Backnang punktet mit seiner guten Stube
Die Innenstadt soll für Kunden und Händler attraktiver werden. Die neue Bestandserhebung legt Stärken und Schwächen offen. Das aktualisierte Einzelhandelskonzept dient der Stärkung innenstadtrelevanter Sortimente. Der Handel ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der Stadt.

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Die Aufenthaltsqualität des Rathausumfelds muss besser werden, so ein Ergebnis der Studie. Foto: Alexander Becher
Von Matthias Nothstein
Backnang. Der Einzelhandel ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige für die Stadt Backnang und sorgt für deren Belebung. Im Vorjahr erzielten die 239 Einzelhandelsgeschäfte einen Umsatz von 405 Millionen Euro. Und damit die Geschäfte weiterhin laufen, ist es wichtig, die Stärken und Schwächen zu kennen und die Entwicklung möglichst in die richtigen Bahnen zu lenken. Ganz wichtig dafür ist das Einzelhandelskonzept. Mit ihm kann zum Beispiel verhindert werden, dass sich auch in Gewerbegebieten sogenannte innenstadtrelevante Sortimente ansiedeln.
Um jedoch die Stärken und Schwächen zu kennen, ist wichtig zu wissen, weshalb Kunden ein Geschäft aufsuchen beziehungsweise meiden. Oder warum sie überhaupt nach Backnang kommen. Das aktuell noch gültige Einzelhandelskonzept basiert jedoch auf einer Bestandserhebung aus dem Jahr 2009, die Datenbasis ist demnach veraltet. Und das in einer Zeit, in der sich die Welt rasant wandelt, Stichworte Online-Handel, Coronakrise, Putins Angriffskrieg. Grund genug, die Daten auf den neuesten Stand zu bringen. Im vergangenen Jahr fand deshalb eine neue Bestandserhebung unter allen Einzelhandelsbetrieben und den Kunden statt. Deren Ergebnisse stellte nun Gerhard Beck von der Markt- und Absatzforschungsgesellschaft GMA in der Sitzung des Gemeinderats am Donnerstagabend vor. Sein Fazit: Backnang ist vergleichsweise gut durch die Coronakrise gekommen und steht auch im Vergleich mit anderen Mittelzentren gut da. Dennoch steht die Stadt vor großen Herausforderungen, da die Konkurrenz Online-Handel weiter wächst. Als hätte diese Web-Konkurrenz nicht schon ausgereicht, sind in den vergangenen Jahren die Coronalockdowns noch hinzugekommen. Frequenzverluste von über 85 Prozent waren die Folge. Und selbst nach der Wiedereröffnung des Einzelhandels betrug der Frequenzverlust im Schnitt 25 Prozent. Wenn Kunden überhaupt die Läden aufgesucht haben, dann nur zum schnellen Einkauf. Shopping und Bummeln waren verpönt.
Das Einzugsgebiet ist für Backnang ganz entscheidend
Sehr viele Kunden von Backnanger Geschäften kommen aus den Umlandgemeinden. Das Einzugsgebiet ist daher für Backnang entscheidend. Der Einzelhandel könnte nicht überleben, wäre er nur auf die etwa 38000 Backnanger Bürger angewiesen. Und daher stellte Beck die Frage: „Wie können wir das Angebot attraktiv gestalten, dass die Kunden nicht in andere Mittelzentren fahren?“ Punkten kann Backnang vor allem mit „seiner guten Stube“, der Innenstadt. Aber auch da habe die Befragung großes Handlungspotenzial aufgezeigt. Neben der Befragung, an deren Ende es 700 verwertbare Fragebögen gab, wurden auch etwa 20 Expertengespräche mit Händlern, Dienstleistern und Gastronomen geführt. Später definierte eine Lenkungsgruppe drei Schwerpunkte, die zeitnah in Angriff genommen werden sollten: das Rathausumfeld, die untere Marktstraße und die Aspekte Familienfreundlichkeit und Aufenthaltsqualität. Zum Rathausumfeld sagte Beck: „Da verkaufen wir uns noch zu schlecht.“ Eine Verbesserung könne etwa erfolgen über eine Terrassierung der Fläche, womit eine bessere Nutzung möglich wäre. Weitere Vorschläge waren Wasserspiele und viel mehr zusätzliche Bäume.
Viele Ideen gibt es für die untere Marktstraße. So soll ein Spielplatz mit Blick auf die Murr und Außengastronomie geschaffen werden. Im ehemaligen Geschäft Burgel soll eine Markthalle Einzug halten. Zudem ist geplant, die Uhlandstraße mit einem Sandkasten und Spielgeräten aufzuwerten. Die Aufenthaltsqualität soll auch mittels einer Gastronomie am Ufer, Wassersport wie Stand-up-Paddle oder einer Kinderrutsche an der Treppe auf Höhe des Drogeriegeschäfts dm erhöht werden. Selbst ein treppenartiger Wasserlauf vom Rathaus in Richtung Uhlandstraße ist angedacht.
Rolf Hettich (CDU) lobte ausdrücklich, wie viel in den Jahren seit der letzten Erhebung 2009 sich in Backnang zum Positiven verändert hat: „Ich glaube, das alles hat sich sehr positiv auf die Stadt ausgewirkt.“
Eine Erkenntnis der Erhebung relativierte Oberbürgermeister Maximilian Friedrich jedoch: die gesunkene Akzeptanz des ÖPNV von 4 auf 2,4 Prozent. Das hänge mit Corona zusammen. Viele, die früher mit Bus und Bahn unterwegs waren, hätten zu ihrem Schutz bewusst den Individualverkehr gewählt. Zum Burgelgebäude kündigte Friedrich eine gute Interimslösung an. Grundsätzlich werde im Bereich der unteren Marktstraße jedoch eine städtebauliche Neuordnung angestrebt.
SPD-Stadtrat Heinz Franke wollte wissen, inwieweit es möglich sei, die Ansiedlung verschiedener Branchen zu steuern. So gebe es etwa von manch einer Branche keinen Vertreter, von anderen wiederum unzählige. Er plädierte dafür, dass der Einzelhandel ganz einfach selbst etwas zur Steigerung der Attraktivität beitragen könnte, etwa durch einheitliche Öffnungszeiten. Ein Gedanke, den Beck sofort zurückwies: „Es ist müßig, darüber zu sprechen. Diese Vereinheitlichung bekommen wir nirgendwo hin und da sind Ihre Möglichkeiten als Stadträte auch sehr begrenzt.“
Frankes Frage, welche Rolle der Individualverkehr für die Innenstadt spiele, beantwortete Beck so: „Wir müssen die Erreichbarkeit gewährleisten, weil wir die Umlandbevölkerung brauchen.“ Diese Kunden müssen bequem nach Backnang kommen und kostengünstig parken können. Dann jedoch, sobald sie ihr Auto abgestellt hätten, komme die zweite Phase: „Dann wollen diese Leute keine Autos mehr, dann wollen sie eine hohe Aufenthaltsqualität. Wenn wir beides hinbekommen, dann ist der Gordische Knoten zerschlagen.“ Sollte mit Erreichbarkeit der Bau weiterer Parkplätze gemeint sein, würde Willy Härtner (Grüne) widersprechen: „Wir haben ein riesiges Parkplatzangebot in unmittelbarster Nähe zur Innenstadt. Es fehlt nur daran, dass die Leute dieses Angebot wahrnehmen. Mehr Parkplätze sind nicht nötig.“
Grund des Besuchs Von insgesamt 655 auswertbaren Fragebögen gaben die Kunden folgende Antworten (Mehrfachnennungen sind möglich):
Verbindung mit anderen Erledigungen (369)
Ist mein Wohnort beziehungsweise Arbeitsort (351)
angenehme Einkaufsatmosphäre (231)
Gastronomie (195)
guter Service/freundliche Bedienung (162)
gutes Angebot (141)
sozialer Treffpunkt (123)
gute Erreichbarkeit (111)
Veranstaltungen (104)
Was stört? Die am häufigsten genannten Defizite der Innenstadt können als „Dauerbaustellen“ bezeichnet werden. Bereits 2009 wurden die Top-Defizite von den Bürgern identisch formuliert:
zu geringes Angebot (333)
schlechte Parkmöglichkeiten (254)
Einkaufsatmosphäre fehlt (167)
schlecht mit dem Pkw zu erreichen (112)
ungünstige Öffnungszeit (94)
Preisniveau zu hoch (59)
schlecht mit dem Fahrrad erreichbar (55)
Anregungen Auf die Frage, welche Anregungen die Kunden zur Verbesserung der Innenstadt haben, wurden genannt:
Innenstadt/Grabenstraße autofrei (68)
kostenloses/billigeres Parken (54)
bessere und mehr Gastronomie/Außengastronomie (44)
Radwege/Radabstellplätze/Radboxen (40)
Aufenthaltsqualität/Sitzgelegenheiten (34)
mehr Grün/Blumen (25)
Aktionen/Straßenmusik (24)
Kinderfreundlichkeit/Spielplätze (23)
Maßnahmenschwerpunkte Eine Lenkungsgruppe beleuchtete mehrere Aspekte, die im Argen liegen, und arbeitete drei Handlungsschwerpunkte heraus:
Rathausumfeld
Untere Marktstraße
Familienfreundlichkeit und Aufenthaltsqualität
Verkehrsmittel Im Jahr 2009 gaben 76 Prozent der Befragten an, die Einkäufe in der Innenstadt primär mit dem Pkw zu erledigen. Im Vorjahr lag der Wert bei 65 Prozent. Der Anteil der Fahrradnutzer stieg hingegen von vier auf neun Prozent.