Allmersbach im Tal: Schwierige Abwägungen bei Starkregen

Während am ersten Juniwochenende das Hochwasserrückhaltebecken Gruppenbach in Cottenweiler fast vollläuft, ist im rund drei Kilometer entfernten Rückhaltebecken am Lohwiesenbach kaum Wasser eingestaut. Bleibt bei Hochwasser die Nachbarschaftshilfe auf der Strecke?

Das Hochwasserrückhaltebecken Lohwiesenbach nahe dem Wohngebiet Reutle habe am ersten Juniwochenende seinen Zweck erfüllt, sagt die Allmersbacher Bürgermeisterin Patrizia Rall. Foto: Alexander Becher

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Das Hochwasserrückhaltebecken Lohwiesenbach nahe dem Wohngebiet Reutle habe am ersten Juniwochenende seinen Zweck erfüllt, sagt die Allmersbacher Bürgermeisterin Patrizia Rall. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Allmersbach im Tal. Verheerende Hochwasserschäden im Wieslauftal, vollgelaufene Keller im Weissacher Ortsteil Bruch – die Unwetter am ersten Juniwochenende haben an vielen Orten ihre Spuren hinterlassen. Und in Allmersbach im Tal? „Im Hochwasserrückhaltebecken am Lohwiesenbach war kein Wasser aufgestaut, während in Cottenweiler das Becken fast vollgelaufen ist“, verlieh Gemeinderat Eberhard Bauer von der Neuen Liste Allmersbach/Heutensbach (NLAH) in der jüngsten Sitzung des Gremiums seiner Verwunderung Ausdruck. „Wenn dort gar nicht gestaut wird, stellt sich ja die Frage, ob die hohe Investition für das Becken überhaupt notwendig gewesen ist.“

In der Tat war so manchem Allmersbacher an besagtem Wochenende aufgefallen, dass der Wasserstand in dem 2012 vom Zweckverband Hochwasserschutz Weissacher Tal errichteten Rückhaltebecken verglichen mit den Becken im Weissacher Tal überraschend niedrig war. „Ich begreife nicht, wieso man in einer solchen Situation nicht in Allmersbach die Rückhaltebecken nutzt, um die Weißach zu entlasten“, erklärte Bauer im Nachgang zur Sitzung seinen Vorstoß.

Bürgermeisterin Patrizia Rall widersprach Bauer in zwei Punkten. Erstens sei sehr wohl Wasser aufgestaut worden, wenn auch in überschaubarem Ausmaß. Die konkreten Zahlen reichte sie unserer Zeitung nach: „Das Hochwasserrückhaltebecken war am ersten Juniwochenende etwa 49 Stunden über der Hochwassermeldegrenze von 0,30 Metern und davon rund acht Stunden über der Einstaumeldegrenze von 0,80 Metern mit einer maximalen Höhe von 1,95 Metern und 450 Kubikmetern eingestaut.“

Zur Beantwortung der Frage, ob ein solches Rückhaltebecken notwendig sei, genüge hingegen ein Blick ins Wieslauftal, so Rall weiter. Die Rudersbergerin zeigte sich von den dortigen Vorkommnissen auch in persönlicher Weise betroffen. „Das Becken ist für ein 100-jährliches Hochwasser gebaut. Das heißt, wenn es uns einmal in 100 Jahren vor einem solchen Hochwasser bewahrt, dann hat es seine Aufgabe erfüllt. Ich halte jeden Cent, der im Weissacher Tal in den Hochwasserschutz investiert wird, für sinnvoll.“

Abgabemengen sind genau definiert

Die Sinnhaftigkeit des Hochwasserschutzes wolle er auch gar nicht infrage stellen, so Bauer. Es bleibe dennoch die Frage offen, wieso die im Allmersbacher Rückhaltebecken noch verfügbaren Kapazitäten nicht genutzt wurden, um die Nachbargemeinde Weissach im Tal zu entlasten.

Dazu ist zunächst einmal festzustellen, dass die Situation dort über das besagte Wochenende hinweg unter Kontrolle geblieben war. „In Weissach waren die Becken zwar an der Staugrenze, aber es kam zu keiner Notentlastung“, sagt Bürgermeister Daniel Bogner. Das Hochwasser im Ortsteil Bruch hing wiederum nicht mit dem aus Allmersbach kommenden Wasser zusammen, da dieses erst weiter flussabwärts bei Cottenweiler in die Weißach mündet.

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Zweitens gibt es ein Gesamtkonzept, in dem die Abgabemengen aus den jeweiligen Rückhaltebecken definiert und vom Landratsamt des Rems-Murr-Kreises genehmigt sind. „Veränderungen von Abgabemengen dürfen nicht eigenmächtig erfolgen, weder durch den Zweckverband noch durch die Gemeinde. Sie bedürfen einer Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde des Landratsamts“, erklärt Patrizia Rall.

Jedes der Hochwasserrückhaltebecken im Weissacher Tal (siehe Infotext) dient dabei vorrangig dem Zweck, die jeweilige Ortslage zu schützen. „Das Einzugsgebiet des HRB Lohwiesenbach wurde an dem Wochenende durch nicht so starke Regenereignisse beaufschlagt. Dennoch kam es bei dem Becken zu einem Einstau, wenn auch nur gering und über einen kurzen Zeitraum. Das heißt: Das Becken hat seine Schutzwirkung für die Ortsmitte von Allmersbach voll und ganz erfüllt“, so die Bürgermeisterin.

Kapazitäten für Starkregen freihalten

Ist es also nicht vorgesehen, freie Kapazitäten zu nutzen, um Nachbargemeinden zu entlasten? Das sei ein interessantes Thema, findet Daniel Bogner. Allein schon aufgrund der Organisation als Zweckverband stünden die Gemeinden bei Unwetterereignissen natürlich in Kontakt. „Eventuell könnte man im Notfall wohl schon ein ‚vorgeschaltetes‘ Becken einstauen, um den Zufluss abzumildern. Wenn es nicht notwendig ist, sieht man verständlicherweise aber davon ab. Man möchte ja nicht ohne Not die Kapazität schon vorab verbrauchen.“

In diese Kerbe schlägt auch Rall. „Da man gerade bei den kleinzelligen Regenereignissen nicht vorhersagen kann, wo sie genau abregnen, kann man nicht einfach ein Becken über die zulässige Drosselmenge hinaus einstauen. Hätte sich dann ein starkes Regenereignis über dem Einzugsgebiet des HRB Lohwiesenbach ereignet, wären keine Rückhaltekapazitäten mehr da gewesen und es hätte seine Schutzwirkung für Allmersbach nicht mehr erfüllt.“

Eberhard Bauer zeigte sich von dieser Argumentation nicht überzeugt, schließlich sei klar gewesen, dass in Allmersbach nicht mehr viel Regen nachkommen würde. Hier grätschte Rall einmal mehr energisch dazwischen, erneut mit dem Verweis auf das Wieslauftal. „Ein solcher Starkregen, wie er sich dort in jener Nacht ereignet hat, war für niemanden vorherzusehen.“ Um Allmersbach ein solches Schicksal zu ersparen, gelte es, die Kapazitäten freizuhalten.

Zweckverband Hochwasserschutz Weissacher Tal

Gründung Die Gemeinden Allmersbach im Tal, Weissach im Tal und Auenwald vereinbarten 1998 die Erarbeitung eines Konzepts für den Hochwasserschutz im Einzugsgebiet der Weißach, des Brüdenbachs und deren Nebenbäche. Ziel dabei war es, das Weissacher Tal vor einem 100-jährlichen Hochwasser zu schützen. Für den Bau und Betrieb der dafür notwendigen Schutzmaßnahmen, in der Regel Rückhaltebecken mit einem Speichervolumen von 310500 Kubikmeter, wurde im Dezember 2000 der Zweckverband Hochwasserschutz Weissacher Tal mit den Verbandsmitgliedern Allmersbach, Auenwald und Weissach gegründet.

Hochwasserrückhaltebecken Seitdem wurden folgende Hochwasserrückhaltebecken (HRB) fertiggestellt: HRB Brüdenbach (2008), HRB Holzbach (2010), HRB Lohwiesenbach (2012), HRB Heslach (2013), HRB Glaitenbach/Däfernbach (2017), HRB Horbetsbach (2018) und zuletzt im vergangenen Jahr HRB Gruppenbach in Cottenweiler. Der Ausbau der Waldstraße in Däfern, das HRB Kalter Brunnenbach in Oberbrüden, das HRB Glaitenbach/Altbach in Lippoldsweiler, das HRB Langwiesenbach/Kohlwiesenbach in Cottenweiler sowie die HRBs Steinäcker und Horbatswiesen in Heutensbach stehen noch auf der Agenda.

Notfall „Für jedes Hochwasserrückhaltebecken gibt es einen Alarmierungsplan, der bei Erreichen gewisser Pegelstände die Information des Vorsitzenden des Zweckverbands, des Bürgermeisters, der Feuerwehr sowie der unterliegenden Gemeinden vorsieht“, erklärt Patrizia Rall. „Diese Alarmierung erfolgte auch am ersten Juniwochenende.“ Einen Katastrophenplan, welche Schritte zu welchem Zeitpunkt zum Schutz der jeweiligen Ortslage notwendig sind, habe jede Kommune für sich.

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Erstellt:
4. Juli 2024, 11:00 Uhr

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