Neu im Kino: „Putin“

Vom Bastard zum Jahrhundertverbrecher

Der polnische Skandalregisseur Patryk Vega will mit „Putin“ dem russischen Präsidenten in die Seele schauen. Seine Darstellung der Karriere des Diktators ist geprägt von Häme und Wut – seriös ist Vegas Blick auf Putin keine Sekunde.

Die KI hat nachgeholfen: Slawomir Sobala als Wladimir Putin.

© Kinostar

Die KI hat nachgeholfen: Slawomir Sobala als Wladimir Putin.

Von Kathrin Horster

Nackt und in vollen Windeln windet sich Wladimir Putin auf dem Linoleum seines Krankenzimmers. Der Durchfall besudelt Putins Beine, den Boden und die Bettlaken. Eine Krankenschwester wetzt ins Zimmer, um die Sauerei zu beseitigen. Bisher kannte man den russischen Diktator nur in sorgsam inszenierten Heldenposen, mit entblößter Brust auf einem Pferd, mit einer Waffe auf der Pirsch, beim Judo und beim Tauchen. So hilflos und schmutzig wie in der Eröffnungsszene des spekulativ-fiktiven Biopics „Putin“ hat man den brutalen Groß-Verbrecher noch nie gesehen.

Bei der Kunstfigur Putin war auch KI-Technik beteiligt

Die drastische, zugleich befriedigende Zukunftsvision stammt vom polnischen Skandalregisseur Patryk Vega, der – das illustrieren diese Bilder – offenkundig zu denjenigen zählt, die dem Ex-KGBler, Politmafioso, Mörder und faschistoiden Feldherrn nur das Schlechteste wünschen. Als bemitleidenswerten Wurm will Vega seine mit Hilfe des Schauspielers Slawomir Sobala und unter Einsatz einer KI-Technik erschaffene Kunstfigur Putin aber nicht sehen. Die reißerische, wild assoziative Darstellung der Karriere des Diktators vom geprügelten Bastard zum sich selbst narzisstisch überschätzenden Staatschef ist geprägt von Häme und Wut. Seriös ist Vegas Blick auf Putin keine Sekunde. Wer sich von ihm eine sachliche Abhandlung erhofft, um zum tieferen Verständnis der politischen Figur zu gelangen, wird enttäuscht.

Vega, in Polen berühmt durch sein knalliges Gangsterepos „Pitbull“ über den Aufstieg eines Jungen zum Kriminellen, vollzieht den Lebensweg Putins in schlaglichtartigen, parallel geführten Rückblenden nach. Dem Kind Wladimir, erzählt Vega, verweigert der Stiefvater die Taufe und prügelt den Jungen, weil der nicht sein eigener ist. Putins Mutter gibt den Sohn daraufhin zur Schwester, wo Wladimir, meist sich selbst überlassen, mit einer Meute anderer, halb verwahrloster Gören umher zieht. Zu schnell verknüpft Vega Putins Hang zur rücksichtslosen Gewalt mit dessen trister Kindheit, wobei unklar ist, inwieweit die Erzählung auf Tatsachen fußt.

In einem eindrucksvoll dystopischen Bilderbogen fabuliert Vega, wie die Kinder in Putins Viertel Schöpflöffel voll Wodka in einem Abrisshaus kaufen und in den Hinterhöfen Kriege gegen einander anzetteln. Begleitet wird Wladimirs moralischer Abstieg von einem weiblichen Schutzgeist und von der Präsenz eines von Erwachsenen ermordeten Spielkameraden. Ein zweiter Erzählstrang schildert Putins Erwachsenenalltag in hastig aneinander montierten Fetzen als KGB-Agent zu Sowjetzeiten und Nutznießer von Boris Jelzins politischem Versagen zur unmittelbaren Post-Wende-Zeit.

Vega spottet, wie Putin sich Liebkind zu machen versucht bei den Oligarchen, ihnen mit Girlanden aus Klopapierrollen um den Hals seine Aufwartung macht, als die nirgendwo in Moskau mehr zu kaufen sind.

Ein Schlaglicht umreißt die grauenvolle Hau-Ruck-Aktion im Moskauer Dubrowka-Theater 2002, wo russische Einheiten unter Putins Ägide die mehrtägige Geiselnahme durch tschetschenische Terroristen mit martialischen Mitteln beendeten. Hunderte Geiseln kamen dabei ums Leben, die mit Gas betäubten Terroristen wurden per Kopfschuss hingerichtet. Vega schickt Drohnen über Putins Schlachtfelder, wie in einem blutrünstigen Actionfilm rauschen Szenen vom Massaker in Butscha 2022 vorüber, wo Russen Ukrainer auf offener Straße ermordeten. Dazwischen gibt es hoch suggestive Bilder von Putin, der um 1998 an Jelzins Schreibtisch lümmelt, während der Alkoholiker auf dem Teppich schnarcht. Als Präsident, ätzt Vega ein paar Einstellungen später, vergnügt sich Putin an eben diesem Sekretär mit seiner Geliebten, während er seine Ehefrau zum Teufel schickt.

Vegas Grimm und galliger Sarkasmus adeln den Film als Satire. Immer wieder klammert der Regisseur aber an Klischees, wenn er in Putin doch bloß das Opfer politischer und sozialer Verhältnisse erkennt. Oder zumindest einen Menschen, der anfangs aus purem Selbstschutz zur Gewalt greift, um der eigenen Armut und Bedeutungslosigkeit zu entkommen.

Auch ästhetisch ist „Putin“ unausgegoren, vor allem in der ersten halben Stunde arbeitet Kameramann Michal Goscik mit unnötigen, Übelkeit erregenden Reißschwenks und hektischen Zooms. Den trostlosen Szenenbildern sieht man das geringe Budget an, was allerdings in der Darstellung der Sowjet-Kindheit zur Stärke wird. Dass Vega Putin wie in einer Shakespeareschen Herrscher-Tragödie als von Geistern Verfolgten imaginiert, ist durchaus interessant. Ob in dessen bösem Schädel wie bei Richard III. oder Macbeth überhaupt ein Gewissen das eigene Handeln reflektiert, scheint jedoch fragwürdig.

Putin. Polen 2024. Regie. Patryk Vega. Mit Slawomir Sobala, Justyna Karlowska. 109 Minuten. Ab 16 Jahren.

Skandalregisseur Patryk Vega

UmstrittenPatryk Vega wurde oft wegen seiner Vorliebe fürs Brutale und Vulgäre kritisiert. Sein Gangster-Drama „Pitbull“ (2005) brach in Polen Kinorekorde.

SpekulativSpekulativ Vega interpretiert Putins Religiosität im Film als Ergebnis eines Minderwertigkeitskomplexes des ungetauften Kindes. Dabei bedient sich Putin des Klerus wohl rein strategisch, um mit seiner Billigung einen autoritären Ständestaat zu formen.

LiterarischLiterarisch In seinem surrealen Roman „Der große Gopnik“ versucht sich der russische Dichter Viktor Jerofejew wie Vega an einer Entschlüsselung der Figur Putins und bezeichnet den Diktator als „Hinterhofimperialisten“.

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Erstellt:
7. Januar 2025, 11:48 Uhr

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