Backnang macht Millionenverlust mit Klärschlamm
Rund vier Millionen Euro hat die Stadt Backnang vor zehn Jahren in eine Anlage zur Klärschlammtrocknung investiert. Statt des erhofften Gewinns machte sie damit aber hohe Verluste. Jetzt wurde der Betrieb eingestellt.
Von Kornelius Fritz
Backnang. Freude und Stolz waren groß, als am 23. Mai 2012 die neue Klärschlammtrocknungsanlage in Backnang-Neuschöntal in Betrieb ging. Erster Bürgermeister Michael Balzer sprach in seiner Festrede von einem „Bioenergiepark mit Vorbildcharakter“, der mittlerweile verstorbene Vizelandrat Bernd Friedrich von einem „überragenden Klimaschutzprojekt“ und immer wieder fiel das Wort „Win-win-Situation“. Als Gewinner fühlten sich damals sowohl der Landkreis, der die Abwärme aus seiner neuen Biovergärungsanlage nicht mehr nutzlos in die Atmosphäre blasen musste, als auch die Stadt Backnang, die eben jene Wärme kostenlos für die Trocknung ihres Klärschlamms nutzen durfte. In einem etwa vierstündigen Prozess sollten sich so die Rückstände aus der Kläranlage in ein Granulat verwandeln, das als wertvoller Brennstoff an Kohlekraftwerke und Zementhersteller verkauft werden sollte.
Stolze 3,9 Millionen Euro investierte die Stadt in die Anlage und träumte bereits von satten Gewinnen. Schließlich sollte in dem neuen Hightech-Trockner nicht nur der Klärschlamm aus Backnang behandelt werden. Elf weitere Gemeinden aus dem Umland wurden als Kooperationspartner geworben, selbst Waiblingen und Schorndorf bekamen ein entsprechendes Angebot aus Backnang. Die Kapazität der Anlage hätte dafür ausgereicht, allerdings lehnten die Städte aus dem Remstal dankend ab.
Knapp zehn Jahre später ist klar: Aus der vermeintlichen Win-win-Situation ist für die Stadt Backnang ein gigantisches Verlustgeschäft geworden. Auf insgesamt 4,02 Millionen Euro beziffert Baudezernent Stefan Setzer das Defizit, das die Anlage bis zur Stilllegung Ende vergangenen Jahres eingefahren hat. Nachdem sich weder ein Käufer noch ein Pächter fand, wurde die Trocknungsanlage mittlerweile verschrottet, das Gebäude wird heute als Lager- und Fahrzeughalle für die Kläranlage genutzt. Sein Restwert von rund 700000 Euro reduziert den Verlust zumindest auf dem Papier.
Wer nach den Gründen für das Klärschlammfiasko forscht, stößt auf eine erstaunliche Häufung von Pleiten, Pech und Pannen. Von den Vorhersagen, die der Investition zugrunde lagen, hat sich so gut wie keine erfüllt.
„Ein Problem war, dass wir die prognostizierte Wärme nie erhalten haben“, sagt Baudezernent Stefan Setzer. Für die Klärschlammtrocknung wird Heißluft mit einer Temperatur von 105 Grad benötigt, tatsächlich war die Abwärme oft aber nur etwa 95 Grad heiß. Um die benötigte Temperatur zu erreichen, musste die Stadt mit Gas zuheizen. Auch die Wärmemenge stimmte nicht: Bald zeigte sich nämlich, dass die Biovergärungsanlage nur während der Sommermonate in Volllast lief, den Rest des Jahres produzierte sie weniger Biogas und damit auch weniger Abwärme. Längere Zeit lieferte sie sogar überhaupt keine Wärme, weil die Blockheizkraftwerke erneuert wurden. Um den Klärschlamm ganzjährig zu trocknen, wurde daher immer mehr teures Gas benötigt: bis zu 5,6 Millionen Kilowattstunden pro Jahr, kalkuliert hatte man mit zwei Millionen.
Auch die Wachstumspläne waren Makulatur: In der für 16000 Tonnen ausgelegten Anlage wurden zu keinem Zeitpunkt mehr als 9000 Tonnen pro Jahr getrocknet. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, brach im Mai 2016 auch noch ein Feuer in Neuschöntal aus, bei dem ein Silo komplett zerstört wurde. Der Schaden betrug rund 100000 Euro, die Anlage stand anschließend lange Zeit still.
Während die Betreiber noch versuchten, die Probleme durch technische Nachbesserungen zu lösen, ereilte sie im Jahr 2017 schon die nächste Hiobsbotschaft: Bei einer Betriebsprüfung stellte das Finanzamt fest, dass die kostenlose Wärmelieferung so gar nicht zulässig ist. Das Geschäft sei umsatzsteuerpflichtig. Das Tochterunternehmen Städtische Klärschlammverwertung Backnang GmbH musste deshalb ab 2019 pro Kilowattstunde drei Cent an die Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM) überweisen, was Zusatzkosten von rund 50000 Euro pro Jahr bedeutete. Von Gewinnen sprach zu diesem Zeitpunkt schon keiner mehr, doch selbst ein kostendeckender Betrieb rückte nun in immer weitere Ferne, zumal die Preise, die die Stadt für das getrocknete Granulat erzielte, zurückgingen.
Während Letzteres kaum vorhersehbar war, stellt sich bei den anderen Problemen die Frage, ob man sie bei sorgfältiger Planung nicht früher hätte erkennen können. Stefan Setzer bestreitet das: „Aus damaliger Sicht war es eine wohlüberlegte Entscheidung.“ Die Wirtschaftlichkeit des Projekts sei im Vorfeld von Experten in Gutachten bestätigt worden. Auch bei der AWRM sieht man keine eigenen Versäumnisse: „Die Bedeutung der konstant hohen Temperatur für eine möglichst hohe Ausnutzung des Wärmepotenzials zeigte sich erst im laufenden praktischen Betrieb der Klärschlammtrocknung“, teilt das kreiseigene Unternehmen schriftlich mit. Auch die Beanstandung durch das Finanzamt sei nicht vorhersehbar gewesen: Erst ein Urteil des Bundesfinanzhofs im Mai 2017 habe zu einer neuen Bewertung der Rechtslage geführt.
Also alles nur Pech? Im Gespräch mit Vertretern der Gemeinderatsfraktionen hört sich das anders an. CDU-Fraktionschefin Ute Ulfert spricht von einem „unreifen, störanfälligen System“, für das sich die Stadt seinerzeit entschieden habe: „Es gab kaum Spezialisten zu dem Thema.“ Im Übrigen bemängelt Ulfert, dass vertraglich keine Mindestmenge für die Wärmelieferung vereinbart wurde, die die Stadt vom Landkreis hätte einfordern können.
Auch Charlotte Klinghoffer sieht Versäumnisse bei der Verwaltung: „Die Stadt ist den verheißungsvollen Versprechungen des Rems-Murr-Kreises erlegen, mit dem Ergebnis eines maximalen Schadens für die Stadtkasse“, sagt die Sprecherin der Fraktion Bürgerforum/FDP/BIG. Einen Grund für das Fiasko sieht sie in der Auswahl des Planungsbüros. Dies habe keinerlei Erfahrung mit solchen Anlagen gehabt. Setzer bestreitet das: Das Büro habe ähnliche Anlagen schon vorher geplant, man habe vor der Investition auch funktionierende Anlagen in anderen Städten besichtigt.
Die Komplexität des Verfahrens sieht Willy Härtner (Grüne) als Hauptgrund für das Scheitern. „Am Anfang hat das keiner so richtig durchschaut“, gibt der Fraktionschef zu. Selbst ihm als Ingenieur sei das schwergefallen. Härtner vermutet deshalb, dass das Konzept von der Stadt nicht im Detail geprüft wurde: „Da ist wohl etwas hemdsärmelig gehandelt worden.“ Siglinde Lohrmann hält sich mit Schuldzuweisungen hingegen zurück. „Am Ende einer Geschichte ist man immer klüger und weiß es besser“, sagt die SPD-Stadträtin. Im Übrigen habe der Gemeinderat ja selbst für den Bau der Anlage gestimmt. Eine kritische Anmerkung lässt Lohrmann dann aber doch noch fallen: „Vielleicht sollte grundsätzlich geprüft werden, was unbedingt in kommunale Hand gehört und was nicht.“
Bleibt die Frage, was künftig mit der Abwärme aus der Biovergärungsanlage passiert. Damit dauerhaft die Neuschöntaler Luft zu heizen, wäre angesichts der städtischen Klimaziele kaum vertretbar. Man denke darüber nach, sie in ein Nahwärmenetz einzuspeisen, um damit zum Beispiel das geplante IBA-Quartier zu versorgen, sagt Baudezernent Setzer. Die technischen Voraussetzungen sollen nun in einer Machbarkeitsstudie geprüft werden.
Von Kornelius Fritz
Siglinde Lohrmann hat völlig recht: Hinterher ist man immer klüger. Nach dem Millionenverlust mit der Klärschlammverwertung mit dem Finger auf Stadtverwaltung und Gemeinderat zu zeigen, wäre deshalb zu einfach. Schließlich muss man den Verantwortlichen zugutehalten, dass sie in bester Absicht gehandelt haben. Aus ökologischer Sicht wäre eine Symbiose von Biovergärung und Klärschlammtrocknung in Neuschöntal absolut sinnvoll gewesen.
Bedenklich ist allerdings, wie die Kommunalpolitik heute mit dem gescheiterten Projekt umgeht. Das Aus für die Klärschlammtrocknung und seine Hintergründe wurden lediglich hinter verschlossenen Türen im Aufsichtsrat der Städtischen Klärschlammverwertung GmbH besprochen. Im Gemeinderat, dem sonst kaum ein Thema zu nichtig ist, um nicht ausgiebig darüber zu diskutieren, war das Klärschlammdebakel hingegen nicht mehr als eine Randnotiz. So kommen die Hintergründe des Millionenflops erst durch die Recherchen unserer Zeitung ans Licht der Öffentlichkeit. Transparente Aufarbeitung geht anders.
Dabei hat die Backnanger Bevölkerung ein Recht zu erfahren, was hier schiefgelaufen ist. Schließlich wurden Steuergelder in Millionenhöhe in den Sand gesetzt. Es geht nicht darum, einen Sündenbock zu suchen, sondern Fehler, die zweifellos gemacht wurden, selbstkritisch zu analysieren und für die Zukunft daraus zu lernen. Denn auch diese Erkenntnis ist nicht neu: Wenn sich Kommunen in Bereiche wagen, die eigentlich nicht zu ihren Kernkompetenzen gehören, geht das ziemlich oft schief.
k.fritz@bkz.de
Hersteller Produziert wurde die Anlage zur Klärschlammtrocknung in Neuschöntal von der Firma Huber SE aus dem bayerischen Berching. Das Unternehmen teilt auf Anfrage mit, bei der eingesetzten Technik handle es sich um ein bewährtes Verfahren, das vielfach in Kläranlagen weltweit zum Einsatz komme. „Der Bandtrockner für Backnang war also kein neues Verfahren.“ Grund für das Scheitern des Projekts waren aus Sicht des Herstellers die zu geringen Wärmelieferungen durch die AWRM. „Dass sich die Wärmeversorgung im Nachhinein als unzuverlässig herausstellen sollte, war uns vor der Inbetriebnahme nicht bekannt“, teilt das Unternehmen schriftlich mit.
Wärmelieferant Auch die Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM) sieht die Schuld nicht bei sich. „Letztlich ist das Projekt an der technischen Komplexität sowohl aufseiten der Wärmeerzeugung als auch aufseiten der Klärschlammtrocknung gescheitert“, erklärt die Pressestelle des kreiseigenen Unternehmens. Gemeinsam mit der städtischen Betreibergesellschaft habe man stetig daran gearbeitet, die Probleme zu lösen. Unter anderem habe man einen Wärmepufferspeicher geplant, der eine konstantere Wärmelieferung ermöglicht hätte. „Im Falle eines Weiterbetriebs der Klärschlammtrocknung in Backnang wäre aufgrund dieser Maßnahmen die technische Lösung zur konstanten Wärmelieferung verfügbar gewesen“, schreibt die AWRM.