Alte Grube: Kultdiskothek mit einer DJ-Legende
Nachtleben in alten Zeiten (6) „Es war eine schöne und auch anstrengende Zeit“, blickt Ernst Augustin auf die Jahre in der Alten Grube zurück. Er war der Stamm-DJ des legendären Tanzlokals – DJ Ernst.
Von Armin Fechter
Backnang. Schon bei der Eröffnung im Jahr 1974 legte Ernst Augustin auf. Zusammen mit dem späteren Betreiber Reinhard Semenass hat er die Diskothek geprägt. Semenass und Augustin waren damals, was man heute ein kongeniales Duo nennt. Das Gespann hat den Laden über viele Jahre gesteuert und Erfolg auf Erfolg gefeiert. „Sembach“, wie ihn seine Freunde nannten – in Anspielung auf Carl Sembach, den weltbekannten Direktor des Circus Krone – , organisierte die zahlreichen Gastauftritte von Stars aus der deutschen und internationalen Musikszene. Die Liste umfasst Dutzende von klangvollen Namen: die Saragossa Band, die Lords, Percy Sledge, Jürgen Drews, Wolfgang Petry, Karat, Peter Maffay, Wolle Kriwanek, Roberto Blanco, Peter Schilling, Spider Murphy Gang, die Tremeloes, Andy Borg, Karl Dall, Herman’s Hermits, Long Tall Ernie, Paul Vincent, The Mamas and the Papas, Bananarama und und und. Noch heute raunen Grube-Gänger: „Außer den Stones und den Beatles waren alle da.“ Zumindest fast alle.
Semenass holte dabei auch Künstler, die nicht zur Grube zu passen schienen, weil sie abseits des Mainstreams standen oder mit ihren Titeln nicht in den Charts vertreten waren. So interessierte er sich einmal für den britischen Jazzer Chris Barber. Dass seine Mitstreiter Bedenken hegten, focht den Grube-Chef nicht an. Heute schmunzelt Augustin achselzuckend: „Er hatte seinen eigenen Kopf.“ Und man pflegte ja durchaus ein freundschaftliches Verhältnis, wie sich auch bei anderen Aktivitäten zeigte: Zusammen mit Arno Schumacher galten sie als der „Alte-Grube-Sturm“ der TSG und spielten in der höchsten Reserveklasse.
Laut Augustin kamen an Samstagabenden über 2.000 Besucher
Um immer wieder neue Stars der Schlager- und Popszene nach Backnang zu bekommen, ging der inzwischen verstorbene Semenass über eine Agentur. Für einen einzelnen Auftritt blätterte er dann bis zu 20.000 Mark hin – eine Investition, die sich rentierte, denn das Publikum strömte in Scharen. Laut Augustin kamen an Samstagabenden über 2.000 Besucher, wobei Wechsel mit eingerechnet sind: Sobald die Grenze von 1.000 Gästen erreicht war, bestand Einlassstopp. Erst wenn wieder Platz war, hatten neue Besucher eine Chance.
Das führte auch dazu, dass sich oft schon vor der offiziellen Öffnung lange Schlangen am Eingang bildeten. Mit Recht warb die stark frequentierte Alte Grube damals also mit dem Slogan „Backnangs Tanzlokal Nr.1“ für sich.
Begonnen hatte Augustins Engagement in der Alten Grube 1974, noch vor Semenass’ Zeiten, als der Gastronom Angelos Papadopoulus das Tanzlokal mit Restaurant und Kegelbahn in der Gartenstraße 76 eröffnete. Es befand sich in der Produktionsstätte einer alten Lederfabrik. Daher auch der Name der Diskothek: In Gruben wurden einst die Tierhäute mit dem Gerbstoff versetzt.
„Eine Diskothek steht und fällt mit dem DJ“
Die Zusammenarbeit mit Papadopoulus endete abrupt, als es zwischen den beiden zum Zerwürfnis kam. Augustin wechselte nach Mosbach, während es mit der Alten Grube bergab ging. „Eine Diskothek steht und fällt mit dem DJ“, erklärt Augustin. Dann übernahm Semenass die Leitung des Lokals – anfangs noch zusammen mit Partnern, später allein – und bekniete den Kult-DJ erfolgreich, wieder nach Backnang zu kommen.
Warum Ernst Augustin und kein anderer? „Er hat eine unfassbare Stimme“, schwärmt Wegbegleiter Roland Hahn: „Auflegen können viele. Er war begnadet.“ Der 65-jährige Backnanger besuchte schon zu Papadopoulus’ Zeiten die Grube und sprang gelegentlich ein, wenn am Plattenteller Not am Mann war. Auch als sich DJ Ernst beim Fußballspielen das Schlüsselbein brach, war er zur Stelle. Daraus entwickelte sich eine über neun Jahre währende Zusammenarbeit. Hahn übernahm, wenn Augustin mal eine Auszeit brauchte; bisweilen teilten sich die beiden die Abende. „Das war für mich ein Riesenglücksfall“, sagt Hahn: Dank Grube hat er viele Leute kennengelernt, privat und beruflich gingen für ihn Türen auf. Ein weiterer Co-DJ war Peter Vodan. Dessen Talent fürs Auflegen hatte Augustin in der benachbarten Tanzschule Bopp entdeckt, wo der Junge ab und zu die Scheiben wechselte.
Sogar der spätere Weltmeister Guido Buchwald soll da gewesen sein
Ihre Erfolge verdankte die Alte Grube auch der Musikauswahl. Ein Teil Fox, ein Teil Soul und Freestyle einschließlich aktueller Titel – „da waren wir einmalig“, erinnert sich Hahn. Und dafür kamen die Gäste von weit her. Illustre Leute waren darunter, etwa die damaligen Stars des VfB Stuttgart: Peter Reichert, Günther Schäfer, Uwe Bialon und andere, einmal soll sogar der spätere Weltmeister Guido Buchwald da gewesen sein. Und sie kamen nicht nur zum Tanzen: Ernst Augustin erinnert sich daran, dass manchmal – wenn der Laden schon dicht war – auf der Tanzfläche gemeinsam gekickt wurde.
Viele Backnanger waren Stammgäste, auch Ursel Kress, die bekannteste Schnappschussjägerin in der Stadt. Damit sie ihr Foto mit dem Gast des Abends machen konnte, ermöglichte DJ Ernst ihr bisweilen den Zutritt hinter die Kulissen. Oder er schickte den Star kurzerhand zum Speisen in die Gaststätte Scholpp, wo sich die Inhaberin dann zusammen mit dem Promi ablichten konnte. Ebenfalls ein eifriger Besucher war Andreas Schubert, der sich als Angehöriger der Babyboomer-Generation häufig zusammen mit Altersgenossen in der Alten Grube einfand: „Es war damals für uns unser Zweitwohnsitz“, blickt er nostalgisch zurück. Später hat Schubert zusammen mit Freunden vom Discoclub Oberbrüden Ernst Augustin dafür gewonnen, bei einer Revival-Party in der Auenwaldhalle aufzulegen. „Wir haben den Nerv der Grube-Gänger von damals getroffen“, resümiert Andreas Schubert: „Es war ein mega Erfolg.“ Und es war der Beweis: Der Kult lebt weiter.
Belinda und Co. Für unsere nächsten Folgen, die sich Lokalen, Clubs und Discotheken wie der Belinda und dem Hula Hoop oder dem Bermudadreieck mit Monokel, Bierakademie und Bierbörse widmen, suchen wir noch Fotos und Anekdoten. Schreiben Sie uns per E-Mail: redaktion@bkz.de