Backnang sendet Hilferuf wegen Flüchtlingssituation
Der Gemeinderat unterstützt einstimmig die Forderung nach Reformen. Die Plätze in den Unterkünften reichen nur noch bis Anfang 2024.
Von Kornelius Fritz
Backnang. Die Städte und Gemeinden im Land fühlen sich bei der Unterbringung von Asylbewerbern und von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zunehmend überfordert. Auch die Stadt Backnang schlägt jetzt Alarm: Einstimmig stellte der Gemeinderat in seiner Sitzung am Donnerstagabend fest, „dass bei der Unterbringung, Versorgung und Integration vor Ort die Belastungsgrenze erreicht ist“. Das Gremium schloss sich deshalb der „Stuttgarter Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik“ an. Dieses Papier, das die kommunalen Spitzenverbände bereits im März dieses Jahres veröffentlicht hatten, enthält einen Zwölfpunkteplan mit konkreten Forderungen.
Unter anderem verlangen die Vertreter der Kommunen und Landkreise eine gleichmäßige Verteilung der Zuwanderer auf ganz Europa und eine Angleichung der Sozialleistungen. Außerdem wünschen sie sich „nationale Ankunftszentren“, wo Neuankömmlinge nicht nur registriert werden, sondern innerhalb von 24 Stunden auch ihre Chancen auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland geprüft werden. Geflüchtete ohne Bleibeperspektive sollen dann direkt aus diesen Ankunftszentren wieder abgeschoben werden. Dann würden nur noch Menschen, die sich berechtigte Hoffungen auf eine Aufenthaltsgenehmigung machen dürfen, an die Länder und in die Kommunen verteilt.
Die Notwendigkeit, hilfsbedürftige Geflüchtete zu unterstützen, stehe für ihn außer Frage, erklärte Oberbürgermeister Maximilian Friedrich im Gemeinderat. „Aber die Höhe der Zuweisungszahlen sowie die mangelnde Unterstützung von Bund und Land machen die Bewältigung der gegenwärtigen Aufgaben schier unmöglich.“ Friedrich berichtete, dass die Stadt in den vergangenen drei Jahren 170 Asylbewerber sowie 336 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine mit Wohnraum versorgt habe. Mit der neuen Containerunterkunft auf dem Aurelis-Areal an der Maubacher Straße könne man den Bedarf auch noch voraussichtlich bis Anfang 2024 decken, erklärte der OB.
Wie es danach weitergehen soll, ist allerdings offen, obwohl aktuelle Prognosen von weiter steigenden Zuweisungen ausgehen. Im Grunde habe man alle Flächen, die für Unterkünfte infrage kommen könnten, bereits in der Vergangenheit geprüft, erklärte Verwaltungsdezernent Timo Mäule. Und wenn man bestehende Gebäude für die Flüchtlingsunterbringung nutze, führe dies zu einer Verknappung von Wohnraum, der auch sonst dringend benötigt werde.
Personen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, muss die Stadt eine Wohnung zur Verfügung stellen
Gisela Blumer, Leiterin des Rechts- und Ordnungsamts, erwähnte in diesem Zusammenhang Personen, die schon länger in Deutschland leben und von Obdachlosigkeit bedroht sind, etwa nach einer Räumungsklage. Auch in diesen Fällen sei die Stadt in der Pflicht, den Betroffenen eine Wohnung zur Verfügung zu stellen.
Für wenig Begeisterung sorgte im Gemeinderat aber auch die Option, die bestehenden Flüchtlingsunterkünfte noch enger zu belegen. Erlaubt wäre das inzwischen, wie Timo Mäule erklärte: Der Bund habe kürzlich die Mindestwohnfläche in Flüchtlingsunterkünften von sieben auf 4,5 Quadratmeter pro Person gesenkt.
Mit der Unterbringung alleine ist es aber noch nicht getan, wie der OB ausführte. „Es braucht ebenso darüber hinaus genügend Integrationshelfer, Sprachkurse, Schul- und Kitaplätze sowie eine ausreichende ärztliche Versorgung. All das sind begrenzte Ressourcen, bei denen vielerorts die Grenze des Leistbaren längst erreicht ist“, sagte Friedrich. Von Bund und Land fühle sich die Stadt „sowohl finanziell als auch organisatorisch weitestgehend alleingelassen“.
Die Möglichkeiten des Widerstands sind allerdings begrenzt. Die Unterbringung der zugewiesenen Geflüchteten sei eine städtische Pflichtaufgabe, erklärte Gisela Blumer. Einen „Aufnahmestopp“, wie ihn früher bereits die AfD-Fraktion gefordert hatte und den nun auch CDU-Stadtrat Rolf Hettich ins Spiel brachte, kann die Stadt also nicht verhängen. So bleibt ihr letztlich nur die Möglichkeit, mit öffentlichen Appellen auf die aktuellen Probleme hinzuweisen. Friedrich hofft zumindest auf eine Signalwirkung und darauf, dass die Hilferufe der Kommunen in Berlin und Stuttgart gehört werden.
Was dem Backnanger Votum besonderes Gewicht verleiht, ist, dass es einstimmig zustande gekommen ist. Selbst die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen stimmte dafür, auch wenn Fraktionschef Willy Härtner betonte, dass das Grundrecht auf Asyl für ihn unantastbar sei. Ähnlich äußerten sich auch Vertreter der SPD. „Wir müssen die Menschenwürde achten, egal aus welchen Gründen die Leute hier sind“, sagte Heinz Franke. Trotzdem seien die Kapazitäten nicht unendlich. Das findet auch Ute Ulfert: „Das Wichtigste ist die Integration der Geflüchteten“, sagte die Vorsitzende der CDU-Fraktion, „aber das hat seine Grenzen.“