Bauplatzvergabe ist umstritten
Für Baugebiete in der Region gibt es für gewöhnlich deutlich mehr Bewerber als Flächen. Bei der Vergabe bewerten die meisten Kommunen die Interessenten nach verschiedenen Kriterien wie etwa dem Ortsbezug. Das ist jedoch eine rechtliche Grauzone.

© Pressefotografie Alexander Beche
Vor der Bauplatzvergabe für das Gebiet „Schillerstraße“ wurden in Althütte 2019 die Richtlinien angepasst. Archivfoto: A. Becher
Von Lorena Greppo
Rems-Murr. Bauplätze sind in der Region ein rares Gut, so auch in der Gemeinde Aspach. Für das Baugebiet „Stegmühlenweg“ mit vorgesehenen 28 Wohneinheiten gibt es bereits etwa 300 Bewerber, berichtete Bürgermeisterin Sabine Welte-Hauff in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats. Bei der Entscheidung, wer zum Zuge kommt, sind die Bauplatzvergaberichtlinien der Gemeinde entscheidend. Diese kamen im Gremium nun auf den Prüfstand – und wurden ausführlich und kontrovers diskutiert.
Hintergrund dessen ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2013, die besagt, dass Gemeinden Bauland nicht bevorzugt an Käufer vergeben dürfen, die eine besondere Bindung zur Gemeinde haben. Sogenannte Einheimischenmodelle waren vor allem in Bayern keine Seltenheit. Für Auswärtige war es dort beinahe unmöglich, an Bauplätze zu gelangen. Gleichzeitig wurde der Baugrund aber oft zu vergünstigten Preisen – also zu Preisen unterhalb des Bodenrichtwerts – abgegeben. Aus diesem Grund strebte die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren an. Um dieses beizulegen, wurden im Jahr 2017 die „Leitlinien für Gemeinden bei der vergünstigten Überlassung von Baugrundstücken im Rahmen des sogenannten Einheimischenmodells“ festgelegt, die sogenannten EU-Kautelen.
In Baden-Württemberg nutzen jedoch die wenigsten Kommunen die vergünstigte Abgabe von Bauplätzen, die EU-Kautelen können hier also nicht eins zu eins angewendet werden. Eine Bevorzugung von Bewerbern mit Ortsbezug ist jedoch gängig. „In vielen Kommunen stellt sich daher drängend die Frage, wie dieses Dilemma rechtssicher und den Bedarfen der Gemeinde gerecht werdend aufgelöst werden kann“,sagt Christopher Heck, Pressesprecher des Gemeindetags Baden-Württemberg. Das Thema stehe im Gemeindetag seit 2017 intensiv auf der Agenda. Auf landespolitischer Ebene werde daran gearbeitet, eine Lösung zu finden. Denn, das hatte Gemeindetagspräsident Steffen Jäger klargemacht: „Dass Bewerber aus ganz Deutschland und sogar aus allen EU-Ländern die gleiche Chance auf einen Bauplatz in einer Gemeinde haben sollen wie eine Familie, die seit Geburt dort wohnt, entspricht nicht dem Rechtsempfinden der Bevölkerung.“
Anderswo hatten Klagen gegen Vergaberichtlinien Erfolg
Nachdem Sachgebietsleiterin Ruth Deichmann in der Aspacher Sitzung die Situation geschildert hatte, fragte der FWV-Fraktionsvorsitzende Gerd Raichle, ob man hier nicht in „vorauseilendem Gehorsam“ handle. Das sah die Bürgermeisterin anders. „Solche Entscheidungen können drastische Konsequenzen für uns haben“, hielt sie dagegen. Nachträglich Verträge womöglich rückabwickeln zu müssen – „das wollen wir nicht“, so Sabine Welte-Hauff. Bei 300 Bewerbern für die wenigen Bauplätze im Stegmühlenweg könne es sehr leicht passieren, dass jemand die Entscheidungen zur Bauplatzvergabe anficht.
Dass diese Angst nicht unbegründet ist, zeigt das Beispiel der Gemeinde Ummendorf im Kreis Biberach. Ein Ehepaar, das keinen Bauplatz bekommen hatte, hat hier geklagt, der Bauplatzverkauf wurde daraufhin gerichtlich gestoppt. Das hieß auch für alle anderen Käufer: Der Termin beim Notar musste verschoben werden, vom Baubeginn konnte erst recht keine Rede sein. Das wiederum treibt auch die Preise in die Höhe.
Einen Rechtsanspruch auf die Zuteilung eines kommunalen Baugrundstücks haben Einzelne übrigens nicht. Die Vergabe ist Teil der kommunalen Selbstverwaltung. Allerdings haben Privatpersonen einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung. Das heißt: Die Grundsätze der Gleichbehandlung, Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und Bestimmtheit müssen beachtet werden. Die meisten verwenden deshalb ein Punktesystem nach objektiv nachprüfbaren Kriterien (siehe Infobox).
Manche Kommunen haben ihre Kriterien zur Bauplatzvergabe überarbeitet, bevor ein konkretes Gebiet erschlossen wurde. In Althütte wurden die Richtlinien im Jahr 2019 angepasst. Allerdings habe die Gemeinde nicht – wie es Aspach anstrebt – das Muster des Gemeindetags zum Vorbild genommen. „Wir hatten schon einen Kriterienkatalog, den haben wir angepasst“, erklärt Bürgermeister Reinhold Sczuka. Hiernach wurden auch Bauplätze in den Gebieten „Schillerstraße“ und „Buchenwäldle“ veräußert. Gemeinderat und Verwaltung seien sich damals schon darüber im Klaren gewesen, dass die Richtlinien womöglich erneut überarbeitet werden müssen, wenn es eine politische Entscheidung gibt, die Sicherheit bei der Anwendung des EU-Rechts bietet. Er finde es unverständlich, dass die Gemeinde neue Flächen nur für die Eigenentwicklung ausweisen darf, sie dann aber im Verkauf allen EU-Bürgern gleichermaßen zugänglich sein sollen. Allen könne man es mit dem Punktesystem sowieso nicht recht machen, so Sczuka. Jedoch wolle man die größtmögliche Gerechtigkeit schaffen.
Auch die Stadt Backnang plant eine Änderung. „Die Richtlinien für zukünftige Bauplatzverkäufe werden wir zu gegebener Zeit an die dann gültige Rechtslage anpassen“, teilt der städtische Pressesprecher Christian Nathan mit. Drängend ist die Thematik auch deshalb nicht, weil aktuell kein neues Wohnbaugebiet in Aussicht ist. Auf der Oberen Walke tritt die Dibag Industriebau als Investor auf, hier finden andere Vorgaben Anwendung. Allerdings wäre bei möglichen künftigen Baugebieten auch in Backnang mit einer deutlich größeren Anfrage zu rechnen als noch bei der „Katharinenplaisir Teil II“. Damals gab es 90 Bewerbungen für 42 Bauplätze. Bei den damals angewandten Vergaberichtlinien wurde der Ortsbezug übrigens auch berücksichtigt.
Relevanz Wie relevant es ist, Rechtssicherheit bei der Vergabe von Bauplätzen zu haben, zeigt sich beim Blick auf die Begebenheiten in Baden-Württemberg: Nach Einschätzung des Gemeindetags gehen 75 bis 80 Prozent der Kommunen nach einem Kriterienkatalog vor. Alle anderen haben entweder mit der baulichen Entwicklung abgeschlossen, wählen das sogenannte Windhundprinzip (wer sich zuerst bewirbt, wird zuerst berücksichtigt) oder losen aus. Bei den beiden letztgenannten Varianten hat zwar jeder die Chance darauf, einen Bauplatz zu bekommen, allerdings bleibt der Kommune keine Möglichkeit, den Zuwachs zu steuern.
Absichten Die Kommunen, die bei der Bauplatzvergabe mit einem Kriterienkatalog arbeiten, tun dies, um damit gewisse Ziele zu erreichen. Im Entwurf der Gemeinde Aspach heißt es etwa: „Durch die vorrangige Förderung junger, kinderreicher Familien soll der Erhalt stabiler Bevölkerungsstrukturen in der Gemeinde Aspach gesichert werden.“ Und: „Insbesondere soll jenem Personenkreis die Bildung von Grundeigentum ermöglicht werden, welcher noch nicht über selbiges verfügt.“
Punktevergabe Die genaue Ausgestaltung des Kriterienkatalogs und der maximalen Punktzahl für verschiedene Eigenschaften bleibt weitgehend der Kommune überlassen. Einige Aspekte lassen sich jedoch von den EU-Kautelen ableiten. Wie Ruth Deichmann im Aspacher Rat erklärte, dürfte die maximal mögliche Punktzahl für den Ortsbezug der Bewerber nicht mehr als die Hälfte ausmachen. Darunter fällt beispielsweise auch ein Ehrenamt, welches in der Gemeinde ausgeübt wird. Was hierzu zählt, muss die Kommune übrigens klar definieren. Darüber hinaus werden soziale Kriterien bewertet wie etwa der Familienstand oder die Zahl der Kinder. In Aspach gab es auch hier Uneinigkeit, wie diese Aspekte zu bewerten sind: Will man nur Familien mit Kindern anziehen oder auch junge Paare, die womöglich eine Familie erst gründen, nachdem sie ein Haus gekauft haben?