Comedian Tilman Birr
„Was kommt als Nächstes? Godzilla?“
Für den Kabarettisten Tilman Birr bedeutet Humor in Krisenzeiten nicht, dass man Probleme nicht ernst nimmt. Ein Gespräch über homoerotische Autokraten, brachiale Taxifahrer und diese Sache mit Ildikó von Kürthy.
Von Almut Siefert
Von Poetry-Slams über Kabarett und Liedkunst bis hin zum Schreiben von Büchern: Tilman Birr verdient sein Geld mit Humor. In Frankfurt aufgewachsen, pendelt er zwischen der Stadt am Main und seiner Wahlheimat Berlin. Wir treffen ihn in einem Frankfurter Parkcafé zu Kaffee und Apfelwein und sprechen mit ihm über das Witzigsein in Zeiten von Krise, Krieg und Social Media.
Herr Birr, eine Krise jagt die nächste. Sie verdienen Ihr Geld mit Humor. Wie bewahren Sie sich den gerade?
Die Coronazeit war schon anstrengend. Nicht nur, weil man plötzlich gesehen hat, welche Verwerfungen es politisch gibt. Mir stellte sich auch die Frage: Kann ich jemals wieder meinen Beruf ausüben? Jemals wieder auf der Bühne stehen? Gibt es die Theater noch, wenn das alles mal vorbei sein sollte? Das war sehr aufreibend. Dann war die Pandemie kein Thema mehr, denn auf einmal war Krieg. Man fragt sich wirklich: Was kommt als Nächstes? Godzilla? Das ist sehr anstrengend, aber man muss immer versuchen – auf jeden Fall versuche ich das –, dass die gute Laune nicht darunter leidet. Aber auch vor der Pandemie lebten wir ja nicht in der Glückseligkeit. Der Brexit zum Beispiel hat mich emotional sehr mitgenommen.
Warum das?
Ich komme aus dieser Generation, für die Europa eine coole Idee war. Da gab es Austauschprogramme und Erasmus und was du nicht sonst noch alles machen konntest. Dann zu sehen, dass Großbritannien, das als Gründungsmitglied diese Idee einst mitkreiert hat, sagt: „So, nein, macht euren Scheiß alleine.“ Da hilft dann nur Humor. Gute Laune hat ja auch eine politische Dimension. Schauen Sie mal auf einer AfD-Demo den Leuten ins verhärmte Gesicht und dann vergleichen Sie das mit der Stimmung beim CSD. Humor ist ja nicht nur bloße Komik, sondern eine Lebenseinstellung, um mit vielem klarzukommen, seien es die Unwägbarkeiten des Alltags oder eben größere Kontexte. Dass man darüber den Humor nicht verliert, heißt nicht, dass man die Probleme nicht ernst nimmt. Bestes Beispiel: Wladimir Putin.
Das müssen Sie erklären.
Natürlich ist dieser Mann extrem gefährlich und darf keinesfalls unterschätzt werden. Aber es ist doch schon auch sehr komisch, wie er seine homophobe Propaganda betreibt, sich selbst aber lasziv mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd fotografieren lässt. Damit würde er in Berlin sehr viele Likes auf Grindr (Dating-App für Homosexuelle, Anm. d. Red.) bekommen. Das komisch zu finden, macht die ganze Situation natürlich nicht weniger gefährlich und furchtbar. Aber es macht sie ein bisschen erträglicher.
In Ihrem Roman „Wie sind Sie hier reingekommen“ spielt ein gewisser Herr von Bülow – den meisten bekannt als Loriot – eine tragende Rolle. Die Ikone des deutschen Humors ist vor 13 Jahren gestorben, Loriots Sketche aber funktionieren noch immer. Warum ist das so?
Weil es darin zum großen Teil um menschliche Interaktion geht – und die wird immer bleiben. Die Leute werden sich immer missverstehen, sie werden immer aneinander vorbeireden und sie werden immer auf einer Bananenschale ausrutschen. Ich kenne Leute, die in ihren 20ern sind und die die Loriot-Filme genauso lieben wie ich und nahezu alles daraus fehlerfrei zitieren können.
Über Loriot heißt es, er habe den Archetyp des Deutschen der Bonner Republik gezeichnet? Wen zeichnen Sie?
Durchschnittsmenschen interessieren mich, vor allem ihre Gewohnheiten – über die sie überhaupt nicht nachdenken. Eine Eigenschaft, die in Deutschland klassisch ist, ist zum Beispiel jene, im Restaurant getrennt zu bezahlen. Was einem Italiener wohl nie in den Sinn käme. Ich finde es auch sehr interessant, dass die Leute bestimmte Phrasen sagen, die man halt so sagt: „Es geht ums Prinzip.“ Aber was hat denn das Prinzip davon, wenn ich mich an es halte?
Wie spiegelt sich das in Ihrer Arbeit als Humorist wider?
In meinen Texten stehen selten sehr außergewöhnliche Leute im Mittelpunkt. Es gibt ja zwei Grundgeschichten: außergewöhnliche Leute in gewöhnlichen Situationen oder gewöhnliche Leute in außergewöhnlichen Situationen. In meinem Roman habe ich versucht, den Protagonisten Wolfgang so normal zu halten, dass er für mehrere Leute stehen könnte. Er kommt aus Westfalen, einer Gegend, die relativ gesichtslos ist, anders als Bayern oder Berlin zum Beispiel. Wolfgang hat auch keine besonderen Interessen. Im Laufe der Geschichte stellt er aber fest, dass er Fähigkeiten hat, von denen er vorher nichts wusste. Ich glaube außerdem, ich kann es mir nicht anmaßen, außergewöhnliche Leute darzustellen. Dafür halte ich mich selber für nicht außergewöhnlich genug.
Sie sehen sich also selbst als einen dieser Durchschnittsmenschen?
Mein Gott, ja, was soll ich denn sonst sein? Ich entstamme einem bildungsbürgerlichen Haushalt. Ich habe Abitur gemacht und studiert. Ich bin ein heterosexueller Mann um die 40.
Macht es überhaupt noch Spaß, witzig zu sein, wenn hinter jeder Ecke der nächste Shitstorm lauert?
Für meine Videos, die am meisten Klicks haben, ernte ich auch am meisten Hasskommentare. Zum Teil aus komplett albernen Gründen. Das Schönste, was mir in dieser Hinsicht zuletzt passiert ist: In einer Strophe eines Liedes geht der Protagonist, der natürlich nicht mit dem Autor des Liedes identisch ist, mit einer Frau nach Hause. Er sieht im Regal, was da für Bücher stehen, und denkt sich: „Boah, nein, hier muss ich wieder weg.“ In der Strophe fällt auch der Name Ildikó von Kürthy. Sie hat den Beitrag dann geteilt. Sie fand das anscheinend witzig.
Eine nette Begebenheit.
Dann kamen allerdings auch einige ihrer Fans, die das nicht so lustig fanden. „Arroganter Sack“, „Sei doch froh, dass sie überhaupt ein Bücherregal zu Hause hat“, „Bei wie vielen Männern war ich schon, die gar nicht lesen?“. Und so weiter. Aber Ildikó von Kürthy und ich haben uns dann hin- und hergeschrieben, uns Bücher geschickt und dann hatte ich eines von ihr im Briefkasten. Mit Signatur: „Meinem treuesten Fan Tilman, herzliche Grüße Ildikó.“ Das ist dann wieder sehr cool. Ich habe einen Joke über sie gemacht, sie fand das lustig und wir greifen uns nicht irgendwie an, sondern lachen beide drüber.
Gibt es regionale Unterschiede, was den Humor angeht?
Auf jeden Fall. Mir hat mal einer erzählt, er wollte sich in Franken mit dem Taxi vom Bahnhof zum Veranstaltungsort fahren lassen. Das waren gerade mal 300 Meter und der fränkische Taxifahrer sagte: „Du sollst in der Hölle verrecken.“ Ein Berliner Taxifahrer wäre zwar auch angefressen gewesen, aber seine Antwort hätte einen anderen Dreh gehabt. Mehr so: „Ja klar, Keule, nächstes Mal fahr ick dir auch aufs Klo, wenn de dit willst.“ Da äußert sich das Preußische, alles wörtlich zu nehmen. Ein Freund erzählte, er hätte mal eine falsche Formulierung gebraucht, als er nach dem Weg fragte: „Wenn ich da vorne rechts gehe, ist dann da das Brandenburger Tor?“ Und der Berliner sagte: „Das ist auch da, wenn Sie vorne nicht rechts gehen.“ Das klingt für Außenstehende vielleicht ein bisschen ruppig. Ist aber meistens nicht mal böse gemeint.
Kann KI, also Künstliche Intelligenz, eigentlich auch witzig sein?
Überhaupt nicht. Also ich weiß nicht, ob sie es irgendwann noch lernt, aber im Moment kann sie es überhaupt nicht. Wir haben das mal live auf der Bühne getestet, beim letzten Jahresrückblick unserer Frankfurter „Lesebühne Ihres Vertrauens“. Weil ChatGPT letztes Jahr ein großes Thema war, haben wir uns die Frage gestellt, ob wir irgendwann durch ChatGPT ersetzt werden? Mein Kollege Elis hat auf der Bühne gestanden und seinem Telefon ein paarmal befohlen: „Erzähle einen Witz über . . .xy.“ Und dann kam halt nur Schrott. Das Einzige, was daran komisch war, war, dass es nicht komisch war. Es war ungefähr so, wie wenn ein Vierjähriger einen Witz erzählt. Also ich sehe im Moment noch nicht die Gefahr, dass die KI die Komik ersetzen wird.
Info
Tilmann Birrwird am 25. August 1980 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Abitur studiert er Geschichte in Berlin und arbeitet dort als Stadtführer. Diese Erlebnisse fasst er in seinem ersten Buch „On se left you see se Siegessäule“ (2012) zusammen. Seine Poetry-Slam-Karriere war da schon in vollem Gange. Seit vielen Jahren singt Birr außerdem zusammen mit Elis C. Bihn „Welthits auf Hessisch“. Sein Roman „Wie sind Sie hier reingekommen“ erschien 2023. Sein aktuelles Soloprogramm heißt „Birr Royal“