Aus der Wildnis frisch auf den Tisch

Klimaschutz und Ökologie sind die wichtigsten Themen bei der Grünen Woche

Auf der Grünen Woche in Berlin setzt das Partnerland Finnland ökologische Maßstäbe für die Landwirtschaft – mit einigen Schönheitsfehlern. Dabei ist die Nachhaltigkeit das große Thema.

Berlin Wenn es um die Landwirtschaft geht, redet die Natur noch immer ein Wörtchen mit. Und manchmal schlägt sie der Landwirtschaft ein Schnippchen. Bei der Grünen Woche in Berlin fehlen deshalb in diesem Jahr zum Beispiel süße kleine Ferkelchen, die sonst in ihren mit Stroh ausgelegten Gehegen die Besucher verzücken. Wegen der offenbar aus Osteuropa eingeschleppten Afrikanischen Schweinepest haben Schweine ein Auftrittsverbot auferlegt bekommen. Die Ansteckungsgefahr ist zu groß.

Direkt betroffen von dem Verbot sind auch viele Aussteller aus Baden-Württemberg. Beim langjährigen Dauergast der Grünen Woche, dem Stand des relativ glücklich aufwachsenden Schwäbisch-Hällischen Hausschweins, sitzen in diesem Jahr nur Stofftiere herum. Aber es geht noch ein bisschen absurder: Auch bei der Tierschau, bei der auf alte Rassen hingewiesen wird, trat selbstverständlich keine Sau auf. Stattdessen wird ein Wollschwein als Papp- und Fellattrappe präsentiert. Die Besucher waren wenig begeistert.

Die Grüne Woche ist verschrien als große Show der Illusionen, dabei bietet sie den zahlreichen Kritikern und Umweltschützern selbst ein Podium. 1750 Aussteller aus 61 Ländern sind auf der Messe vertreten. So viele waren es in der 93-jährigen Geschichte der Schau noch nie. Diesmal ist Finnland das Partnerland, ein zu 72 Prozent bewaldetes Land, das eine erstaunlich quicklebendige Landwirtschaft besitzt. „Aus der Wildnis“ heißt deshalb das clevere Motto der Finnen. Sie werben mit einer ökologischen Haferproduktion, verkaufen glutenfreien Pfannkuchen mit Brennnesseln, dazu Waldbeeren, Lachs und Stör aus Aquakulturen. Und natürlich Elchfleisch.

Die Finnen appellieren ans Gefühl, sie versprechen in ihren Hochglanzbroschüren „pure Stille“. Juha Marttila, Rentierzüchter und Präsident des Verbands der Landwirte und Waldbesitzer, spricht sogar romantische Gefühle an: „Meine Rentiere können sich das Polarlicht anschauen – im Einklang mit der Natur.“ Das klingt ironiefrei. Die klarste Luft der Welt, ein sauberer Boden und enorme Wasserressourcen seien der Grund für die „reinsten Lebensmittel“, sagt Marttila. Auch das Tierwohl habe das Land im Blick, die Schwänze der Schweine würden nicht abgeschnitten – in Deutschland geschieht das immer noch – und Antibiotika in der Landwirtschaft setze man nicht mehr vorbeugend ein, sondern nur zur Behandlung akuter Erkrankungen.

Also alles gut? Die Finnlandhalle gehört jedenfalls zu den „Musts“ der schätzungsweise 400 000 Grüne-Woche-Besucher. Dort kann Elchfleisch probiert und für neun Euro die 300-Gramm-Dose käuflich erworben werden. Jedes Jahr dürfen in Finnland in einer dreimonatigen Jagdperiode 50 000 Elche geschossen werden. Das helfe auch dem Erhalt und der Verjüngung des Bestands von 400 000 Tieren, sagt Klaus Flörchinger von der Metzgerei Herttua, der seit 20 Jahren im finnischen Jyväskylä lebt und arbeitet: „Übrigens verursachen die Elche viele Verkehrsunfälle, die tödlich enden. Die laufen einfach über die Straße.“

Die Finnen bemühen sich um klimafreundliche Landwirtschaft. Eine Firma bietet Bauern eine Berechnungsmethode an, mit der sie den ökologischen Fußabdruck ihres Hofs ermitteln können. Eine nachhaltige Landwirtschaft, einen Beitrag zum Klimaschutz leisten – das wollen mittlerweile alle auf der Grünen Woche. Oder sie werben zumindest damit. Das reicht vom Rosenöl aus Marokko über den Verein Thüringer Ökoherz, der munter Bratwürste verteilt, bis hin zum Landmaschinenhersteller Fendt, der seinen neuen Mähdrescher Namens Ideal – 700 000 Euro teuer, 20 Tonnen Gewicht – vermarkten will und mit smarter Technologie einen „wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung“ verspricht.

Auch Baden-Württemberg schwimmt gut mit im Mainstream, teilt sich mit Mecklenburg-Vorpommern eine Halle und macht den Finnen in Sachen Naturnähe wirklich Konkurrenz: Da steht ein Biergarten mit edlen Massivholztischen aus Weißtanne und eine „Waldoase“, die als Rückzugsort dienen soll, wurde eingerichtet. Vogelgezwitscher läuft dort im Hintergrund. Erstmals sind die Naturparks des Landes mit in der Ausstellung.

Agrarminister Peter Hauk (CDU) sitzt inmitten des Maultaschen essenden Volks und sagt, dass man vom finnischen Marketing lernen könne: „Natürlich ist dieses dünn besiedelte Land mit uns nicht vergleichbar. Aber sie haben eine klare Profilierung ihrer Produkte und gehen mit hohem Selbstbewusstsein in den Markt.“ All das will der Südwesten mit seinem Schwerpunkt auf der Vermarktung qualitativ hochstehender Produkte eigentlich auch. Minister Hauk hat Finnland einmal besucht. Die Aquakultur habe ihn dort schwer beeindruckt, mit ihren „engmaschigen Messungen“ der in die Seen eingetragenen Emissionen. Und vielleicht, sagt Hauk, könne man daraus auch für Baden-Württemberg etwas lernen: „Es befinden sich auch am Bodensee Befürworter von Aquakultur.“

Wie wird sich die Welt eines Tages ernähren? Wie kann die Landwirtschaft mithalten mit den Forderungen nach „Nachhaltigkeit“, die auch Kanzlerin Angela Merkel bei einer Fachtagung postulierte? Experten diskutieren das in Berlin und erörtern so detaillierte Fragen wie die, welche Kuh nun den besseren ökologischen Fußabdruck hinterlasse: die 12 000 Liter im Jahr produzierende Milchkuh, die mit importiertem Soja gefüttert wird, oder die nur 6000 Liter erzeugende auf Grasland gehaltene Milchkuh?

Zu viel Fleisch essen ist jedenfalls klimaschädlich, da herrscht ein allgemeiner Konsens unter den Diskutierenden. Ein Magnet auf der Grünen Woche sind daher die Insektenköche, egal ob sie Grashüpfer, Ameisen oder Würmer anbieten. Sebastian Kreßner (29) von der Firma Native Food in Brandenburg verkauft Chips, hergestellt aus Buffalo-Mehlwürmern. Ein Biss in einen Wurm-Keks zeigt eine gewisse Ähnlichkeit zu Knäckebrot oder Kartoffelchips – schmeckt nicht übel, den Wurm möchte der Tafelnde aber nicht unbedingt sehen.

Zurück zu den Finnen: Alles ist bei ihnen übrigens auch nicht öko. Rund zwölf Prozent der finnischen Treibhaugasemissionen stammen aus der Landwirtschaft – ein Prozentpunkt mehr als aus der Industrieproduktion. Und auf eigenen Füßen steht die Agrarbranche nicht, es fehlten „Tausende von Arbeitskräften“, sagt ein Bauernfunktionär. Mit Arbeitern aus Bosnien oder der Ukraine versuche das Land, die Lücken zu füllen. Und auch in den Messehallen war die Schau der Finnen nicht so ganz ökologisch makellos. Bei den Empfängen gab es Einweggeschirr. Suvi Antilla vom finnischen Marketingverband Pro Agria kommentierte das ganz knapp: „Ja, das ist nicht richtig.“

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Erstellt:
21. Januar 2019, 16:11 Uhr

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