. Ihr Traum wäre es, irgendwann einmal ein Restaurant aufzumachen. Deshalb arbeitet sie außerdem als Zimmermädchen in einem Washingtoner Luxushotel. Doch dort passiert etwas, durch das die scheue Frau auf schlimme Weise ins Schlaglicht der Weltöffentlichkeit gerät. Ihre Geschichte, die von den Ereignissen um einen sexuell übergriffigen französischen Spitzenpolitiker inspiriert ist, bildet das Herzstück des Ganzen. In dem realen Vorfall konvergieren Macht, sexuelle Gewalt und Rassismus, doch seine fiktionale Einkleidung gibt der auf vielfältige Weise Bloßgestellten ihre Würde zurück.

Woher lernen Männer, was sie über Sex wissen? Diese Frage treibt Chiamakas freigeistige Cousine dazu, in den USA ein kulturwissenschaftliches Studium über Pornografie aufzunehmen. In ihrem Blog „For Men Only“ versucht sie, das andere Geschlecht über sich aufzuklären. Als Galionsfigur eines social-media-kompatiblen Pop-Feminismus weiß Chimamanda Ngozi Adichie, worüber sie schreibt. Aber sie weiß eben auch, was Literatur von Aktivismus unterscheidet.

„Dream Count“ ist kein verkapptes Manifest. Die sanfte Humanität dieses fein geknüpften Gewebes verstrickt sich nicht in der Abbildung von Positionen. Seine gelassen durch Zeit und Raum mäandernde Erzählweise ist der formale Einspruch, gegen die auftrumpfenden Posen, die Träume zu Schäumen werden lassen.

In dem aus vielen verschiedenen Fäden kunstvoll gewirkten Muster zeigen sich die Dinge, wie sie sind: als Summe von Hoffnungen, Perspektiven und Katastrophen. Und vielleicht ist es genau dieses Erkennen, nach dem sich Chiamaku sehnt. Wo immer man lernt, was man über die Angelegenheiten zwischen Männern und Frauen wissen sollte – hier wäre Wesentliches darüber zu erfahren.

Chimamanda Ngozi Adichie: Dream Count. Übersetzt von Jan Schönherr, Asal Dardan. S. Fischer Verlag. 528 Seiten, 28 Euro.

Info

AutorinChimamanda Ngozi Adichie wurde 1977 in Enugu geboren. Die Tochter eines Mathematikprofessors und einer Soziologin studierte erst eineinhalb Jahre Medizin in Nigeria, bevor sie 1998 in die USA ging und in Kommunikationswissenschaften abschloss. Sie pendelt zwischen Lagos und den USA.

WerkDie Bücher der globalen Intellektuellen mit 16 Ehrendoktorwürden erreichen weltweit ein Millionenpublikum. Sie hat Romane, Erzähl- und Gedichtbände veröffentlicht. 2003 erschien ihr erster Roman, „Blauer Hibiskus“, der für den Booker Prize nominiert war. Für „Americanah“ erhielt sie 2013 den Heartland Prize for Fiction und den National Book Critics Circle Award. Der Roman „Die Hälfte der Sonne“ handelt davon, wie sich in den späten sechziger Jahren der Ostteil Nigerias unter dem Namen Biafra in einem blutigen Krieg vom nigerianischen Zentralstaat abzuspalten versuchte. Ihr als sogenannter TED-Talk aufgezeichneter Vortrag „We Should all Be Feminists“ zählt zu den meistgesehenen dieses Videoformats.

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Erstellt:
4. März 2025, 22:21 Uhr
Aktualisiert:
5. März 2025, 16:49 Uhr

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