Abseits der Copacabana

Vinzent Weinbeer zeigt in der Murrhardter Kreissparkasse Aufnahmen aus Rio de Janeiro – Verbindung von Landschaftsfotos und Porträts

Mal blickt Vinzent Weinbeer mit einem großen Abstand auf die Stadt beziehungsweise den Stadtteil – die Häuser, klein, verschachtelt und kaum als Einzelgebäude zu erkennen, schmiegen sich wie Ameisenbauten in die bergige Landschaft des tropischen Regenwalds. Mal geht er ganz nah heran und erzählt in Porträtaufnahmen von den Menschen Rio de Janeiros. Seine Ausstellung zum Foto- und Reiseprojekt „sic vita est“ ist bis Ende Juni in der Kreissparkasse Murrhardt zu sehen.

Vinzent Weinbeer

© Vinzent Weinbeer

Vinzent Weinbeer

Von Christine Schick

MURRHARDT.Vor zwei Jahren ist Vinzent Weinbeer aus Backnang zu seiner ersten Lateinamerikareise aufgebrochen. Im Hauptberuf Zahntechniker, nutzt er seine Urlaube auch für Projekte wie dieses, bei dem er seiner Leidenschaft – das Fotografieren – nachgehen kann. 16 Tage waren Zeit, um Rio de Janeiro kennenzulernen. Dass sein Hostel in einem befriedeten Armenviertel (Favela) lag, war für ihn im Nachhinein gesehen ein Glücksfall. „Es war nur richtig schwer, hinzufinden, weil die Straßen keine Namen haben. Ich musste mich lange durchfragen, und es ist schon ungewohnt, wenn man dabei auch mal bei Fremden im Garten landet, um sich nach dem Weg zu erkundigen“, erzählt der 31-Jährige. Trotzdem: Von dort aus seine Touren zu starten, war für ihn mit „die beste Entscheidung“. Angst hatte er keine. Anders wäre es bei einem der unbefriedeten Favelas gewesen, in die sich auch die Polizei kaum hineinwage. „Manchmal hört man auch Schüsse aus der Ferne“, sagt er. Von seinem Standort aus konnte er die Stadt erkunden, er war ein guter Ausgangspunkt, um auf Rios Bewohner zuzugehen. „Ich finde es wichtig, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Das Gegenüber spürt, glaube ich, ob man Interesse am anderen hat.“ Mal konnte Vinzent Weinbeer Gespräche auf Englisch führen, mal mussten Blickkontakt und Gesten ausreichen. Die Begegnungen und Situationen, die sich spontan ergaben, faszinierten ihn, „manchmal haben die Leute auch von sich aus angefangen, für die Kamera zu posen“. Zwei, drei Tage fuhr er ins Landesinnere, aber sonst blieb er in der Stadt, um sie auszukosten. „Weniger interessiert haben mich die klassischen Touristenorte wie die Copacabana oder die Christusstatue.“

Die Ausstellung in der Kreissparkasse Murrhardt zeigt nun einen kleinen Ausschnitt der Aufnahmen. Dafür konnte Weinbeer aus dem Vollem schöpfen. Zur Reise entstanden ist ein 212-seitiger Bildband, und für diesen konnte er aus rund 2500 Fotos auswählen. Die Bilder erzählen von der Stadt und ihren Menschen, mal mit einem leiseren, mal mit einem umfangreicheren Kontext. jDa ist beispielsweise ein Mann, dem Vinzent Weinbeer in den Sonnenauf- oder Sonnenuntergang folgt. Straße und Platz liegen ruhig da und sind in Rottönen gehalten, man spürt die Sonne förmlich. Rätselhaft entrückt, fast ohne Bodenhaftung, wirkt ein Mann mit Bart und muskulösem Körper, der hinter einem Felsen auftaucht und dem Himmel ganz nah zu sein scheint. Ebenfalls körperlich sehr präsent, wenn auch viel versteckter eingefangen, ist eine selbstbewusst wirkende Frau in einer urwaldartigen Szenerie. Vinzent Weinbeer verrät, dass eines seiner Steckenpferde das Thema „Mensch in der Natur“ ist.

Einen noch größeren Teil in der Ausstellung nehmen die Porträts ein. Mal inszenieren die Männer, Frauen, Jugendlichen und Kinder sich mit, mal lassen sie sich einfach einfangen und blicken ohne Scheu in die Kamera. Da ist ein junger Erwachsener, dessen Zigarettenrauch sein halbes Gesicht verdeckt, ein Dreadlockmann, dessen Haarpracht im wahrsten Sinne des Wortes einnehmend ist und ein Junge, der so lebendig und zugewandt daherkommt, dass sich vermutlich jeder zum Versteckspielen oder Kurzbesuch hätte rumkriegen lassen. In diese Begegnungen eingestreut sind Aufnahmen mit einem Perspektivwechsel und stärkeren Draufblick – wie eine urbane Alltagssituation an einer Bushaltestelle, eine fast leere nächtliche Straßenszenerie vor einem Kulturhaus oder die Sicht vom felsigen Hügel aus auf Wald und Meer.

Vinzent Weinbeer lotet im Moment noch aus, in welcher Richtung er seine Leidenschaft vertiefen möchte. Der Reportagefotografie der Bereiche Sport, Abenteuer und Reise kann er viel abgewinnen, gleichzeitig schätzt er auch die Studiosituation. Eines ist aber klar: Die Fotos seiner Ausstellung erzählen auch von einem experimentierfreudigen, beeindruckten Reisenden.

Ausstellung und Bildband Info Die Ausstellung ist bis Ende Juni zu den üblichen Öffnungszeiten in der Kreissparkasse Murrhardt, Hauptstraße 48, zu sehen. Der Bildband zu „sic vita est“ kann ab Dienstag, 12. Juni, beim Murrhardter Friseurgeschäft Niki in der Fußgängerzone angeschaut und gekauft werden. Er kostet 29 Euro. Im Vorwort schreibt der Fotograf: „Sic vita est ist lateinisch und bedeutet: Das ist das Leben. Und genau darum geht es in diesem Bildband. Das Leben, Menschen und Orte. Neben der inszenierten Fotografie habe ich eine Leidenschaft für die intuitive Fotografie entwickelt (...). Nicht die Situation dem Bild anzupassen, sondern umgekehrt. Nicht so spektakulär wie möglich, sondern so ehrlich und authentisch wie möglich.“ Vincent Weinbeer will die Fotografie letztlich auch als Chance nutzen, den Augenblick bewusst zu erleben. Gleichzeitig gibt sie ihm die Möglichkeit, den Moment festzuhalten und mit den Bildern von den Menschen und Orten seiner Reisen zu erzählen.
Eine Szene aus dem städtischen Alltag Rio de Janeiros. Foto: V. Weinbeer

Eine Szene aus dem städtischen Alltag Rio de Janeiros. Foto: V. Weinbeer

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Erstellt:
7. Juni 2018, 06:00 Uhr

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