Autofahrer sollen auf Distanz gehen

Um die Sicherheit für Radfahrer auf Backnangs Straßen zu erhöhen, wirbt die Stadt zusammen mit dem ADFC für mehr Sicherheitsabstand beim Überholen. Die Kampagne wird begleitet von einem Forschungsprojekt der Hochschule Karlsruhe.

Gelbe Banner erinnern wie hier am Ortseingang von Steinbach an den Sicherheitsabstand beim Überholen von Fahrradfahrern. Der ADFC-Vorsitzende Jürgen Ehrmann, der städtische Fahrradbeauftragte Volker Knödler und Oberbürgermeister Maximilian Friedrich (von links) appellieren an die Rücksicht der Autofahrer. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Gelbe Banner erinnern wie hier am Ortseingang von Steinbach an den Sicherheitsabstand beim Überholen von Fahrradfahrern. Der ADFC-Vorsitzende Jürgen Ehrmann, der städtische Fahrradbeauftragte Volker Knödler und Oberbürgermeister Maximilian Friedrich (von links) appellieren an die Rücksicht der Autofahrer. Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Schwere, zum Teil sogar tödliche Fahrradunfälle hat es in Backnang in den vergangenen Jahren leider immer wieder gegeben. So kam etwa im vergangenen August ein siebenjähriger Junge ums Leben, als er mit seinem Fahrrad auf einem Zebrastreifen am Bleichwiesenkreisel von einem Auto erfasst wurde, erst vor einem Monat starb ein 46-jähriger Radfahrer nach einem Sturz auf der Annonaystraße. Für das erklärte Ziel der Stadt, mehr Bürger zum Umstieg vom Auto aufs Fahrrad zu bewegen, sind solche Nachrichten natürlich nicht förderlich. „Wenn wir den Anteil des Radverkehrs steigern wollen, müssen wir das Gefühl der Sicherheit erhöhen“, weiß Oberbürgermeister Maximilian Friedrich.

Eine ganz wichtige Rolle spielt dabei aus seiner Sicht der Abstand der Autos beim Überholen. Laut Straßenverkehrsordnung muss der innerorts mindestens 1,50 Meter und außerhalb geschlossener Ortschaften sogar zwei Meter betragen. Die Praxis sieht allerdings oft anders aus, wie Jürgen Ehrmann zu berichten weiß: „Bei fast jeder meiner Fahrten schneidet mich ein Autofahrer“, erzählt der Vorsitzende der Backnanger Ortsgruppe beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). Messungen mit Abstandssensoren hatten diesen subjektiven Eindruck Anfang des Jahres bestätigt (wir berichteten). Um auf das Problem aufmerksam zu machen, haben Stadt und ADFC deshalb eine Kampagne gestartet. An 25 Stellen im gesamten Stadtgebiet hängen seit dieser Woche große gelbe Banner mit der Aufschrift „Mit Abstand sicherer“ und einem Hinweis auf den Mindestabstand beim Überholen von Fahrradfahrern.

Maximilian Friedrich hofft, dass die Schilder das Thema stärker ins Bewusstsein der Autofahrerinnen und -fahrer bringen und so vielleicht den einen oder anderen dazu bewegen, sein Verhalten zu ändern. Jürgen Ehrmann macht deutlich, dass der vorgeschriebene Mindestabstand letztlich sogar bedeutet, dass Radfahrer in bestimmten Bereichen überhaupt nicht überholt werden dürfen, etwa auf sehr schmalen Streckenabschnitten oder bei Gegenverkehr. Der ADFC-Vorsitzende plädiert für Pragmatismus und gegenseitige Rücksichtnahme: „Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander.“

Testfahrten mit Videokamerassollen Gefahrenstellen identifizieren

Bei Bannern und Appellen soll es aber nicht bleiben. Die Stadt will auch gefährliche Stellen im Stadtgebiet identifizieren und entschärfen. Dafür nimmt Backnang zusammen mit zehn anderen Städten und Gemeinden im Land an einem Forschungsprojekt teil, das die Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen (AGFK) gemeinsam mit der Hochschule Karlsruhe initiiert hat. Dafür sollen die Fahrräder von zehn bis zwölf Testpersonen für einen Zeitraum von vier Wochen mit Ultraschallsensoren und Videokameras ausgestattet werden, die alle Überholvorgänge dokumentieren. Anhand von GPS-Daten können die Forscher anschließend nachvollziehen, wo die Sicherheitsabstände eingehalten wurden und wo nicht. „Wenn wir wissen, wovon die Einhaltung der Abstände abhängt, können wir daraus entsprechende Maßnahmen ableiten“, erklärt der städtische Fahrradbeauftragte Volker Knödler. Das könnten zum Beispiel bauliche Veränderungen sein, aber auch ein Überholverbot von Zweiradfahrern könnte in bestimmten Bereichen Thema werden. Dafür gibt es seit Jahresbeginn ein neues Verkehrszeichen, das in einigen Städten bereits im Einsatz ist, etwa in Stuttgart-Kaltental.

Zu mehr Sicherheit sollen auch weitere Radschutzstreifen beitragen, die die Stadt im Lauf des Jahres markieren will (siehe Infobox). Klar ist außerdem, dass die Schutzstreifen zwischen Spinnerei und Sachsensweiler sowie entlang der Schöntaler Straße auf Dauer erhalten bleiben. Dort war im Rahmen eines Modellprojekts des Landes die Wirkung von Schutzstreifen außerhalb geschlossener Ortschaften getestet worden und die Ergebnisse waren nach Angaben von Volker Knödler positiv: „Auf beiden Strecken hat der Radverkehr deutlich zugenommen.“

Insgesamt spüre er in letzter Zeit einen „deutlichen Schub“ für den Radverkehr in Backnang, stellt Jürgen Ehrmann zufrieden fest. Dies lässt sich für ihn auch daran ablesen, dass Gemeinderat und Verwaltung nun einen Wunsch erfüllen wollen, den der ADFC-Ortsverein in den vergangenen Jahren immer wieder geäußert hatte. Der Fahrradbeauftragte Volker Knödler, der bisher auch noch andere Aufgaben im Stadtplanungsamt hatte, soll sich künftig ausschließlich um die Themen Rad- und Fußverkehr in Backnang kümmern.

Weitere Schutzstreifen

Dieses Jahr sind nach Angaben der Stadtverwaltung folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Radinfrastruktur geplant:

Markierung Schutzstreifen aufwärts in der Eugen-Adolff-Straße

Schutzstreifen beziehungsweise Piktogramme in der Annonaystraße im Bereich Bleichwiese/Annonaygarten

Radmarkierungen am Knotenpunkt Stuttgarter Straße/Industriestraße

Markierung von Schutzstreifen im nördlichen Abschnitt der Talstraße (Fortsetzung des bereits realisierten Abschnitts)

Überleitung Fahrbahn/Radweg an der Martin-Dietrich-Allee

Rotmarkierung von Furten an Einmündungen im Zusammenhang mit ohnehin laufenden Baumaßnahmen

Aufstellung weiterer Abstellbügel in der Innenstadt

Start des Verleihsystems Regiorad Stuttgart mit fünf Stationen im Stadtgebiet

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Erstellt:
17. März 2022, 06:00 Uhr

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