16 Stimmen retten Grünen ein Mandat
Die CDU ist in Stuttgart klare Wahlsiegerin, sendet aber wohl keinen Abgeordneten nach Berlin. Das Wahlrecht fordert seinen Tribut.

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In Stuttgart wurde vom Wahlrecht rege Gebrauch gemacht.
Von Jörg Nauke
Stuttgart - Bei der Bundestagswahl gibt es in der Landeshauptstadt drei klare Gewinner: CDU, AfD und Die Linke. Die Christdemokraten überflügelten die 2021 noch mit 25,1 Prozent der Zweitstimmen dominierenden Grünen. Die CDU erreichte am Sonntag 26,5 Prozent der Zweitstimmen (plus 5,8), die Grünen noch 21,6. Beide gewannen je einen Wahlkreis.
Trotz des Zugewinns wird wegen des neuen Wahlrechts und der Beschränkung des Parlaments auf 630 Abgeordnete Maximilian Mörseburg voraussichtlich nicht nach Berlin fahren, denn in Baden-Württemberg errang die CDU mehr Direktmandate als durch die ausschlaggebende Zweitstimme gedeckt sind. „Die neue Regierung muss zwingend über das geänderte Wahlrecht sprechen. Mein Resultat ist das beste Beispiel dafür, dass da was schief läuft“, sagte Mörseburg. Er erreichte im Wahlkreis Stuttgart II 30,4 Prozent der Erststimmen (2021: 25,9) und lag damit vor der Grünen Anna Christmann (21,3). Mörseburg, der auch CDU-Kreisvorsitzender ist, würde sich wieder als Rechtsanwalt betätigen.
Die Christdemokratin Elisabeth Schick-Ebert lieferte sich im Wahlkreis Stuttgart I mit der Grünen-Stadträtin Simone Fischer ein Kopf-an-Kopf-Rennen, lag bis zur Auszählung der letzten elf Wahlkreise mit rund 600 Stimmen vorn – und am Ende genau 16 Stimmen hinter der Behindertenbeauftragten des Landes.
Fischer stand auf der Grünen-Landesliste auf dem aussichtslosen 15. Platz, zwei Ränge vor der Stuttgarter Grünen-Abgeordneten Anna Christmann, rückt aber nun vor diese. Ob Christmann damit noch der Wiedereinzug ins Parlament über die Liste gelingt, war bei Redaktionsschluss unsicher. Beide betonen unabhängig voneinander ihr gegenseitig „hervorragendes Verhältnis“, man habe bei der Wahl gemeinsam gekämpft. „Was ich nach dem Bundestag mache, damit beschäftige ich mich morgen“, sagte Christmann, die Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt ist.
Ein Berlin-Ticket sicher hat dagegen Luigi Pantisano von der Linken. Der Architekt und Stadtrat steht auf Platz zwei der Landesliste. Pantisano folgt im Wahlkreis Stuttgart I dem scheidenden ehemaligen Parteichef Bernd Riexinger. „Ich will mich für ein soziales, vielfältiges und ökologisches Stuttgart einsetzen und entschieden gegen die Faschisten der AfD im Bundestag stellen“, sagte Pantisano. Die AfD sei „eine echte Gefahr für Migranten, Arbeiter und alle, die nicht in ihr menschenfeindliches Weltbild passen.“ Stadtweit konnte Die Linke ihr Ergebnis von 2021 mit 10,9 Prozent mehr als verdoppeln.
Auch die AfD legte stadtweit deutlich von 5,6 auf 11,4 Prozent zu. Doch ihre beiden Wahlkreiskandidaten Michael Mayer und Steffen Degler, beide Mitglied der AfD-Gemeinderatsfraktion, stehen nicht auf der Landesliste. Ein Berlin-Ticket zu lösen, war für sie daher von vorneherein unmöglich. Mayer nahm das sportlich. „Ich habe mir vorgenommen, mein persönliches Ergebnis von 2021 zu verdoppeln“ sagte er am Sonntagabend bei der Präsentation der Ergebnisse im Rathaus. Mit 14,6 gegenüber 7,2 Prozent (2021) gelang ihm dies.
Die Sozialdemokraten mussten stadtweit mit 15,6 Prozent deutlich Federn lassen (2021: 21,1). Gegen den Trend konnte Lucia Schanbacher, die erst im Januar als Nachrückerin in die sozialdemokratische Bundestagsfraktion eingerückt war, ihr Ergebnis aus 2021 (12,8) aber auf 15,7 Prozent deutlich verbessern. Auf der Landesliste ist sie mit Platz 15 jedoch wohl nicht ausreichend abgesichert. Für den Co-Genossen Dietmar Bulat blieb nur Listenplatz 37. Er holte 15,9 Prozent der Erststimmen.
Käme es nur auf Stuttgart an, zögen die Freien Demokraten mit 6,6 Prozent aller abgegebenen Stimmen sicher wieder ins Parlament ein. Bundesweit scheiterten sie aber laut den Hochrechnungen an der Fünf-Prozent-Hürde. Für die Spitzenkandidatin und FDP-Generalsekretärin Judith Skudelny ein Déjà-vu-Erlebnis. In ihrem Wahlkreis Stuttgart I holte Skudelny 5,8 Prozent (2021: 10,5). „Heute ist für mich die längste Nacht des Jahres“, sagte die Rechtsanwältin im Rathaus. Auch während ihrer Politkarriere war sie weiterhin als Insolvenzverwalterin tätig geblieben. „Ich werde meiner Haltung und meiner Überzeugung treu bleiben“, sagte Skudelny. Einen Rückzug aus der Politik und der FDP werde es nicht geben.
Bisher stellte die Landeshauptstadt – die Nachrücker Stefan Kaufmann (CDU) und Lucia Schanbacher mitgezählt – acht Abgeordnete. „Ich hoffe, dass es wieder möglichst viele werden“, hatte OB Frank Nopper (CDU) am Sonntag im Großen Sitzungssaal gesagt. Dabei sei es ihm „nicht so wichtig, welcher oder welche Abgeordnete einziehen. Wichtig ist, dass wir in Berlin stark vertreten sind.“ Zahlenmäßig kann davon nun keine Rede sein. Künftig wird es mit Simone Fischer und Luigi Pantisano voraussichtlich nur noch zwei Stuttgarter Abgeordnete geben.