I am Celine Dion

Warum diese Doku viele Menschen erschüttert

Es ist keine leicht zu ertragende Doku, die Amazon prime seit Ende Juni zeigt. Sie zeigt eine der international erfolgreichsten Sängerinnen im Kampf gegen ihre Krankheit.

Celine Dions Leben war immer die Bühne, ihre Stimme war ihr Dirigent. Nun ist alles anders. (Archivbild)

© dpa/Chris Pizzello

Celine Dions Leben war immer die Bühne, ihre Stimme war ihr Dirigent. Nun ist alles anders. (Archivbild)

Von Sandra Hartmann

„Mein Traum ist es, eine international erfolgreiche Sängerin zu sein und mein ganzes Leben lang singen zu können“, sagt die junge Celine Dion zu Beginn der Doku, die ihren Namen trägt: Ich bin Celine Dion. Die mehrfache Grammy- und Oscar-Preisträgerin blickt auf eine jahrzehntelange internationale Karriere zurück. Und sie ist schwer krank.

Nach Matthew Perry, Shannon Doherty, Selma Blair und Christina Applegate reiht sich Dion nun auch in die Liste der Berühmtheiten ein, die über ihre Krankheiten öffentlich sprechen. Doch sie wählt ein anderes Format. Die 56-Jährige filmt sich nicht selbst und schreibt auch kein Buch über ihr Leben, sondern ein Kamerateam begleitet sie.

Zwischen Perfektion und Verletzlichkeit

Natürlich filtert Dion am Ende auch, welche Szenen letztendlich in der Dokumentation auftauchen und welche nicht. Aber die Doku zeichnet ein erstaunlicherweise sehr nahbares Bild einer sehr kranken Frau, das im Widerspruch zu der Diva steht, die man auch in diesem Film sieht: Celine Dion, die stets nach Perfektion bei ihren glamourösen Auftritten und vor allem bei ihren gesanglichen Darbietungen strebt, in Glitzerkostümen auf der Bühne oder auffallenden Abendroben auf dem Roten Teppich.

Nun sieht man sie vor ihrem Schuhschrank stehen, in dem unzählige Schuhe stehen, auf der Suche nach dem bequemsten. Früher zwängte sie sich in jeden High Heel, der ihr gefiel, aber vielleicht nicht in der richtigen Größe vorrätig war. „Nicht meine Schuhe haben mich getragen, sondern ich meine Schuhe“, erinnert sie sich stolz. Nun scheint es umgekehrt zu sein. Das Laufen falle ihr manchmal schwer, berichtet sie, sie habe Schmerzen. Ihre Stimme mache nicht mehr mit. Langsam verliere sie die Kontrolle über ihren Körper. Und Kontrolle war ihr immer wichtig.

Nun ist nicht mehr ihre Stimme der Dirigent ihres Lebens, sondern die Krankheit

Die Sängerin will ihren Fans bei ihren Konzerten das Beste für ihr Geld bieten. Und verzweifelt am Ende fast daran, dass sie das nicht mehr kann. Denn nicht mehr ihre Stimme ist der „Dirigent“ ihres Lebens, wie sie selbst sagt, sondern ihre Krankheit. Sie wird vom Treiber zur Getriebenen, von der kontrollierten Bestimmerin zur Schicksalsergebenen. Aber auch das tut Dion mit Würde - und mit Stil - und ist damit ein Vorbild für viele andere schwerkranke Menschen auf dieser Welt.

Die wohl eindrücklichste Szene der Doku bildet gleichzeitig der Schlussakt. Die Zuschauer sehen Dion ungeschminkt und ungefiltert auf einer Liege, von Krampfanfällen geplagt, nicht in der Lage zu sprechen, das Gesicht schmerzverzerrt. Die Muskelverhärtungen am ganzen Körper erleidet sie unmittelbar nach ihrem schließlich erfolgreichen Versuch im Tonstudio, ein Lied aufzunehmen. Es kostet sie Kraft. Aber es beschert ihr auch Glücksgefühle. Doch dieser Gefühlscocktail verstärkt laut ihrem medizinischen Betreuer letztlich die Symptomatik ihrer sehr seltenen Krankheit namens Stiff-Person-Syndrom. Die Nervenkrankheit ist eine Autoimmunerkrankung. Die dafür bezeichnenden Muskelverhärtungen und Krämpfen können durch bloße Berührungen oder sogar durch Geräusche ausgelöst werden, aber eben auch durch Sinneseindrücke, Wahrnehmungen, Emotionen.

Ganz oder gar nicht – auch das ist Celine Dion

Der Zuschauer erfährt, dass Dion bereits seit 17 Jahren mit den Symptomen kämpft. Nun treten sie deutlicher, massiver zu Tage. Deshalb wohl die Entscheidung, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Ganz oder gar nicht – auch das ist Celine Dion.

Die Krankheit hat ihre Stimme verändert. Die kraftvolle klare Stimme, die ihr Markenzeichen war, gibt es nicht mehr. „Vielleicht kann ich einen anderen Stil singen, aber dann müssen sie [die Fans] entscheiden, ob sie mich noch mögen oder nicht“, sagt Dion. Als Zuschauer spürt man die Angst dieser Frau, die sich nach ihren Fans und auf die Bühne zurücksehnt, aber gleichzeitig große Angst hat, von ihnen nicht mehr geliebt zu werden, weil sie jetzt anders ist.

Eigentlich wollte sie nur mit ihrer Stimme ein Leben lang glänzen

Sicherlich wäre dieser Film nicht halb so interessant, brisant und erschütternd, gäbe es diese Krankheit nicht, gäbe es „nur“ diese bezaubernde Sängerin mit ihrer Weltkarriere. Vielleicht gäbe es diese Doku dann aber auch nicht. Seit Ende Juni kann man Dion auf Amazon prime eine Stunde und 40 Minuten singen und auch leiden sehen. Es gibt zahlreiche Rezensionen darüber, die meisten begeistert, fast alle fokussiert auf das Leid, das der Sängerin widerfährt.

Dabei wollte sie doch allein mit ihrer Stimme ein Leben lang glänzen. Aber vielleicht ist es auch eine Erkenntnis dieses Films, dass Dion nicht nur ihre Stimme auszeichnet, sondern so viel mehr – eine mutige, tapfere Frau und ein Sinnbild für ein leidenschaftliches Leben – im wahrsten Sinne des Wortes, in guten wie in schlechten Zeiten. Sie werde noch einmal auf die Bühne gehen – und wenn sie kriechen müsse, sagt sie in die Kamera. „Aber ich werde nicht aufhören [Anm. d. Red.: zu singen].“ Und man glaubt ihr dabei jedes einzelne Wort.

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Erstellt:
28. Juni 2024, 10:34 Uhr

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