Verrücktes Tanztheater im Backnanger Bürgerhaus

Am Freitagabend haben fünf Tänzer, ein Plattenspieler und 77 Platten für eine ganz besondere Tanzshow im Backnanger Bürgerhaus gesorgt. Im Mittelpunkt des Tanztheaterstücks „Ballet Bar“ stand eine altmodische, bisweilen skurrile Bar.

Street Dance bildete die Basis des Stücks.

© Alexander Becher

Street Dance bildete die Basis des Stücks.

Von Klaus J. Loderer

Backnang. Der rot-plüschige Bartresen, das sich als Plattenspieler entpuppende altmodische Radio und ein Kleiderständer bilden das Ambiente zu einem immer skurriler werdenden Abend in einer wie aus der Zeit gefallenen Bar. Der Barmann beginnt seinen Dienst, zieht Hut und Mantel aus und reinigt diesen mit überzogenen Gesten. Er setzt den Plattenspieler in Gang, von dem er effektvoll eine dicke Staubschicht aufwirbelt. Lautes Lachen im Publikum. Noch ein penetrantes Lachen. Schon feixt das halbe Publikum, bemerkend, dass im hinteren Teil des Saals Unruhe entsteht. Da krabbeln weitere Männer mit Hüten herum, steigen umständlich über die Stuhlreihen, werfen die Hüte durch den Raum, und arbeiten sich durch das gesamte Publikum zur Bühne vor. Sie verstecken ihre Gesichter hinter Zeitungen, wenn sie in ihrem Retro-Look mit biederen Kurzmänteln in die scheinbar verbotene Bar kommen.

Das Geschirrtuch entwickelt ein Eigenleben

Dort stakst unterdessen Mustapha Ridaoui als Barmann herum und schwingt sein Geschirrtuch zu theatralischen Polieraktionen. Dieses Geschirrtuch, das zeitweilig ein Eigenleben zu führen scheint, da man manchmal nicht wirklich weiß, oder der Barmann das Geschirrtuch oder selbiges den Barmann herumwirbelt, zieht sich als Thema durch das ganze Stück. Das Tüchlein kann sich durchaus vom Stoffknäuel zum beißenden Hündchen entwickeln.

Es ist viel Humor im Tanztheaterstück „Ballet Bar“ enthalten. Diese in schnellen Sequenzen und mit plötzlichen Wechseln aufblitzenden Motive oder Episoden in Slapstick-Manier sollen keine Handlung ergeben. Sie sind Stichwortgeber für die Tanznummern. Aus einer Geste entwickeln sich unerwartete Bewegungen, die sich zu akrobatischen Tänzen steigern.

Yann Crayssac, Rudy Torres, Mounir Kerfah und Jamel Feraouche sind die weiteren Tänzer – alle Meister als Hip-Hop-Tänzer. Ob als Ensemble oder Solist wirbeln sie in aberwitzigen Bewegungen über die Bühne. Das Publikum klatscht begeistert. Der Barmann dreht kopfstehend Pirouetten. Beim Unterfangen, in komplizierten Bewegungen in einer unmöglich scheinenden Bewegung rückwärts aufzustehen, hält das Publikum die Luft an. Street Dance bildet die Basis dieser Bühnenshow. Die französische Compagnie Pyramid hat für die 2012 erarbeitete Produktion „Ballet Bar“ mit dem Centre Chorégraphique National in der am Atlantik gelegenen Hafenstadt La Rochelle zusammengearbeitet. In der nahe gelegenen Stadt Rochefort-sur-Mer sorgt seit 2010 die Pyramid School für die tänzerische Ausbildung von Kindern und Jugendlichen in Hip-Hop und Hip-Jazz.

Die Tänzer präsentierten eine Show voller Humor, Überraschungen und akrobatischem Können. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Die Tänzer präsentierten eine Show voller Humor, Überraschungen und akrobatischem Können. Fotos: Alexander Becher

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Auch der Bartresen ist in die einstündige Choreografie einbezogen. Mal dient er dem locker über ihn drüber springenden Barmann einfach nur als Tresen, um Getränke zu verteilen, mal wird daraus das Podium für ein Puppentheater der Hände. Immer wieder tun sich neue, unerwartete Sequenzen auf, etwa wenn sich drei Tänzer in den Mänteln verstecken und der Garderobenständer ein tänzerisches Eigenleben zu entwickeln scheint. Geradezu surreale Effekte entstehen. Immer wieder versucht der Barmann, Ordnung in diese geheimnisvolle Bar zu bringen. Vergeblich droht er mit dem Geschirrtuch.

Insgesamt sollen es 77 Musikstücke sein, die die Barbesucher auf Trab halten

Da die Geschichte in einem Jazzclub in New York spielen soll, dessen Werbung im Hintergrund zu sehen ist, darf ein Mikrofon nicht fehlen. Daraus entwickelt sich schnell eine eigene Geschichte, da das Mikrofon eher die Tänzer beherrscht als umgekehrt.

Auch der Plattenspieler hat so sein Eigenleben. Störungen im Stromsystem und elektrische Entladungen lassen die Tänzer zappeln. Sie raufen sich bei der Auswahl der Musikstücke. 77 Musikstücke sollen es wohl sein, die da in einem aberwitzig schnellen Wechsel nacheinander anklingen. Da sind die Tänzer auch plötzlich gezwungen, einen Charleston zu tanzen.

Erst gegen Ende werden die im Titel des Stücks erwähnten Schallplatten auf der Bühne thematisiert. Da entwickelt sich ein Streit, wer welche Platte auflegen darf. Immer größer wird dieses Durcheinander, wenn dann gar noch ein mysteriöser Überfall auf die Bar stattfindet.

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Erstellt:
11. März 2024, 06:00 Uhr

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