„ Es kann jeden treffen!“

Melanie Lang und Friedrich Gehring setzen sich mit Engagement für die Erhaltung der Stolpersteine ein

Ehrenamtlich setzen sich die Mitarbeiter der Initiative für Stolpersteine für das Erinnern an die Opfer der Euthanasie in Backnang ein. Nicht nur für die Angehörigen der Opfer haben die Stolpersteine ein große Bedeutung, sondern für die ganze Stadt.

Friedrich Gehring und Melanie Lang vor den Stolpersteinen von Luise Grün und Emilie Wagner auf dem Ölberg in der Backnanger Innenstadt. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Friedrich Gehring und Melanie Lang vor den Stolpersteinen von Luise Grün und Emilie Wagner auf dem Ölberg in der Backnanger Innenstadt. Foto: A. Becher

Von Rebecca Belz und Xenia Lange

BACKNANG. Die Idee der Stolpersteine stammt ursprünglich von Gunter Demnig, einem deutschen Künstler, der diese seit 1992 als Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit verlegt. Schon 27 Stolpersteine hat er in Backnang verlegt.

Seit 1940 betrieben die Nazis Euthanasie in ihren Tötungsanstalten, dazu gehörte auch die Heilanstalt Grafeneck, auf der Schwäbischen Alb. Systematisch wurden Menschen aus vielfältigen Gründen dorthin deportiert und anschließend vergast. Eines der insgesamt 27 Opfer in Backnang war Friedrich Doderer. An diese Geschichte können sich Melanie Lang und Friedrich Gehring von der Backnanger Stolperstein-Initiative besonders gut erinnern. Doderer war Erfinder und mehrmals wegen nicht nachvollziehbarer Gründe im Gefängnis. Obwohl die Bürger ihn als friedlich beschrieben, wurde er im Jahr 1931 in die Heilanstalt von Winnental eingeliefert. Er wurde aufgrund einer angeblichen Lungenentzündung nach Grafeneck gebracht und dort direkt ermordet. Im Jahr 1940 schrieb die Verwaltung Grafeneck einen Brief an seine Angehörigen, dass er an einer Gesichtsrose mit anschließender Blutvergiftung starb.

An diesem Schicksal merkt man, wie Melanie Lang (31) auch sagt: ,,Es kann jeden treffen und es ging nur darum, Menschen, die irgendwie im Weg stehen, aus dem Weg zu räumen.“ Sie und ihr Kollege Friedrich Gehring sind ehrenamtliche Mitarbeiter der im Jahr 2011 von Bernd Hecktor gegründeten Initiative für Stolpersteine in Backnang.

Friedrich Gehring (76) ist in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Eine Ausnahme zu dieser Zeit war es, dass seine Mutter mit ihm offen über das Thema sprach. Sie erzählte ihm, dass sein Großvater gegen die Euthanasie gepredigt hatte und sich gegen die systematische Tötung von psychisch und physisch Behinderten einsetzte. Seine Erfahrung aus der Kindheit weckte sein Interesse, die Opfer der Euthanasie mit den Stolpersteinen zu würdigen. Melanie Lang hingegen nahm an einem Schulprojekt unter der Leitung von Bernd Hecktor über die Nachkriegszeit teil. Sie war erschüttert von der Grausamkeit der Nationalsozialisten, erzählt die 31-Jährige.

Um an die systematische Ermordung zu erinnern, nahmen Friedrich Gehring und Melanie Lang auch an dem Theaterstück „Kannst Du schweigen? Ich auch!“ im Jahr 2016 teil.

Die Initiative setzt sich auf viele Arten gegen das Vergessen ein, hat zum Beispiel einen Stadtrundgang zum 75. Jahrestag der Befreiung der Menschen aus dem Konzentrationslager Auschwitz am 27. Januar veranstaltet. Ebenfalls ist die Initiative für den Erhalt der Stolpersteine zuständig. Im Jahr 2015 wurde der letzte Stolperstein verlegt, da jetzt jedes bekannte Opfer aus Backnang mit einem Stolperstein gewürdigt wurde. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Initiative forschten im Staatsarchiv Ludwigsburg oder dem Stadtarchiv Backnang. Um Genaueres über die Person herauszufinden, wurden auch ihre Angehörigen befragt. Gehring erzählte, dass die Reaktionen darauf ganz unterschiedlich seien: „Manche sind von dem Tod ihrer Angehörigen so gefesselt, dass sie ihn verdrängen. Andere wiederum empfinden es als gute Chance, mehr über die Geschichte ihrer ermordeten Angehörigen zu erfahren.“ Wie auch ein Ehepaar, welches zur Forschung anregte und auch tatkräftig bei der Recherche mithalf.

Die Bedeutung für Backnang und die Reaktionen der Bürger

Wenn die durch Spenden finanzierten Stolpersteine verlegt werden, weichen oftmals die Reaktionen voneinander ab, erzählten die Ehrenamtlichen. Einige Menschen sehen sie als sinnlos an und verstehen nicht, warum man über solche „schweren Themen“ immer reden sollte. Die meisten seien aber immer interessiert und schauten sogar aus dem Fenster, um das Geschehen zu verfolgen. Man konnte auch beobachten, dass der deutschen Geschichte mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Mitarbeiter der Initiative werden oftmals mit Fragen über die Geschichte der Menschen auf dem Stolperstein gelöchert.

Auch die Stadt Backnang befürwortet und unterstützt die Verlegung der Stolpersteine. Für die Geschichte der Stadt ist das wichtig, denn Backnang hatte in der NS-Zeit eine besondere Stellung durch die heutige Mörikeschule – sie war zu dieser Zeit eine Napola, eine sogenannte Nationalpolitische Lehranstalt. An der Schule sollte den Jugendlichen schon von klein auf die NS-Ideologie indoktriniert werden. Wie Gehring sagt, sei die frühere Napola ein Schandfleck für Backnang.

Und obwohl der Gründer der Initiative, Bernd Hecktor, verstorben ist, sind die anderen Mitarbeiter weiterhin aktiv und setzen sich stark für die Würdigung und das Gedenken der Opfer ein.

Info

Weitere Infos zu den Stolpersteinen und zu den Backnanger Bürgern, zu deren Gedenken sie errichtet wurden, gibt es online unter www.stolpersteine-guide.de.

Zum Artikel

Erstellt:
28. Februar 2020, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen