Backnanger Filmausstatter ist kein Nazi

Schöffengericht Backnang rehabilitiert 63-Jährigen. 2020 waren bei einer Razzia bei ihm in Sachsenweiler Waffen und Sprengstoff sichergestellt worden. Jetzt stellte sich heraus: Keine Waffe war schussbereit. Gestern wurde der Angeklagte zu einem Jahr Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

Der angeklagte Filmausstatter aus Backnang hat das wichtigste Fahrzeug für den Thriller „Der Hauptmann“ nachgebaut. Foto: Filmgalerie 451

Der angeklagte Filmausstatter aus Backnang hat das wichtigste Fahrzeug für den Thriller „Der Hauptmann“ nachgebaut. Foto: Filmgalerie 451

Von Florian Muhl

Backnang. „Das Duell – Enemy at the Gates“, „Die Germanen“ und „Beowulf“ sowie „Unsere Mütter, unsere Väter“, „Krupp, eine deutsche Familie“ und Babylon Berin“ – alles bekannte Doku-Serien im TV und/oder Kinofilme der vergangenen 25 Jahre, für die der Angeklagte wichtige Requisiten geliefert hat. Auch im zehn Jahre alten deutsch-amerikanischen Streifen „Monuments Men – Ungewöhnliche Helden“, bei dem George Clooney Regie führte und auch die Hauptrolle übernahm, ist unverwechselbares Equipment des Backnangers im Einsatz gewesen. Und für den 2017 gedrehten Thriller „Der Hauptmann“ baute er den dreiachsigen Mercedes-Geländewagen der Wehrmacht nach.

Angeklagter war im Filmgeschäft etabliert

„Unser Film ,Gegen Ende der Nacht’ von Oliver Storz (...) ist eines der erfolgreichsten Fernsehspiele dieses Jahres“, heißt es in einem Schreiben des SWR von 1998 an den Angeklagten, das sein Verteidiger während der Verhandlung gestern verlas. Weiter schrieb der SWR: „Neben Schauspielerpreisen und Produzentenpreisen ist es in erster Linie der ,Goldene Löwe für die Ausstattung‘, auf den wir besonders stolz sind. Dieser Erfolg wäre nicht möglich gewesen ohne Ihre Mitarbeit. Sie haben mit Ihren Fahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen das Vertrauen, das wir in diese Zusammenarbeit gesetzt haben, bei weitem übertroffen. Ihre Einsatzbereitschaft und fachliche Kompetenz haben uns eine reichhaltigere Ausstattung erlaubt, als der Kostenrahmen es erwarten ließ. Vom abgeschossenen Panzer bis zum Militär-Cadillac, von der Patronenhülse bis zur Kontrolle der Ausgabe von Deko-Waffen an die zahlreichen Komparsen war alles professionell organisiert und historisch exakt ausgewählt.“

Bis 2020 ist der Angeklagte einer der gefragten Ausstatter für die Filmstudios, wenn es um die Ausstattung von Filmen geht, die in der Zeit der beiden Weltkriege handeln. Aber der gelernte Schreiner und Architekt fertigt auf Wunsch auch Requisiten für andere Zeitepochen, beispielsweise für Filme der Römerzeit. Das Geschäft läuft gut, die Welt ist für den Angeklagten in Ordnung. Bis zum 14. Oktober 2020. An jenem Tag rückt die Polizei mit einem Sondereinsatzkommando am Haus des Angeklagten in der Straße Am Dresselbach in Sachsenweiler an. Nicht nur sein Wohnhaus wird durchsucht, sondern 400 Beamte durchkämmen an diesem Tag bei Razzien insgesamt 17 Wohnungen und ein Waldstück in München sowie in den Landkreisen Augsburg, Biberach an der Riß, Esslingen, Günzburg, Kempten, Sigmaringen, Tübingen, Ostallgäu sowie Ostalb- und eben im Rems-Murr-Kreis (wir berichteten).

Treffen in Bad Schussenried warf Fragen auf

Aber warum? Wie ein Sachverständiger der Polizei aus Ulm vor Gericht berichtet, hatte es vor vier Jahren einen Hinweis gegeben, dass sich auf einem verlassenen Grundstück in Bad Schussenried Merkwürdiges abspielt. Mehrere Personen würden in Uniformen mit Gewehren hantieren. Die Polizei observiert daraufhin das Gelände und stellt eine Kamera auf. Und tatsächlich. Am Wochenende vom 18. bis 20. September 2020 kommen dort 30 Personen in Wehrmachtsuniformen zusammen. Diese haben Waffen dabei und drei Fahrzeuge, eines davon ist ein Schwimmwagen (Kübelwagen) ohne Kennzeichen. Diesen fährt der Angeklagte, der selbst in Uniform zu sehen ist. Er trägt einen Filzhut mit einem Totenkopf, ein verbotenes Abzeichen. Andere Kennzeichen wie Hakenkreuze sind abgedeckt.

Das Treffen in Bad Schussenried wurde nicht angemeldet. Weder Stadt noch Polizei wissen zu diesem Zeitpunkt, wer sich dort trifft und zu welchem Zweck. Richter Marco Siever rechtfertigt in seiner Urteilsbegründung, dass Polizei und Staatsanwaltschaft anfangen zu ermitteln. „Ein gewisser Verdacht kam auf und auch Befürchtungen. Sind da vielleicht irgendwelche Reichsbürger unterwegs, die den Umsturz planen?“ So kommt es, dass das SEK einen knappen Monat später auch beim Angeklagten anrückt. Die Polizei stellt zahlreiche Utensilien sicher, darunter den Kübelwagen, Uniformteile, rund 15 Waffen und vier Kilogramm Schwarzpulver.

Vorwürfe einer rechten Gesinnung haben sich nicht bestätigt

Weitere Themen

Die Ermittlungen ziehen sich in die Länge. Letztlich kommt heraus: „Keine der Schusswaffen, die beim Angeklagten sichergestellt worden ist, war schussbereit“, stellt der Richter fest. Hinsichtlich des Uniformverbots wird das Verfahren gegen den Angeklagten eingestellt. Es sei grundsätzlich nicht verboten, eine Uniform zu tragen, so Richter Siever. „Es ist dann verboten, wenn man das in einer Versammlung macht und wenn dieses gemeinsame Tragen von Uniformen auch eine gemeinsame politische Gesinnung zum Ausdruck bringt.“ Das aber hätten die polizeilichen Ermittlungen nicht ergeben. Im Gegenteil: Die Personen in Bad Schussenried hätten sich in Reenactment-Absicht getroffen, sie hätten konkrete geschichtliche Ereignisse in möglichst authentischer Art und Weise nachstellen wollen. „Und der Angeklagte hat einen beruflichen Zugang zu diesem Thema“, so der Vorsitzende.

Dass die Staatsanwaltschaft letztlich auf der falschen Fährte war, muss auch deren Vertreter zugeben. In seinem Plädoyer sagt er: „Nicht immer bestätigen sich die Vorwürfe oder die Verdachtsmomente im Laufe des Ermittlungsverfahrens, die man am Anfang hat.“ Es gebe auch Fälle, in denen sich die Vorwürfe im Rahmen der Ermittlungen relativieren würden. „Hier hat sich einiges, was man am Anfang befürchtet hat, im Endeffekt (...) nicht bestätigt.“ Und weiter: „Wir haben es hier nicht mit einer irgendwie gearteten rechtsextremistischen Gruppierung, mit rechtsextremen Terroristen zu tun gehabt, sondern (...) man muss diese Personengruppe eher in diesem Bereich Reenactment einordnen.“ Erkenntnisse, dass irgendeine Gefahr für Außenstehende bestanden habe, hätten sich im Laufe der umfangreichen Ermittlungen und Auswertungen nicht ergeben.

Ein Jahr Haftstrafe auf Bewährung

Auch wenn der Angeklagte von allen politischen Vorwürfen quasi freigesprochen wurde, ist er doch zu einem Jahr Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Und zwar wegen folgender drei Vorwürfe: Zum einen ist er den Kübelwagen ohne Haftpflichtversicherungsvertrag gefahren. Zum zweiten hat er auf seinem Filzhut ein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation getragen. Und drittens ist der Backnanger unerlaubt mit explosionsgefährdenden Stoffen umgegangen und hat in mehreren Fällen unerlaubt Kriegswaffen besessen. Im Fall des Schwarzpulvers hatte er zwar eine Lizenz, diese war aber 2018 abgelaufen. Und im Fall der Kriegswaffen wie Maschinenpistolen und Repetierbüchsen waren diese zwar unbrauchbar gemacht, aber nicht so 100-prozentig, wie es das Gesetz vorschreibt.

Richter prangert Vorverurteilung an

Auf das Schärfste prangerte der Richter die Vorverurteilung des Angeklagten an. Ein Bündnis gegen Rechts habe nach der Razzia vor dem Haus des Angeklagten demonstriert und habe ihn „in die Ecke von rechten Terroristen“ gerückt. Und: „Es muss die Frage erlaubt sein: Wer maßt sich so was an. Die Einzigen, die über Sie zu urteilen haben, sind wir hier vorne. Das hat die Justiz zu machen, und nicht irgendwelche Bündnisse, die auf Grundlagen von irgendwelchen halbseidenen Erkenntnissen sich erlauben, irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen über das, was da passiert ist“, so Marco Siever, der sich fragt, warum Medien diesen Leuten ein Forum geboten haben.

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Erstellt:
15. März 2024, 06:00 Uhr

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