Neu im Kino: „Der Brutalist“

Was taugt der Oscar-Favorit „Der Brutalist“?

„Der Brutalist“ geht mit zehn Nominierungen ins Oscar-Rennen. Das Filmepos entfaltet über mehr als drei Kinostunden hinweg eine enorme emotionale und cineastische Wucht. Erzählt wird vom Aufstieg und Fall eines in die USA emigrierten Juden, der den Holocaust überlebt hat.

Adrien Brody als Architekt László Tóth in „Der Brutalist“

© Universal Pictures/Courtesy Everett Collection

Adrien Brody als Architekt László Tóth in „Der Brutalist“

Von Martin Schwickert

Brady Corbets „Der Brutalist“ ist ein Film, der seinem Titel alle Ehre erweist. Ein massives Kinoerlebnis, 215 Minuten lang, inklusive einer viertelstündigen Pause, so wie man es aus den alten Hollywood-Formaten à la „Vom Winde verweht“ kennt.

Form und Inhalt sind in stetem Kampf und doch im Rückblick in perfektem Einklang miteinander. Ein amerikanisches Epos, das ganz klassisch vom Aufstieg und Fall im Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten erzählt.

Im Jahr 1947 landet der Holocaust-Überlebende László Tóth (Adrien Brody) in New York, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Vor dem Krieg war er in Ungarn ein aufstrebender Architekt, der am legendären Bauhaus studiert hat. In den USA muss er jedoch von vorne anfangen. Zunächst kommt er bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) unter, der ein kleines Möbelhaus betreibt, eine blonde Amerikanerin geheiratet hat und zum Christentum konvertiert ist. Aber eine solche totale Assimilation kommt für László nicht infrage. Dafür sind seine künstlerischen Vorstellungen zu ausgefallen, sein osteuropäischer Akzent ist zu stark und die traumatischen Erfahrungen des Holocaust sind zu tiefgreifend.

In den USA fängt der Überlebende von vorn an

Als der Sohn eines schwerreichen Industriellen ihn beauftragt die Bibliothek seines Vaters als Überraschung zum Geburtstag umzubauen, verwandelt László den Raum in einen lichtdurchfluteten Lesesaal, dessen fächerförmigen Regale die Bücher durch einen Kippmechanismus verschwinden lassen. Eine Bibliothek, die nicht mit ihrem Bestand protzt, sondern die Magie des Lesens ins Räumliche überträgt.

Die Überraschung gelingt. Der cholerische Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) ist empört über den übergriffigen Umbau und wirft den Baumeister aus dem Haus. Wenige Wochen später steht er wieder vor László, der sich gerade in einem Kohlenlager sein spärliches Brot verdient und im Obdachlosenheim Quartier bezogen hat. Die Bibliothek ist im Freundeskreis gut angekommen und hat es sogar in ein Lifestyle-Magazin geschafft.

Harrison, der inzwischen Lászlós Vergangenheit als gefeierter Architekt recherchiert hat, entschuldigt sich für seinen Ausfall und bietet ihm einen Auftrag an. Zum Gedenken an die verstorbene Mutter will er auf dem Hügel unweit seines Anwesens ein großes Gemeindezentrum errichten und dem Architekten bei der Gestaltung freie Hand lassen.

Ein Monument aus Beton und Glas

Harrison lässt sogar seine politischen Kontakte spielen und besorgt die Visa für Lászlós Frau Erzsébet (Felicity Jones) und die Nichte Zsófia (Raffey Cassidy), die die Konzentrationslager überlebt haben, aber aufgrund bürokratischer Hürden nicht ausreisen durften. Die neu zusammengeführte Familie bezieht Quartier im Gästehaus des Auftraggebers. László stürzt sich in die Arbeit und entwirft ein monumentales Gebäude aus Beton und Glas, dessen Fertigstellung Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird.

Mit aller Kraft kämpft der zunehmend heroinsüchtige Architekt um seine kreative Vision, in deren räumliche Gestaltung auch die eigenen Holocaust-Erfahrungen einfließen. Dabei gerät er immer wieder in Konflikt mit seinem Auftraggeber, der ihn finanziell an der kurzen Leine hält, sowie mit den örtlichen Politikern, die in seine Entwürfe hineinregieren wollen. Kompromisslos und mit zunehmender Wahnhaftigkeit verteidigt László die eigene künstlerische Vorstellungen und kommt dabei selbst an seine persönlichen Grenzen.

Wie das Kino ist auch die Architektur eine Kunstform, die von finanzstarken Investoren abhängig ist. Im epischen Format zeigt Corbet in „Der Brutalist“, wie sich dieses Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kunst und Kapitalismus zu einer toxischen Beziehung auswächst. Adrien Brody spielt den jüdischen Baumeister, der nicht nur um seine künstlerische Vision, sondern auch um gesellschaftliche Anerkennung und gegen die Dämonen der Holocaust-Vergangenheit kämpft, mit einer durchgehend faszinierenden Präsenz, die nie ins Overacting abgleitet.

Brody kann hier an seine Oscar-Rolle in „Der Pianist“ anknüpfen und nimmt das Publikum mit auf eine epische Reise in die seelischen Abgründe des traumatisierten Immigranten, dessen Talente von seinem Auftraggeber gewaltsam ausgebeutet werden.

Guy Pearce wiederum verleiht dem zunächst als Karikatur angelegten, schwerreichen Mäzen zunehmend Verletzlichkeit und Tiefe, ohne die Machtversessenheit und Kaltherzigkeit seiner Figur zu kaschieren. Bewunderung und Verachtung für Kunst und Künstler sind nur einen Lidschlag voneinander entfernt in diesem herrschsüchtigen Sponsor, der den Architekten in ein prostitutives Abhängigkeitsverhältnis hineinzwingt.

Nicht eine Minute langweilig

„Der Brutalist“, der beim Filmfestival in Venedig sowie bei den Golden Globes als bester Film ausgezeichnet wurde und mit zehn Nominierungen ins Oscar-Rennen geht, ist ein Film von enormer emotionaler und cineastischer Wucht, der über seine mehr als drei Kinostunden nicht eine Minute langweilig wird. Sogar die viertelstündige, altmodisch anmutende Pause passt sich perfekt in die Dramaturgie ein.

Sperrige Werke wie diese werden eigentlich heute in einer durchkapitalisierten Filmindustrie, die auf sichere Investments in Form von Superhelden-Sequels setzt, nicht mehr gedreht. Und so reflektiert das Schicksal des Architekten auf der Leinwand wohl auch in Teilen die schwierige Produktionsgeschichte des Films, der in Budapest und der Toskana mit einem minimalen Budget von knapp zehn Millionen Dollar realisiert wurde.

Unfassbar, was Corbet als bekennender Independent-Regisseur, der sich von keinem Hollywoodstudio hineinregieren lassen wollte, mit diesen begrenzten finanziellen Ressourcen auf die Leinwand bringt.

Der Brutalist: GB, USA, Ungarn 2024. 215 Minuten. Regie. Brady Corbett. Mit Adrien Brody, Guy Pearce, Felicity Jones. Ab 16 Jahren.

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Erstellt:
28. Januar 2025, 15:06 Uhr
Aktualisiert:
28. Januar 2025, 15:08 Uhr

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