Arzt aus Burgstetten beschwert sich bei Lauterbach: Kein Geld für ein Fünftel der Arbeit

Für das Quartal 4/2023 hat zum ersten Mal seit Jahren die Budgetierung der Hausärzte gegriffen. Bei Regelleistungen können das schon mal um die 20 Prozent weniger Honorar ausmachen. Die Ärzte wollen das nicht hinnehmen.

Hausarzt Andreas Fritz aus Burgstall hat sich wegen der Budgetierung mit einem Brief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach gewandt. Foto: Alexander Becher

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Hausarzt Andreas Fritz aus Burgstall hat sich wegen der Budgetierung mit einem Brief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach gewandt. Foto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Burgstetten. Als Hausarzt Andreas Fritz aus Burgstall Mitte April die Abrechnung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg für das letzte Quartal 2023 erhielt, war er vollkommen perplex. Denn ein Fünftel seiner erbrachten Leistungen nach dem sogenannten Regelleistungsvolumen war schlichtweg nicht honoriert worden. Sein Budget sei überschritten worden, heißt es in dem Schreiben.

Andreas Fritz übt seinen Beruf mit Begeisterung und mit Leidenschaft aus. Ungefähr 60 Stunden in der Woche verbringt er in seiner Praxis. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl seiner Patientinnen und Patienten aus unterschiedlichen Gründen stark angewachsen – etwa weil andere Hausarztpraxen geschlossen haben und Andreas Fritz die Patienten übernommen hat, die in Burgstall leben. Auch Geflüchtete sind dazugekommen. Zudem wächst die Bevölkerung des Ortes durch neu Hinzugezogene und um die Bewohner des örtlichen Seniorenheims kümmert er sich ebenfalls.

Undurchschaubares Regelwerk

Die Abrechnung der Ärzte ist ein nicht so einfach zu durchschauendes Regelwerk. Jedes Jahr wird das Budget neu berechnet. Es hängt auch davon ab, wie, was und wie viel die Kolleginnen und Kollegen im Land abrechnen. Dazu gehört ebenfalls, dass nicht pro Patientenbesuch, sondern pro Patient abgerechnet wird – es also keinen Unterschied macht, ob der Patient nur einmal oder zehnmal die Hilfe des Hausarzts in Anspruch nimmt. Da immer rückwirkend für das vergangene Quartal abgerechnet wird, besteht stets eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die Einnahmen.

Auf dieses Missverhältnis will Andreas Fritz aufmerksam machen. Aus diesem Grund hatte er im Mai einen Brief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach geschrieben. „Die Überschreitung des Budgets kam zustande, da ich viele Patienten übernommen habe, deren Hausarztpraxis ohne Nachfolger geschlossen wurde. In der Planungsregion Backnang beträgt der Versorgungsgrad noch 80,8 Prozent, damit droht eine hausärztliche Unterversorgung“, schreibt Andreas Fritz. „Nun werde ich für die Versorgung dieser oftmals chronisch kranken Patienten abgestraft, was die Freude an dem eigentlich schönen Beruf des Hausarztes trübt.“

Der Allgemeinmediziner sorgt sich um die Behandlung der Patientinnen und Patienten in den kommenden Jahren. Denn einige Hausärzte im Backnanger Raum werden in absehbarer Zeit ihre Praxen aus Altersgründen schließen, doch Nachfolger sind Mangelware (wir berichteten). Denn wer möchte sich schon selbstständig machen, wenn die Einnahmen nicht kalkulierbar sind, weist Andreas Fritz auf ein grundlegendes Problem der aktuellen Hausarztabrechnung hin. Man solle den Beruf attraktiver gestalten, um Nachfolger zu gewinnen, findet er.

Ein geplantes Maßnahmenpaket soll
eine Entbudgetierung mit sich bringen

Die Entbudgetierung sollte für alle Facharztgruppen durchgeführt werden. Manche Fachärzte schließen ihre Praxen am Quartalsende, wenn das Budget ausgeschöpft ist – ein wesentlicher Grund, weshalb Patienten häufig bis zu einem Jahr lang auf einen Facharzttermin warten müssen.

Weitere Themen

Besserung soll eigentlich das geplante Maßnahmenpaket zur Stärkung der ambulanten Versorgung bringen. Darin ist auch von der „Entbudgetierung aller Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung“ die Rede.

Für Jens Steinat aus Oppenweiler sind die geplanten Maßnahmen der Versorgungsstärkungsgesetze I und II jedoch eine Mogelpackung. Insbesondere die angedachte Versorgungspauschale zur Behandlung chronisch kranker Erwachsener und die hausärztliche Versorgungspauschale sieht der Allgemeinarzt mehr als kritisch und verweist auf eine Berechnung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. Für mehr als 90 Prozent der Hausärzte würde die Umsetzung dieser Pläne Einkommensverluste von bis zu 100.000 Euro ausmachen, rechnet er vor – bei gleicher Arbeitszeit. So solle bei der Versorgungspauschale nur der erste behandelnde Arzt seine Leistung vergütet bekommen. Als Urlaubsvertretung oder Arzt, der parallel für das gleiche Leiden aufgesucht werde, erhalte man gar nichts.

Kleinere Praxen haben es schwerer

Auch das Thema Vorhaltepauschale sieht Jens Steinat als kritisch an. Denn diese sollen Praxen nur erhalten, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Doch die Kriterien, so der Vorsitzende der Backnanger Ärzteschaft, könnten kleinere Praxen nicht unbedingt umsetzen. Jens Steinat befürchtet durch die Pläne des Gesundheitsministeriums eine Ausbeutung der Ärzteschaft.

Wolle man den Hausärzten und auch den Fachärzten, die ebenfalls unter den Einschränkungen der Budgetierung leiden, wirklich helfen, dann müsse die Budgetierung beendet und die Bürokratie verschlankt werden. Doch sei dies gar nicht erwünscht, vermutet Jens Steinat. Seiner Ansicht nach plant der Gesundheitsminister die Bündelung der medizinischen Versorgung in Zentren, Hausarztpraxen vor Ort würden dann sowieso der Vergangenheit angehören. „Die Lösung ist einfach: ehrlich sein“, findet Jens Steinat. Man müsse sowohl gegenüber dem Bürger wie auch dem Patienten ehrlich kommunizieren, was schlussendlich bezüglich der Gesundheitspolitik bezweckt werde. „Die Bürger merken, dass die Politik bei der ärztlichen Versorgung viel verspricht, aber dass das in der Realität nicht funktioniert“, sagt Jens Steinat. Und diese Verunsicherung, so seine Befürchtung, schüre wiederum antidemokratische Ressentiments.

Diesen möglichen Nebeneffekt spricht auch Andreas Fritz in seinem Schreiben an Karl Lauterbach an. Eine Antwort hat er bisher noch nicht erhalten.

Die Vorgeschichte der Budgetierung

Initiative Das Thema Budgetierung im Hausärztebereich hat eine lange Vorgeschichte. 1992 war diese auf Initiative des früheren Gesundheitsministers Horst Seehofer (CSU) und des Gesundheitspolitikers Horst Dressler (SPD) eingeführt worden.

Ausgabendeckel Durch das Gesundheitsstrukturgesetz nach dem sogenannten Kompromiss von Lahnstein wurde ein Ausgabendeckel für Arzneimittel sowie ärztliche Leistungen eingeführt. Dabei handelt es sich um die Ausgaben für sogenannte Regelleistungen, wozu ärztliche Leistungen gehören, die vom Gesetzgeber ausdrücklich als erforderlich angesehen werden.

Ärztemangel Zudem drohte seinerzeit eine ärztliche Überversorgung. Mittlerweile hat sich die Situation geändert, es besteht ein Ärztemangel. Zumindest in den vergangenen zehn Jahren verfügte die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) über ausreichende Gelder, um nahezu 100 Prozent der erbrachten ärztlichen Leistungen dennoch zu vergüten. Doch für das Quartal 4/2023 sieht es nun anders aus.

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Erstellt:
26. Juni 2024, 06:00 Uhr

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