Backnanger Gerberstube: Als der Plattenspieler noch hinter der Theke stand
In der Backnanger Gerberstube liegen die ersten Anfänge der späteren Disco Living. DJ Andy legte Rock, Fox, Soul und Neue Deutsche Welle auf.
Von Armin Fechter
Backnang. Das Living, mit dem Christos Kiroglou genannt Taki in den 80ern Furore machte, hatte einen Vorläufer. Im April 1977 eröffnete Andreas Fotoglidis in der Talstraße 61 – dort, wo sich heute die Golden Lounge befindet – die Gerberstube. Der Name erinnerte an die einstigen Gerbereien an der Murr. Die Eigentümer der Immobilie, ein älteres Ehepaar, lebten selbst noch in der Wohnung über dem Lokal, wie Andreas Blattert erzählt, der im Mai 1977 dort der erste DJ wurde.
Dass er als Plattenaufleger einsteigen konnte, verdankte der junge Mann im Grunde einem glücklichen Zufall: Nachdem er seine ursprünglich anvisierte Laufbahn an den Nagel gehängt hatte, jobbte er zum Überbrücken beim Weinhaus Haar als Fahrer. Einer der Kunden, die er zu beliefern hatte, war Theo Fotoglidis, der Bruder von Andreas, der schon länger in der Gastroszene unterwegs war. Die beiden kamen ins Gespräch und Blattert – „ich war schon immer musikaffin“ – ergriff die Chance, die sein Leben prägen sollte. Bis heute ist er als DJ tätig, teilweise auf Mallorca, seinen Namen hat der bekennende Beatles-Fan allerdings, dem fortschreitenden Alter geschuldet, von DJ Andy in DJ Fossilldlx geändert. In der Gerberstube – eigentlich zunächst einer Kneipe – ging damals alles noch recht einfach zu. Der Plattenspieler stand in einem Winkel hinter der Theke, die Scheiben waren im Unterschrank verstaut. Blattert legte auf, was einem breiten Geschmack gefiel: Rock, Fox, Soul, Neue Deutsche Welle und Ähnliches. Mittwochs war Hitparade mit den aktuellen Top of the Pops. Immer mal wieder gab es auch Livemusik, etwa mit den Chipsis aus Aspach. 1979 erfolgte dann ein Umbau, bei dem die Musiktechnik aufgerüstet und das Lokal als Diskothek umgestaltet wurde. In der nunmehrigen Disco Living hatte der DJ einen eigenen Bereich mit einem ordentlichen Pult und einem Regal für die Platten. Im Gastraum standen 14 Tische für etwa 70 Gäste, dazu gab es noch etwa 50 Stehplätze sowie eine Kellerbar, in der über 40 Whiskysorten bereitstanden – für Backnang eine gigantische Auswahl. Getrunken wurden damals neben Jim Beam und Jack Daniel’s bevorzugt Mischungen wie Jacky Cola oder Bacardi Cola. Rosi Jonda, die hinter der Theke stand, erinnert sich auch, dass Gruppen gern den sehr süßen Jambosala-Punsch orderten, der im großen Gefäß mit Schöpflöffel und Gläsern ausgegeben wurde.
Zu gewinnen gab es Gutscheine, Getränke und auch mal eine Reise
Einen Wechsel in der Leitung gab es 1981, als Sigi Maier die Disco übernahm. Es folgten viele Highlights. Samstags wurde ein 15. Tisch eingerückt, an dem Jürgen Jonda – englisch „JJ“ genannt – den Eintritt beziehungsweise den Beitrag für die Spiele des Abends kassierte. Die Namen der Gäste zusammen mit ihren jeweiligen Losnummern wurden hochmodern mit dem Computer erfasst. Zu gewinnen gab es Getränke, Gutscheine und auch mal eine Reise. Orientierungsfahrten mit dem Auto wurden organisiert, unterwegs mussten die Teilnehmer Aufgaben lösen und Spiele absolvieren. Auch Fußballspiele wurden angesetzt: Eine erste Begegnung mit einer Mannschaft der ehemaligen Firma AHG wurde klar mit 9:3 gewonnen, beim Match gegen ein Team, das die Disco Life aufgestellt hatte, ging man aber überdeutlich 1:10 unter.
In der Disco wechselten sich vier DJs ab: Neben Andreas Blattert waren auch Klaus Klöpfer und Peter Müller am Start, ferner Wolfgang Moser, dessen Familie in Rudersberg eine Metzgerei hatte und der deshalb den Titel „Metzgermeistermixer Moser“ bekam. Es gab Zauber- und Hypnoseshows und einmal wurde es auch enorm schlüpfrig, als nämlich eine Show mit spärlich bekleideten Models präsentiert wurde. „Da wars gerammelt voll“, sagen Zeitzeugen.
Als sich Sigi Maier beruflich umorientierte, war vorerst Schluss mit dem Living: Die Disco machte zu und die Bestände von Getränken und Platten wurden aufgelöst. Erst mit Taki kam neues Leben in die Bude.