Neu im Kino: „Joker: Folie à deux“
Wahnsinn ohne Sinn
Todd Phillips’ Joker-Fortsetzung mit Lady Gaga und dem erneut brillanten Joaquin Phoenix knüpft an den Millioneneinspieler von 2019 an. Doch scheint „Joker – Folie à deux“ bewusst das Publikum in die große Enttäuschung führen zu wollen.
Von Martin Schwickert
Spätestens seit Stephen Kings „Es“ gilt der Clown nicht mehr nur als lustig-trauriger Geselle, sondern birgt auch die Option zum Monströsen in sich. Diese Erkenntnis nutzte Christopher Nolans „The Dark Knight“ (2008) und erschuf einen Antagonisten mit verschmiertem Clownsgesicht, der das unkalkulierbare Böse kongenial verkörperte und die Tiefenverunsicherung der amerikanischen Post-Nine-Eleven-Gesellschaft in sich bündelte.
Heath Ledgers Joker wurde zur wichtigsten Kinoikone ihres Jahrzehnts. Elf Jahre später widmete Regisseur Todd Phillips dem legendären Bösewicht einen eigenen Film. Joaquin Phoenix arbeitete sich mit all seinem beträchtlichen schauspielerischen Vermögen in die Rolle des Straßenclowns Arthur Fleck, der sich nach einer Reihe von Erniedrigungen emotional radikalisiert, aus dem Leid heraus enorme, aggressive Energien freisetzt, einen TV-Moderator vor laufender Kamera erschießt und damit zum unfreiwilligen Anstifter einer wütenden Straßenrevolte wird.
„Joker“ erwirtschaftete ein Rekord-Einspielergebnis von über 1 Milliarde Dollar, polarisierte sein Publikum und verschaffte Joaquin Phoenix einen Oscar als bester Hauptdarsteller.
Musical- und Liebesfeuer zündet nicht
Fünf Jahre später bringt Todd Phillips nun das mit Spannung erwartete Sequel heraus. Dabei wird früh deutlich, dass er einen gezielten Gegenentwurf zum Vorgängerfilm anstrebt. War „Joker“ als urbanes Sittengemälde im Scorsese-Format angelegt, limitiert der Fortsetzungsfilm das Geschehen nahezu ausschließlich auf zwei Handlungsorte: dem psychiatrischen Hochsicherheitsgefängnis von Gotham City, in dem Arthur Fleck einsitzt, und dem Gerichtssaal, in dem ihm der Prozess gemacht wird.
Die Geschworenen sollen über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten entscheiden. Seine Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener) betont die gespaltene Persönlichkeit ihres Mandanten, der sich nach traumatischen Kindheitserfahrungen mit Joker ein zweites Ich aufgebaut habe. In der Presse wird das Verfahren als Prozess des Jahrhunderts hoch gejazzt.
Vor dem Gericht versammeln sich protestierende Demonstranten im Joker-Outfit, die ihren Medienhelden feiern. Aber Arthur Fleck scheint sich im Gefängnis aufgegeben zu haben, bis in der Musiktherapieklasse sein Blick auf Lee Quinzel (Lady Gaga) fällt. Lee ist ein echter Fan. Jokers mörderischer TV-Auftritt war für sie ein Erweckungserlebnis. Sie ist sich sicher in ihm ihren Seelenverwandten gefunden zu haben und Arthur lässt sich nur zu gern anstecken von ihrem anarchischen Liebes- und Lebenselan. Zurück im Hochsicherheitstrakt fängt er leise an zu summen, zu singen und schließlich zu tanzen. Denn „Joker: Folie à deux“ ist nicht nur ein Knast- und Gerichtsfilm, sondern auch ein Musical.
Wenn das Verständnis oberflächlich ist
Immer wieder holt Phillips zu Gesangsnummern aus, in denen Joaquin Phoenix und Lady Gaga romantische Jazz- und Popmelodien von Stevie Wonders „For Once in My Life” über „To Love Somebody” von den Bee Gees bis hin zu Shirley Basseys „The Joker“ intonieren. Lee befeuert Arthurs romantische Bonnie-und-Clyde-Fantasien und hat ihre eigene manipulative Agenda. Sie will den Joker in ihm zu neuem Leben erwecken. Denn wie die sensationslüsterne Presse und die Fans vor dem Gerichtssaal liebt sie vor allem das mediale Abbild des entfesselten Clownsmannes und nicht die verzweifelte Seele, die in ihm steckt. Unübersehbar sinniert Regisseur Todd Phillips mit dieser Geschichte auch über den Erfolg seines eigenen Filmes, der zu einem Milliardeneinspiel gehypt und im Modus des Massenphänomens in seiner Tiefe nur unvollständig wahrgenommen wurde. Fast schon trotzig versucht Phillips nun die Zuschauererwartungen in seinem Sequel gezielt zu enttäuschen. Statt einer opulenten Revolte serviert er eine Romanze mit Musical-Einlagen, statt einem Großstadtepos ein Gerichtsdrama, statt heroischer Überhöhung die Entmythologisierung seines Helden. Ein solches Vorgehen ist für einen Film im Blockbusterformat sicherlich mutig, reicht aber als Konzept nicht aus. Denn „Joker: Folie à deux“ gelingt es nicht die enttäuschten Erwartungen mit etwas Neuem sinnvoll zu füllen. Das gerichtliche und amouröse Ringen um die gespaltene Persönlichkeit des Titelhelden entwickelt keine psychologische Tiefe. Die große Liebe will trotz pyromanischer Anstrengungen nie richtig Feuer fangen.
Die Musical-Nummern entwickeln nur selten ihre Sogwirkung, weil den Choreografien das notwendige Temperament fehlt. Lady Gaga brilliert stimmlich, bleibt aber schauspielerisch unterfordert. Mit beachtlicher finaler Konsequenz arbeitet Phillips an der Entzauberung seiner Kinoikone - und entzaubert den eigenen Film gleich mit.
„Joker: Folie à deux“: USA 2024, 138 min, R: Todd Phillips D: Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Brendan Gleeson, ab 16 Jahren, Start: 3. 10.