Innere Sicherheit

Antisemitische Straftaten im Netz verfünffacht

In Baden-Württemberg ist die Zahl antisemitischer Straftaten in sozialen Netzwerken innerhalb eines Jahres von 46 auf 252 Fälle gestiegen. Analysten von Verfassungsschutz und Polizei machen dafür auch gefälschte Nachrichten und mangelhaftes Wissen verantwortlich.

Rabbiner Shneur Trebnik und Polizisten unterhalten sich vor der Synagoge in Ulm: Juden werden immer wieder als Hauptverantwortliche für globale Krisen dargestellt.

© dpa/Stefan Puchner

Rabbiner Shneur Trebnik und Polizisten unterhalten sich vor der Synagoge in Ulm: Juden werden immer wieder als Hauptverantwortliche für globale Krisen dargestellt.

Von Franz Feyder

Es ist bedrückend, was die Expertinnen und Experten des Landesamtes für Verfassungsschutz und des Landeskriminalamtes Innenminister Thomas Strobl (CDU) da auf 21 Seiten zusammengeschrieben haben: Die Zahl antisemitischer Straftaten in sozialen Netzwerken ist im Land innerhalb eines Jahres von 2022 auf 2023 um das Fünffache gestiegen. Von 46 auf 252 Fälle. Das geht aus einer Antwort Strobls auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Nico Weinmann hervor, die unserer Zeitung vorliegt.

Demnach ordnen die baden-württembergischen Sicherheitsbehörden bei der Erfassung die Täter ausländischer Ideologie (AI), rechts- und linksextremem Gedankengut, religiösen Ideologien sowie sonstigen Bereichen zu. Die Analysten registrierten im vergangenen Jahr 164 statt 23 Taten wie 2022, die die Merkmale des Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches – Volksverhetzung – erfüllten. Diese Taten ordneten sie rechtsextremistischen Tätern zu. Ausländischen Ideologien ordneten sie 31 statt wie im Vorjahr 4 Taten zu. Rechtsextremisten sollen in zwei, Islamisten in einem Fall eine den Straftatbeständen nach terroristische Tat begangen haben.

„Vor allem die von jugendlichen Nutzern stark genutzte Plattform TikTok stellt einen Schwerpunkt der Verbreitung entsprechender Inhalte in den sozialen Medien dar“, fanden Inlandsgeheimdienst und Polizisten heraus. Gerade „antisemitische Inhalte mit islamistischem Hintergrund“ würden zu Anlässen wie dem Krieg im Gazastreifen und „unterstützt durch Algorithmen über verschiedene Kanäle auf Plattformen der sozialen Medien“ verbreitet.

Die Kanäle können die Ermittler oftmals nur schwer identifizieren und so die Täter verfolgen. Die unterhielten oftmals mehrere Kanäle mit unterschiedlichen Namen und auf verschiedenen Plattformen, ohne dass Nutzer dies erkennen könnten. Zudem würden die Kanäle beliebig ein- und ausgeschaltet. So hätten die Analysten Betreiber identifiziert, „die bis zu 50 Kanäle auf YouTube, TikTok, Telegram und Instagram gleichzeitig“ betrieben.

Vergleiche zwischen Nationalismus und israelischer Politik

Antisemitismus, so Strobl, sei ein grundlegender Teil aller islamistischer Strömungen und Ideologien: „Eine islamistische Gesinnung ohne Antisemitismus konnte bislang nicht festgestellt werden.“ Dabei werde einem muslimischen Opfermythos stets eine schwarz-weiß-sichtige, einseitige Schuldzuweisung gegen Israel beigemischt, die dem „Staat auf irrationale Weise eine Mitwirkung an negativen Ereignissen unterstellt“. Der Holocaust werde geleugnet, die Judenverfolgung im Dritten Reich verharmlost. Vergleiche von Nationalsozialismus „und der israelischen Politik finden im islamistischen Extremismus großen Anklang“, schreibt der Minister, Juden würden als „Teufelskinder“ und „Feinde Allahs“ beschreiben.

Auch würden oft historische und aktuelle Ereignisse miteinander verglichen, um so gleichsam zu beweisen, dass Juden seit jeher feindlich gegenüber dem Islam gesonnen seien. So werde der Konflikt um Jerusalem und die al-Aqsa-Moschee als Fortsetzung historischer Kriege zwischen Muslimen und Juden dargestellt. Als Brandbeschleuniger würden gefälschte Nachrichten, manipulierte Bilder und Videos verbreitet, Erzählweisen kreiert, die Juden als Hauptverantwortliche für globale Krisen darstellten.

FDP-Mann Weinmann: Medienkompetenz stärken

Der Liberale Weinmann ist alarmiert: „Die massive Zunahme an politisch motivierten Straftaten, insbesondere im Phänomenbereich des Antisemitismus, dürfen wir nicht länger ignorieren. Vor allem über die sozialen Medien wird mit ideologischen Verzerrungen, durch bewusstes Vermischen aktueller Ereignisse mit Desinformation oder Verschwörungstheorien ein Nährboden für menschenverachtenden Antisemitismus geschaffen.“

Gerade angesichts einer zunehmenden Unterschiedlichkeit an den Schulen sei es notwendig, Lehrer an allen Schulen zu befähigen, tagesaktuelle Ereignisse im Unterricht zu behandeln und im Diskurs mit den Schülern aufzuarbeiten. Dabei sei die Botschaft klar: „Für Antisemitismus ist bei uns kein Platz, erst recht nicht im Klassenzimmer!“

Änderung des Terrorparagrafen

Parallel dazu müsse die Landesanstalt für Kommunikation im Jugendmedienschutz weiter gestärkt und besonders Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen gefördert werden. Zudem will Weinmann, selbst Jurist, das Strafrecht geändert wissen: „Nicht zuletzt die professionelle Gestaltung entsprechender Beiträge in den Sozialen Medien, die Terror und Gewalt gegen Juden verherrlichen, zeigt mir, dass bereits das Werben für terroristische Vereinigungen wieder unter Strafe gestellt werden muss.“

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily und Justizministerin Herta Däubler-Gmelin hatten 2002 erfolgreich die Änderung des Absatzes 5 des Paragrafen 129 a des Strafgesetzbuches in den Bundestag eingebracht. Danach war künftig nur noch das Werben für Mitglieder und Unterstützer einer Terrorgruppe strafbar, nicht aber die grundsätzliche Sympathiewerbung. Strobl hatte im Juli einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen lassen, mit dem er dies ändern will.

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Erstellt:
1. August 2024, 07:14 Uhr

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