„Wir haben viele Augenöffner“

Interview Die Galerie der Stadt Backnang besteht seit 25 Jahren. Martin Schick hat das Haus schnell zu einer der Topadressen für zeitgenössische Künstler und Kunstfans auch über die Region hinaus gemacht.

Martin Schick bei einer Führung durch die 101. Ausstellung in der Galerie der Stadt Backnang. Das größte Gemälde, das bisher im gotischen Chor ausgestellt wurde, ist sechs mal drei Meter groß, trägt den Titel „Sontaga“ (Sonntag) und stammt von Neo I. Matloga. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Martin Schick bei einer Führung durch die 101. Ausstellung in der Galerie der Stadt Backnang. Das größte Gemälde, das bisher im gotischen Chor ausgestellt wurde, ist sechs mal drei Meter groß, trägt den Titel „Sontaga“ (Sonntag) und stammt von Neo I. Matloga. Foto: A. Becher

Backnang. Die Galerie der Stadt Backnang besteht seit 25 Jahren. Die Ausstellung mit Werken von Jörg Mandernach, die am 20. Februar endete, war die 100. Werkschau, die Martin Schick kuratiert hat. Im Interview spricht der Galerieleiter über die Anfänge der städtischen Galerie, seine Konzeption und wie er das Haus zum Forum für zeitgenössische Kunst gemacht hat.

Wie wird das Galeriejubiläum gefeiert?

Es ist schwierig, unter Coronabedingungen zu planen. Mit dem Jahresprogramm sind wir auf das Jubiläum eingegangen. Bei einem Termin anlässlich der Eröffnung der Ausstellung des Berliner Klangkünstlers Douglas Henderson am 16. September werden wir in besonderer Weise auf das Jubiläum eingehen.

Was gilt als Start der Galerie? Die erste Kulturbaustelle der Backnanger Künstlergruppe im ehemaligen Turmschulhaus? Oder wird ab da gerechnet, als die Galerie „Galerie“ genannt wurde?

Es war ja eigentlich ein Prozess. Da jetzt genau den Beginn zu markieren, ist nicht so ganz einfach. Wir haben uns dafür entschieden, ab dem Zeitpunkt, an dem die Galerie „Galerie der Stadt Backnang“ hieß, mit dem Zählen zu beginnen. Das war mit Beginn des Ausstellungsjahres 1997.

Mit welcher Ausstellung sind Sie gestartet?

Sie hieß „Zeitvergleich“ und lief im März 1997. Es ging darum zu zeigen, was die jungen Künstler Wolfgang Kessler, Franziska Statkus und Bernhard Walz während ihres Studiums und ein paar Jahre danach gearbeitet haben. Mit Wolfgang Kessler haben wir viel später, 2017, eine Einzelausstellung realisiert.

25 Jahre Galerie heißt dann auch: 25 Jahre Galerieleiter Martin Schick?

Ich war schon ein bisschen vorher da. Im September 1996. Aber damals haben wir noch Ausstellungen umgesetzt, die schon geplant waren.

Was hat Sie gereizt, Galerieleiter in Backnang zu werden? Kannten Sie Backnang überhaupt?

Ja, ich kannte Backnang tatsächlich durch das Turmschulhaus. Es gab ein Jahr vorher eine Wanderausstellung von der Kunststiftung Baden-Württemberg, die ich mir angeschaut habe. Da war ich zum ersten Mal in meinem Leben in Backnang – und auch gleich in diesem Gebäude. Das Haus hatte ich in guter Erinnerung, weil es einfach außergewöhnlich war: eine charmante, gar nicht so normale Ausstellungsadresse mit Stadtturm und dem gotischen Chor. Das war ja vor dem Umbau, die ehemalige Schule war damals noch stärker sichtbar als heute. Das fand ich schon sehr interessant.

Was sagen Sie heute über die vor Jahren heiß diskutierten Themen im Zusammenhang mit dem Umbau des Hauses und wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Das war schon sehr aufregend. Es gab unheimlich viele Diskussionen über jedes Detail. Wenn ich nun mit Abstand zurückblicke, ist doch viel sehr gut gelungen und hat sich bewährt. Wenn man heute in das Haus kommt, denkt man nicht, dass der Umbau schon 20 Jahre her ist. Es gibt nichts, was ästhetisch schnell gealtert ist. Dann waren da noch die Diskussionen über die Stahltreppe. Die Galerie war in aller Munde.

Gesprochen wurde aber vor allem über die Ausstellungen. Sie haben in relativ kurzer Zeit die Galerie zu einem der Leuchttürme in der Galerielandschaft gemacht. Nicht nur in der Region. Und das trotz kleinen Etats. Wie schafft man das?

Ich hatte den Vorteil, dass ich selber Absolvent der Kunstakademie war und von daher schon ein Künstlernetzwerk mitbringen konnte. Wenn man sich mit den Künstlern auf Augenhöhe über ein Ausstellungsprojekt austauschen kann, hilft es sehr, besonders wenn man gerade nicht viel Geld hat. So war es relativ leicht möglich, am Anfang eine gute Qualität zu bringen. Und manchmal gehört auch ein bisschen Glück dazu.

Welches Glück?

Dass wir zum Beispiel die Klangkünstlerin Christina Kubisch gleich im ersten Jahr zu einem Klangkunstprojekt überreden konnten. Frau Kubisch hatte damals schon ein großes Renommee. Sie gilt als die „Grande Dame“ der Klangkunst in Deutschland. Im Jahr darauf haben wir Neo Rauch gezeigt. Das war total unkompliziert: Ich habe kurz gefragt und es kam eine Zusage – und fertig. Mit der Zeit wird es immer einfacher, wenn man das Qualitätsniveau halten kann. Dann sind sich andere auch nicht zu schade, mal in einer kleineren Stadt in der städtischen Galerie auszustellen. Das Image baut sich dann so nach und nach auf.

Sie haben dann auch internationale Künstler einladen können. Künstler unter anderem aus Japan, aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Amerika und aus der Schweiz waren vertreten.

Ich habe von Anfang an versucht, über den regionalen Tellerrand hinauszuarbeiten. Man muss die Region Stuttgart als einen von vielen Playern im Kunstbereich sehen. Kunstinteressierte wandern in der Region gerne von Adresse zu Adresse. Wenn da Backnang dazugehört, ist das eine tolle Sache. Aber da muss man dann auch Ausstellungen bringen, die andere Schauen nicht wiederholen, sondern ergänzen. Um das zu erreichen, muss man halt ein bisschen weiter gehen. Dann ist schnell jemand aus der Schweiz dabei wie Irene Bisang – und Frankreich ist auch nicht so weit weg. Malachi Farrell, der Star der internationalen Kinetikszene, den wir 2002 ausstellten, hat damals in Paris gelebt.

Woher kommen die Besucher?

Die Hälfte unseres Publikums kommt aus Backnang, die andere Hälfte von weiter weg. Viele aus Stuttgart. Ich bin damit sehr zufrieden. Weil wir uns mitten in der Stadt befinden, haben wir auch Laufpublikum, das sich Ausstellungen, ohne Eintritt zahlen zu müssen, anschaut. Mir ist dieses niederschwellige Angebot wichtig. Gerade bei zeitgenössischer Kunst gefällt es mir, wenn es wenig Hürden gibt. Ich glaube, dass wir viele Augenöffner haben. Das sagen mir Einträge im Besucherbuch, E-Mails und Gespräche mit Besuchern. Wir hatten in sehr guten Jahren schon mal 10000 Besucher, in durchschnittlichen eher 5000 oder 6000. Und jetzt in den Coronajahren sind wir eher so bei knapp 3000 Besuchern.

Man könnte auch sagen: Die Mischung machts. Betrachte ich die Ausstellungen im Gesamten, kommt mir das wie ein Kurzdurchlauf durch die zeitgenössischen Strömungen der Kunst vor.

Dass sich die Vielfalt der Kunst in unserem Programm niederschlägt, ist so gewollt. Auch dass sich die Künstler mit dem Gebäude auseinandersetzen und extra für diesen Ort Arbeiten kreieren.

Wie hoch ist Ihr Etat?

Im Schnitt habe ich zwischen 10000 und 14000 Euro für eine Ausstellung in der Galerie zur Verfügung. Früher waren es noch weit weniger. Das ist nicht viel, denn es gibt hohe Nebenkosten wie Werbung, Kataloge, Transporte und so weiter. Da sind 10000 Euro ganz schnell weg. Dann haben wir noch eine Sammlung, da fließt auch ein wenig Geld rein. Die Personalkosten sind nicht mitgerechnet.

Zur Galeriearbeit gehört auch die Kunstvermittlung, die Workshops für Kinder und Jugendliche.

Das ist für diejenigen, die daran teilnehmen, eine echte Bereicherung. Weil man so Einblicke bekommt, die man sonst nicht bekommen kann. Das ist eine Möglichkeit, jüngeres Publikum ins Haus zu holen. Das Programm will ich ausweiten, denn mit der Druckwerkstatt, die wir jetzt gerade eingerichtet haben und die vom Land mit rund 9000 Euro finanziert worden ist, haben wir ja neue Möglichkeiten.

Noch kurz zum Graphik-Kabinett, das nun auch schon 20 Jahre besteht.

Das ist für mich ein wichtiges Pendant zur neuen Kunst. Dass man auch die alte Kunst im Nachbarhaus zu Wort kommen lassen kann, ist eine schöne Kombination. Mittlerweile haben wir dort über 50 Ausstellungen gemacht. Dass wir die Riecker-Sammlung haben, ist auch ein Glück für Backnang.

Das Gespräch führte Ingrid Knack.

Martin Schick

Werdegang Martin Schick, geboren 1964 in Saarlouis, studierte Kunsterziehung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sowie Germanistik an der Universität Stuttgart. Nach einem Referendariat an einem Gymnasium (bildende Kunst, Deutsch) und dem zweiten Staatsexamen arbeitete er als freischaffender Künstler.

Wechsel nach Backnang Seit 1997 leitet Martin Schick die Galerie der Stadt. Von 2009 bis September 2020 leitete er überdies das Kultur- und Sportamt. Seit September 2020 konzentriert er sich voll und ganz auf die Leitung der städtischen Galerie in Backnang und des Sachbereichs Kunst.

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Erstellt:
16. März 2022, 06:00 Uhr

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