Backnangs älteste Apotheke

Blick in das Archiv von Peter Wolf: Die Obere Apotheke in Backnang bestand weit über 400 Jahre an derselben Stelle in der Innenstadt. Vor zehn Jahren wurde sie endgültig geschlossen.

Die Obere Apotheke war um 1900 im Besitz von Albert Roser. Repros: P. Wolf

© Peter Wolfs Archiv

Die Obere Apotheke war um 1900 im Besitz von Albert Roser. Repros: P. Wolf

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Im 16. Jahrhundert eröffnete in Backnang die erste Apotheke in der heutigen Marktstraße 32. In einem Lagerbuch von 1587 wird sie erstmals erwähnt und wie folgt beschrieben: Das Haus „steht beim obern Tor, stößt oben an Beck Alex. Grimmeisen, hinten an Schuhmacher Nicolas Laux und unten an die Kreuzgasse“ (heute zur Dilleniusstraße), informiert die Stadtchronik. Der spätere Apotheker Roser geht in einem Aufsatz aus dem Jahr 1914 in den Blättern des Murrgauer Altertums-Vereins sogar noch weiter zurück und nennt die Apotheker A. Wagner (1560) und F. Reinöhl (1580). Dies konnte jedoch laut der Stadtchronik quellenmäßig nicht gesichert werden. Bereits im Jahr 1501 wird allerdings ein Erhart Appotegker genannt, der Haus und Hofstatt auf dem Stiftshofgelände besaß.

Jedenfalls hat das Haus am Marktplatz eine beachtliche Bandbreite an Entwicklungen der Heil- und Arzneikunde und des Apothekenwesens erlebt. Zunächst verfügte das Gebäude außer dem Hochparterre nur über ein Stockwerk und wurde in dieser Form auch nach dem Stadtbrand von 1693 wiederaufgebaut, heißt es im Backnang-Lexikon. Zu jener Zeit war Abraham Steeb der Apotheker. Er verklagte den Vogt, Bürgermeister und Magistrat beim Herzog, weil sie trotz fürstlichen Befehls den Westgiebel der abgebrannten Stadtkirche nicht abgebrochen haben, der bei einem Einsturz die Apotheke schädigen könnte, schreibt Gustav Hildt 1908 in den Blättern des Murrgauer Altertums-Vereins.

Die zweite Apotheke Backnangs eröffnete erst 1814, die dritte kam mehr als 100 Jahre später dazu.

Anfang des 19. Jahrhunderts ließ der damalige Eigentümer Gottlieb Monn das Gebäude umbauen und um ein zweites Stockwerk erhöhen. Dieser Apotheker wurde später von 1822 bis 1845 Stadtschultheiß von Backnang und gründete im Jahr 1852 ein Frauenstift für alte, verarmte Frauen am Oelberg 11. Viele der Apotheker waren Ratsmitglieder oder anderweitig in sozialen und kulturellen Vereinen und Institutionen aktiv.

Innenaufnahme in den 1950er-Jahren.

© Peter Wolfs Archiv

Innenaufnahme in den 1950er-Jahren.

Eine zweite Apotheke kam 1814 in Backnang dazu, die der Apotheker Julius Maisch in der späteren Uhlandstraße 22 eröffnete. Zur Unterscheidung von der bereits bestehenden Oberen Apotheke erhielt sie zunächst den Namen Untere Apotheke. 1875 verlegte sie der Apotheker Carl Veil in ein Gebäude gegenüber dem historischen Rathaus (heute: Marktstraße 29) und gab ihr den Namen Adler-Apotheke.

Im Jahr 1913 ging die Obere Apotheke von Albert Roser an Paul Müller über. Der aus Esslingen stammende Apotheker war sehr an Geschichte interessiert, auch in seiner Wahlheimat Backnang. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich Paul Müller als Vorsitzender des Altertums-Vereins um den Aufbau eines Heimatmuseums, das in der einstigen Landwirtschaftsschule am Etzwiesenberg untergebracht war, heißt es im Buch „100 Jahre Heimat- und Kunstverein Backnang“, das 1984 im Fr.-Stroh-Verlag erschienen ist.

Das Gebäude fiel bei Kriegsende, als es als Hilfskrankenhaus diente, den Bomben zum Opfer. Dabei ging ein Teil der Schätze des Vereins verloren. Die wertvollsten Stücke konnten nur deshalb gerettet werden, weil Apotheker Paul Müller sie in seine Wohnung gebracht hatte. Nach Kriegsende machte er sich sofort an den Wiederaufbau des Heimatmuseums, indem er in mühevoller Arbeit Stücke aus den Trümmern barg und unermüdlich weitersammelte.

Paul Müllers ältester Sohn Hans-Georg gründete 1959 die Schiller-Apotheke in der Schillerstraße 36. Die Obere Apotheke ging 1961 in die Hände des jüngeren Sohns Herrmann Müller über. 1962/63 erfolgte ein letzter großer Umbau, wobei der Boden der Apotheke auf Gehweghöhe gesenkt und Schaufenster eingebaut wurden. Bis dahin hatte man die Apotheke über sechs Stufen in der Mitte des Hauses erreicht, von wo aus auch die Treppen in die oberen Stockwerke führten.

Im Jahr 1966 war die Marktstraße noch zweispurig befahrbar.

© Peter Wolfs Archiv

Im Jahr 1966 war die Marktstraße noch zweispurig befahrbar.

Hermann Müller, der die Obere Apotheke bis 1992 führte, gibt in einem Text Einblicke in die Geschichte und eigene Erinnerungen. Er spricht die Anfänge des Apothekenwesens an, als teilweise noch in alchemistischen Bereichen gearbeitet wurde, „ohne die der Zeit entsprechenden Kenntnisse vor allem im pflanzlichen Bereich zu unterschätzen“. Später wurde dann in den Apotheken „extrahiert, destilliert und damit auch Wirkstoffe aus Grundstoffen isoliert, gekocht, zerrieben und vieles mehr“.

Früher wurde bei der Beratung nicht nur über Beschwerden, sondern auch übers Vieh gesprochen.

Müller weist darauf hin, dass Beratung von jeher ein wichtiger Bestandteil der Arbeit war. Diese Beratung sei früher viel weiter in persönliche und praktische Bereiche gegangen. Oft sei die Auskunft über das Vieh (bei der Landbevölkerung) so wichtig gewesen wie über die Menschen oder Fragen wurden gestellt, wie man den Wein – sprich Traubenmost – hierzulande nach rechtlicher Vorschrift verbessern darf.

Herrmann Müller erinnert an die Zeit, als das Laboratorium in der Apotheke noch ein ständig in Gebrauch befindlicher Arbeits- und Herstellungsraum war, während es heute wohl mehr der Untersuchung, das heißt der Qualitäts- und Identitätsprüfung von Arzneimitteln und Grundstoffen diene. „Dies alles zog sich, zumal durch Kriegs- und Notzeiten bedingt, bis in den Zweiten Weltkrieg und in die Nachkriegszeit hinein, mit Kräutersammeln und -trocknen bei allgemeinem Rohstoffmangel“, schreibt er in seinem Bericht. Aufnahmegefäße habe es damals kaum gegeben und die Kunden mussten Gläser, Dosen und Papier selbst mitbringen. „So hatte das Haus bis zuletzt von oben bis unten seinen bestimmten Apothekengeruch“, schreibt Müller.

Ab 1992 wurde die Obere Apotheke nacheinander von den Apothekerinnen Dagmar Karl und Susanne Netzer in Pacht geführt, ehe sie 2011 endgültig schloss. Damit endete in dem Gebäude in der Marktstraße 32 eine über 400 Jahre dauernde Tradition.

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Erstellt:
30. Juni 2021, 06:00 Uhr

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