Ausländische Arbeitskräfte: Der lange Weg zur Berufsanerkennung

Susanne Kübler von der Backnanger Firma Ade Fußbodenbau hat als Personalerin erfahren, welche Hürden bei dem Versuch, die Qualifikationen ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland bestätigen zu lassen, zu überwinden sind.

Nuray Genç aus der Türkei hat bei der Firma Ade in Backnang eine berufliche Heimat gefunden.  Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Nuray Genç aus der Türkei hat bei der Firma Ade in Backnang eine berufliche Heimat gefunden. Fotos: Alexander Becher

Von Bernhard Romanowski

Backnang. Mit einem Video ging alles los. Nuray Genç hatte sich beim Estrichlegen mit einem Handy filmen lassen und die Aufnahme per Internet aus Istanbul an die Firma Ade Fußbodenbau GmbH in Backnang geschickt. Die pfiffige Idee, sich mit einem Video um eine Stelle zu bewerben, gefiel den Backnangern sehr. Auch wenn die Methoden im Estrichlegen sich hierzulande mittlerweile etwas anders entwickelt haben, sind die handwerklichen Fähigkeiten des Mannes aus der Türkei klar erkennbar. „Den können wir gut gebrauchen“, dachte sich denn auch Rüdiger Ade, der das rund Mitarbeiter starke Backnanger Unternehmen mit seiner Schwester Silke Ade-Valente als Geschäftsführer leitet. Und damit begann für Susanne Kübler eine regelrechte Odyssee durch das Internet mit einigen bürokratischen Stromschnellen und behördlichen Klippen.

Denn Susanne Kübler ist für den Bereich Personal und Lohnbuchhaltung bei der Firma Ade zuständig und hatte nun die Aufgabe, das Nötige in die Wege zu leiten, damit Nuray Genç in dem Unternehmen angestellt werden kann.

Die Informationen im Internet verwirren mehr, als dass sie helfen

Zuerst einmal versuchte sich Kübler im Internet schlau zu machen. Aber wie das mit dem weltweiten Datennetz so ist: Man findet dort Informationen in erschlagender Fülle, die oft mehr verwirren als helfen. Ein zusätzliches Problem: Zurzeit dürfen nur Fachkräfte, keine Hilfsarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kommen. Kübler schien es sinnvoll, den Weg über die deutsche Botschaft in der Türkei zu versuchen. Hier kann ein Bewerber mit einem Arbeitsvertrag und seinem Ausweis einen Antrag auf ein Arbeitsvisum beantragen – wenn er denn einen Termin erhält. „Das kann sehr lange dauern“, so Kübler.

Susanne Kübler sieht angesichts des Fachkräftemangels in vielen Berufsbereichen akuten Handlungsbedarf für die Politik.

© Alexander Becher

Susanne Kübler sieht angesichts des Fachkräftemangels in vielen Berufsbereichen akuten Handlungsbedarf für die Politik.

Von einer Bekannten ihres Chefs wurde sie dann auf die Arbeitsmarktzulassung der Agentur für Arbeit als mögliches Verfahren hingewiesen. Diese sieht vor, dass die Gleichwertigkeit des Berufsbilds des Bewerbers mit dem deutschen Standard von der Handwerkskammer anerkannt wird und die Arbeitsagentur ihre Vorabzustimmung gibt. „Ein Nachteil ist: Das kostet den Arbeitgeber 1000 Euro“, berichtet Kübler. Die Bewerbung per Video hatte die Firma Ade im Juli 2020 erhalten. Im folgenden August erhielt Nuray Genç einen befristen Arbeitsvertrag aus Backnang zur Unterschrift und musste dann unter anderem seine Papiere wie Zeugnisse und Lebenslauf übersetzen lassen. Diese Unterlagen erhielt die Handwerkskammer Region Stuttgart mit dem Antrag auf Gleichwertigkeit des Berufsbilds. „Über die notwendigen Datenschutzerklärungen, die dazu beizubringen waren, bin ich schier fast verzweifelt“, schildert Kübler die umfangreiche Korrespondenz.

Im Februar 2021 kam dann der Bescheid über eine teilweise Gleichwertigkeit der Berufskenntnisse. Genç könne die notwendige Qualifikation noch nachträglich erbringen. Dafür wurden wiederum 450 Euro fällig, welche die Firma Ade zahlen musste. Den Antrag auf Vorabzustimmung lehnte die Agentur für Arbeit derweil ab, weil der Ausbildungsplan der Handwerkskammer fehlte. Im März 2021 lag dieser dann vor und die Arbeitsagentur stimmte dem Vorhaben zu – aber nur beschränkt. Und Bearbeitungskosten in Höhe von 600 Euro wurden dafür auch noch erhoben. Anfang Juni vergangenen Jahres konnte Nuray Genç dann aus der Türkei einreisen, kam bei Bekannten in Backnang unter und nahm knapp zwei Wochen später seinen Job bei Ade auf.

Der Weg über die Arbeitsagentur und die Handwerkskammer hätte Arbeit sparen können

Deutet sich hier vielleicht schon ein Happy End an? Noch nicht ganz, denn die Arbeitserlaubnis galt nur bis zum 13. Juni. Bevor die Arbeitsagentur die vollständige Vorabzustimmung erteilt, braucht die Handwerkskammer die Bestätigung der Firma Ade, dass sie den Fortbildungsplan erfüllt und ihrem Mitarbeiter Genç die noch fehlenden notwendigen Kenntnisse vermittelt hat. Diese Bestätigung war von Ade zwar schon im Januar verschickt worden, aber offenbar nicht bei der Kammer angekommen, wie die Personalerin Kübler im April erfuhr. Das Papier wurde also nochmals verschickt, woraufhin die Handwerkskammer noch einige Fragen und einige auszufüllende Datenschutzblätter in petto hatte, was Kübler brav abarbeitete. Gegen Ende Mai kam mit einer Gebührenforderung von 150 Euro die vollständige Anerkennung durch die Handwerkskammer: Nuray Genç darf sich nun Beton- und Stahlbetonbauer nennen. Dieses Zertifikat hat mittlerweile die Agentur für Arbeit in Stuttgart, Bereich Arbeitsmarktzulassung, erhalten, zusammen mit einem erneuten Antrag auf Vorabzustimmung, die aktuell noch aussteht. „Parallel dazu hat Herr Genç bei der Ausländerbehörde in Backnang eine befristete Fiktionsbescheinigung beantragt, damit er in unserer Firma arbeiten darf und nicht zurück muss in die Türkei, solange das Verfahren läuft“, erklärt Kübler.

Wenn ihr der Weg über die Arbeitsagentur und die Handwerkskammer vorher bekannt gewesen wäre, hätte ihr das viel Arbeit erspart, resümiert Susanne Kübler den Anerkennungsprozess. Wenn man einmal eine Kontaktperson bei diesen Einrichtungen habe, laufe das Ganze eigentlich ganz gut. Nur sei das zu wenig bei den Firmen bekannt, meint sie, und zudem für kleinere Firmen ohne Personalabteilung nicht zu stemmen. Nuray Genç arbeitet jedenfalls sehr gerne bei Ade. Seine Tochter lernt gerade Krankenschwester in der Türkei, sein Sohn Industrieelektriker. „Vielleicht können sie ja auch später in Deutschland arbeiten, wenn sie wollen. In diesen Berufen werden doch Leute gebraucht in Deutschland“, so der 53-Jährige.

Handwerkskammer als Lotse

1100 Bescheide „Unsere Fachleute haben seit 2012 weit über 1100 Anerkennungsbescheide für im Ausland erbrachte Berufsqualifikationen erstellt“, erklärt Anette Groschupp, stellvertretende Geschäftsführerin Unternehmensservice bei der Handwerkskammer Region Stuttgart. So wurden über 10000 Personen beispielsweise aus dem Kosovo, Rumänien, Griechenland oder Polen zu ihren Qualifikationen beraten.

Bundesprojekt Seit Jahresanfang ist die Handwerkskammer Region Stuttgart Teil des bundesweiten Projekts „Unternehmen Berufsanerkennung“. Das kostenfreie Beratungsangebot richtet sich an Firmen, die Mitarbeiter mit ausländischen Berufsqualifikationen fördern und deren Abschlüsse anerkennen lassen möchten oder die auf der Suche nach Fachkräften aus dem Ausland sind. „Die Betriebslotsen der Handwerkskammer unterstützen im gesamten Prozess – von der Erstberatung bis hin zur Begleitung während der Anpassungsqualifizierung, so Groschupp.

Links Weitere Informationen gibt es online unter www.hwk-stuttgart.de/fachkraefteeinwanderungsgesetz und www.hwk-stuttgart.de/anerkennungsgesetz.

Zum Artikel

Erstellt:
7. Juli 2022, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen