Und Malerei spiegelt doch das Leben
Yongchul Kim ist noch Student an der Kunstakademie Stuttgart und schon international erfolgreich
Die Geschichten ausverkaufter Künstlerateliers kennt man eigentlich nur noch vom Hörensagen. Für den Maler Yongchul Kim ist es Realität. Seit seinem Debüt 2018 in der Stuttgarter Galerie Thomas Fuchs geht es nur in eine Richtung: nach oben.
Yongchul Kim spricht leise, vorsichtig bewegt er sich in der noch immer fremden Sprache. Nachdrücklich aber und mit fast (selbst-)verpflichtender Schärfe sagt er: „In jedem Bild interessiert mich die Frage, wie ich mich als Künstler in der Gesellschaft bewege – und welchen Einfluss sie auf mich hat.“
„Schauen Sie“, sagt Kim und zeigt auf eine jugendliche Figur, die halb im Wasser an einem Bachufer steht, „dieser Arm hier, diese Hand.“ Anspannung verrät der Arm, der doch zugleich ein wenig ungelenk-lässig erscheint. Die Finger der offenbar halb geschlossenen Hand müssten eigentlich das Wasser berühren – aber ist es wirklich so? Oder berühren die Finger die Farbschatten der eigenen Erscheinung, überprüfen diese?
Malerei als Frage – so nimmt man die Bildwelt von Yongchul Kim auf den ersten Blick vielleicht nicht wahr. Und doch sind die Figuren, die meist aus einem Halbschatten hervortreten beziehungsweise darin verschwinden, Anfangspunkt, nicht Zielpunkt der Bildentwicklung.
Kims Figuren lösen etwas aus, werden von den weiteren Schichten verschlungen, treten wieder hervor, müssen sich behaupten, bleiben eigentümlich in Deckung und versuchen doch immer wieder, diese zu verlassen.
Gefährdet der Erfolg mit internationalen Verkäufen bis nach Miami nicht gerade diesen Balanceakt? „Nein“, sagt Yongchul Kim. „Das Interesse an meinen Bildern ist wie ein Schutz. Es gibt mir Kraft.“
2014 beginnt Kim sein Studium an der Stuttgarter Akademie – in der Malklasse von Cordula Güdemann. Bei der Akademie- „Rundgang“-Ausstellung 2017 entdecken die Stuttgarter Galeristen Thomas Fuchs und Andreas Pucher die Bilder Kims für sich, 2018 folgt die erste Einzelausstellung, vor wenigen Wochen eine schon während der Vorbesichtigung ausverkaufte Einzelpräsentation auf der Kunstmesse Art Karlsruhe und – in der SWR-Reihe „Kunscht!“ – das erste Fernsehporträt .
An diesem Sonntag nun wird die erste institutionelle Einzelausstellung eröffnet. „Der Spiegel in uns“ ist die Schau in den Räumen der Ruoff-Stiftung in Nürtingen (Schellingstraße 12) überschrieben. Auch Stiftungslenkerin Hildegard Ruoff hört 2017 von den Bildern Kims in der Akademie. „Ein Koreaner, der ungeheuer europäisch malt, in einer Farbigkeit, die man so lange nicht gesehen hat – das hat mich einfach interessiert“, sagt sie.
Ruoff nimmt Kontakt auf – mit Erfolg. Fuchs und Pucher sagen eine Ausstellung im Rahmen der Stiftungsreihe „Premiere“ zu. Die Arbeiten aber kommen nun nicht mehr – wie im Frühjahr 2018 gedacht – direkt aus Kims Atelier, sondern aus verschiedenen Privatsammlungen. „Dieses Vertrauen zu spüren ist schön“, sagt Hildegard Ruoff.
„Erstmals sehe ich so viele Bilder im Dialog“, sagt Yongchul Kim jetzt in der Ruoff-Stiftung, „das berührt mich“. Beim Durchgang durch das Haus lächelt er, bemerkt er doch etwas in den Werken des Bildhauers, Malers und Zeichners Fritz Ruoff (1906–1986) – „ein Interesse an ostasiatischen Kulturen“. „Da durchdringt sich etwas“, sagt auch Hildegard Ruoff – „das ist ja das Schöne an Kunst.“
„Das wird etwas“, sagt Ruoff beim Auspacken von Kims Bildern in den Ausstellungsräumen. Und dann, fast unvermittelt: „Das hat etwas Spanisches. Das erinnert mich an Velázquez.“ Diego Velázquez (1599–1660), der mit seinem Porträt von Papst Innozenz X. 1650 eines der bis in das 20. Jahrhundert hinein einflussreichsten Bilder der Kunstgeschichte schuf? „Es geht nicht um Namen“, sagt Hildegard Ruoff, „es geht um malerische Fragestellungen.“
Im kommenden Wintersemester schließt Yongchul Kim sein Studium an der Stuttgarter Kunstakademie ab. So lange hat er auch sein Atelier auf dem Weißenhof noch. Und danach? „Oh“, sagt der Maler, „ich schaue und frage viel.“ Heißt das, er bleibt in Stuttgart? „Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt Kim. Und von hier aus geht es für Yongchul Kim weiter – im September zeigt die Galerie Thomas Fuchs neue Bilder im Hangar 4 des Flughafens Berlin-Tempelhof auf der Messe Positions, die die Berlin Art Week begleitet.
Nun aber lockt erst einmal „Der Spiegel in uns“ in und nach Nürtingen. Dort merkt man schnell: Die „Existenz der Veränderung“, der Yongchul Kim nachspürt, hat auch das Abgründige in sich. Ein eigenes Grau prägt immer wieder Bilder Kims, ein fast im Weiß verschwindendes Hellbraun zieht sich durch Werke, in denen Soldaten als Figuren auftauchen, denen jeder Weg zu wirklicher Identität verstellt scheint. Er male eine Figur auch „als abstrakten Ausdruck“, schreibt Yongchul Kim über seine Arbeit.
An diesem Sonntag wird eine weitere Sichtweise auf Kims Bildwelt hinzukommen. Der Stuttgarter Kunstvermittler Tobias Wall spricht zur Eröffnung in der Ruoff-Stiftung (11 Uhr).