Ungarische Gäste in Backnang mit schwerem Gepäck

Mitten in Europa (2) Zum Partnerstädtefestival „Mitten in Europa“ Anfang Oktober kommen Künstler aus Ungarn, Frankreich und Großbritannien nach Backnang. In unserer Serie stellen wir die Beiträge zu den jeweiligen Partnerstädten vor. Los geht es mit Bácsalmás.

Eine Schlüsselszene im Theaterstück „Schweres Gepäck“: Der Büttel verkündet die Vertreibung vor der Kirche. Foto: Dénes Mártonfai

© Dénes Mártonfai

Eine Schlüsselszene im Theaterstück „Schweres Gepäck“: Der Büttel verkündet die Vertreibung vor der Kirche. Foto: Dénes Mártonfai

Von Kai Wieland

Backnang. Es ist eine Sache, Städtepartnerschaften ins Leben zu rufen, aber eine ganz andere, diese auch mit Leben zu füllen. Mit Chelmsford, Annonay und Bácsalmás verbinden wohl nicht wenige Backnanger in erster Linie Brücken im Stadtbereich, doch die Bedeutung freundschaftlicher europäischer Bande reicht weit darüber hinaus – ein Umstand, der allzu schnell vergessen wird, wenn Partnerschaften nicht gepflegt werden.

„Die Europäische Union entstand auch aus einem tiefen Bedürfnis nach Frieden heraus nach den schrecklichen Kriegs- und Leidenserfahrungen im 20. Jahrhundert“, betonte Jasmin Meindl vom Bandhaus-Theater unlängst im Interview mit unserer Zeitung. „Die Partnerstädtevereine haben in diesem Sinne immer eine wichtige Arbeit geleistet, damit die Annäherung zwischen den ehemals verfeindeten Ländern auch auf einer persönlichen Ebene wieder möglich war.“ Und so sind es gerade jene Partnerschaftsvereine und -einrichtungen, deren Vernetzung und Kenntnis für die Organisation des Kulturfestivals „Mitten in Europa“, das von 6. bis 8. Oktober in Backnang stattfindet, von unschätzbarem Wert sind.

„Das hat sich gleich nach einer spannenden Geschichte angehört“, sagt Klaus Loderer, Vorsitzender des Paten- und Partnerschaftskomitees Bácsalmás–Backnang. „Wenn so etwas von einer Einrichtung wie dem Bandhaus organisiert wird, ist es natürlich einfacher, als wenn wir es selbst auf die Beine stellen müssten, zumal Juliane Putzmann und Jasmin Meindl Erfahrung mit der Organisation von Festivals haben.“

Seit 1988 besteht die Partnerschaft mit der rund 8000 Einwohner zählenden Gemeinde Bácsalmás, die im ungarischen Komitat Bács-Kiskun rund 200 Kilometer südlich von Budapest liegt. Die Verbindungen reichen allerdings noch deutlich weiter in die Vergangenheit, weiß Klaus Loderer. Der Backnanger, dessen Vater 1956 aus Ungarn nach Deutschland auswanderte, ist bereits seit Mitte der 1980er-Jahre in der Partnerschaftsarbeit engagiert. „Der Partnerschaft mit Bácsalmás ging in den 1950er-Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eine Patenschaft der Stadt Backnang für die Gemeinde voraus. Dazu kam es durch die Heimatvertriebenen, welche im Raum Backnang lebten und dort die ersten großen Heimattreffen organisierten.“

Als Wandertheater durch die Stadt

Es ist also auch eine Backnanger Thematik, welche das Ensemble der Deutschen Bühne Ungarn mit dem Stück „Schweres Gepäck“ von Autor Franz Huber hierher mitbringt. „Das Stück entstand aus Zeitzeugeninterviews mit Menschen, die aus Ungarn vertrieben worden sind“, erklärt Klaus Loderer. Allerdings werde die Vertreibung der Ungarndeutschen nicht einfach bloß nacherzählt. Vielmehr sei das Stück als Rückblick einer Frau in der Gegenwart konzipiert und setze die Ereignisse in einen größeren Rahmen. „Es ist ein hartes Thema, aber auch sehr aktuell“, betont Loderer mit Blick auf die derzeitige Weltlage. Und auch in Backnang habe mittlerweile wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Bewohner irgendeine Art von Migrationsvergangenheit.

Das Stück ist als Wandertheater angelegt und erstreckt sich über verschiedene Stationen in der Stadt. „Es ist schon ein bisschen Hardcore, was da gemacht wird“, sagt Klaus Loderer mit durchaus erkennbarer Vorfreude. Die verschiedenen Orte sollen das Erzählte erlebbar machen, etwa den Transport der Vertriebenen in einem Viehwaggon – eine klaustrophobische Erfahrung, die durch eine enge, dunkle Räumlichkeit angedeutet wird. Die Zuschauerinnen und Zuschauer tragen dabei Kopfhörer, über die weitere Elemente wie Musik oder eine Erzählerstimme eingespielt werden können. Welche Plätze in Backnang genau bevölkert werden, ist teilweise noch in Planung, aber Stiftskirche, Stifts- und Freithof sowie das Theater selbst seien sicherlich gut geeignet, sagt Loderer.

Er war es auch, der den Kontakt zur Deutschen Bühne Ungarn überhaupt erst herstellte. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass das Ensemble einst als Tourneebühne für Minderheitengemeinden in Ungarn gegründet wurde, auch wenn es in Szekszárd, rund 80 Kilometer von Bácsalmás entfernt, mittlerweile einen festen Spielort gefunden hat. Das Reisen gehört für die Deutsche Bühne Ungarn fest dazu, gelegentlich auch nach Deutschland. Im vergangenen Jahr konnte Klaus Loderer einem Gastspiel in Bretzfeld beiwohnen, der Partnerstadt von Budaörs – jener ungarischen Gemeinde, in welcher die Vertreibung der Ungarndeutschen einst begann und aus der auch viele der Zeitzeugen des Originalstücks stammten. „Schon als ich sie dort gesehen habe, wollte ich sie unbedingt einmal nach Backnang bringen“, schwärmt Loderer. „Zufällig kam ungefähr zu dieser Zeit auch erstmals die Idee des Partnerstädtefestivals auf und ich dachte mir: Straßentheater? Da wüsste ich was!“

Große Bereitschaft auf ungarischer Seite

Beim Theater sei man von der Idee sofort sehr angetan gewesen, zumal es thematisch gut gepasst habe, versichert Klaus Loderer. Zwar ist der Bezug zu Bácsalmás damit eher indirekter Natur – für ein eigenes Theater ist die Gemeinde schlicht zu klein, doch ist die Deutsche Bühne auch dort gelegentlich zu Gast –, aber die Idee sei ohnehin eher, das Thema den Backnanger nahezubringen, betont Klaus Loderer. Auch mit weiteren ungarischen Künstlern sei man in Kontakt gewesen und auf Interesse gestoßen, habe letztlich mit Blick auf das durch Fördermittel bestimmte Budget jedoch gewisse Abstriche machen müssen. Einen zweiten ungarischen Beitrag gibt es aber dennoch, wenn er auch aus Backnang selbst kommt: Die Ungarndeutsche Heimatblaskapelle wird unter musikalischer Leitung von Hans Bachstetter mit donauschwäbischer Blasmusik das Festival um eine traditionelle Komponente bereichern. Die 1961 gegründete Kapelle nimmt ihr Publikum gemäß Programm „mit auf eine musikalische Reise, die sie einst von ihrer Heimat weg in die Fremde führte – eine Fremde, die heute Heimat geworden ist“.

Die große Bereitschaft auf ungarischer Seite, an einem Projekt mitzuwirken, das insbesondere den europäischen Gemeinschaftsgedanken hochleben lassen will, ist umso erfreulicher, gilt zumindest die ungarische Regierung hierzulande doch als eher europaskeptisch. Dies ist allerdings ohnehin ein Eindruck, dem Klaus Loderer nicht zustimmen möchte: „Die Ungarn sind begeisterte Europa-Anhänger, sie sind nur skeptisch gegenüber gewissen politischen Strömungen in Brüssel“, stellt er fest. „Gegenüber der Europa-Idee ist man in Ungarn aber sehr positiv.“

Das zeigt: „Mitten in Europa“ ist ein Festival von Backnangern für die Partnerstädte, aber auch für Backnang selbst, ein Raum für Begegnung, neue Erfahrungen und den Abbau von Vorbehalten.

Termine Das Ensemble der Deutschen Bühne Ungarn gibt am Freitag, 6. Oktober, um 10 Uhr eine Schulvorstellung (Eintritt fünf Euro) und hat am Sonntag, 8. Oktober, um 16 Uhr einen weiteren Auftritt (Eintritt frei, Spenden erbeten), jeweils mit Start im Bandhaus-Theater. Im Anschluss der Aufführung gibt es ein Nachgespräch mit dem Autor Franz Huber. Um Anmeldung wird gebeten unter info@bandhaus-theater.de. Je nach Wetter wird regenfeste Kleidung empfohlen. Die Ungarndeutsche Heimatblaskapelle spielt am Samstag, 7. Oktober, um 11 Uhr am Seniorentreff im Biegel. Das gesamte Programm des Festivals liegt an verschiedenen Stellen in der Stadt aus und ist auch unter www.mitten-in-europa.de einsehbar.

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Erstellt:
14. September 2023, 06:00 Uhr

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